Lambrechts Nachfolger Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius wird neuer Verteidigungsminister

Berlin · Dem neuen Verteidigungsminister wird kaum Zeit bleiben, sich einzuarbeiten. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine macht keine Pause. Kiew bittet um weitere Unterstützung – und schon am Freitag erwartet Pistorius ein wichtiges internationales Treffen.

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Das ist Boris Pistorius

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Foto: dpa/Moritz Frankenberg

Nach dem Rücktritt von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht wird der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (beide SPD) ihr Nachfolger. Er soll am Donnerstag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Ernennungsurkunde erhalten und im Bundestag seinen Amtseid leisten, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Dienstag mitteilte.

Pistorius sei ein „herausragender Politiker“, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). „Pistorius ist ein äußerst erfahrener Politiker, der verwaltungserprobt ist, sich seit Jahren mit Sicherheitspolitik beschäftigt und mit seiner Kompetenz, seiner Durchsetzungsfähigkeit und seinem großen Herz genau die richtige Person ist, um die Bundeswehr durch diese Zeitenwende zu führen“, erklärte er weiter.

Pistorius will die Angehörigen der Bundeswehr bei der Modernisierung der Truppe „ganz eng“ mitnehmen. Der SPD-Politiker versicherte am Dienstag in Hannover, dass er sich vor die Soldatinnen und Soldaten stellen werde. Er übernehme das Amt sehr gern und wisse um dessen Bedeutung in schwierigen Zeiten. Die Aufgaben für die Truppe seien gewaltig. „Ich will die Bundeswehr stark machen“, betonte Pistorius.

Der scheidende Innenminister von Niedersachsen sagte weiter, er gehe das neue Amt mit Demut und Respekt an. Es sei eine große Ehre für ihn. Er wolle sich vom ersten Tag an zu 150 Prozent in die Arbeit stürzen. Der zurückgetretenen Ministerin Lambrecht bescheinigte er, dass sie den Anfang für die Neuaufstellung der Bundeswehr gemacht habe.

Lambrecht hatte am Montag nach gut einem Jahr im Amt ihren Rücktritt erklärt. In den vergangenen Tagen waren mehrere andere Namen als mögliche Nachfolger genannt worden, darunter Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, SPD-Chef Lars Klingbeil und die Wehrbeauftragte Eva Högl. Pistorius war nun eine Überraschung. Der niedersächsische Innenminister gilt als erfahrener Polit-Manager. Im Kreis der Innenminister von Bund und Ländern hat sich Pistorius in den vergangenen Jahren einen Ruf als kenntnisreicher Fachpolitiker erworben. Auch wenn er stets in Niedersachsen blieb, war er auch an der innenpolitischen Positionierung der Bundes-SPD in Wahlkämpfen und an Koalitionsverhandlungen beteiligt.

Bei den Innenministerkonferenzen machte es dem als pragmatisch geltenden Pistorius immer sichtlich Freude, sich mit Konservativen wie dem früheren Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf offener Bühne zu streiten, schlagfertig, mit spitzen Bemerkungen, aber nie respektlos. Zur Idealbesetzung für den Posten des Verteidigungsministers macht Pistorius vielleicht auch sein Alter. Mit 62-Jahren kann ein Politiker schließlich ganz entspannt das Chefbüro im Bendlerblock beziehen, das gemeinhin als Schleudersitz und damit auch als potenzieller Karrierekiller gilt.

Reaktionen auf Ernennung von Pistorius

Die Partner der SPD in der Ampel-Koalition lobten die Personalie. Finanzminister Christian Lindner gratulierte Pistorius umgehend. In einem Tweet sprach der FDP-Chef von seinem „neuen Kabinettskollegen Boris Pistorius“. „Vor allem mit der Umsetzung des Sondervermögens liegt eine große Aufgabe vor uns“, schrieb er. Er freue sich auf eine gute Zusammenarbeit von Finanz- und Verteidigungsministerium.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr lobte die Entscheidung ebenfalls. „Ich bin davon überzeugt, dass er der richtige Mann für das Amt des Verteidigungsministers ist“, sagte er dem Nachrichtenportal t-online. Er kenne ihn aus seiner Zeit im niedersächsischen Landtag und habe ihn als Innenminister dort stets geschätzt. „Herr Pistorius hat langjährige Erfahrung mit der Struktur unserer Sicherheitsbehörden, zudem war er selbst bei der Bundeswehr. Ich bin davon überzeugt, dass er der richtige Mann für das Amt des Verteidigungsministers ist und die Zeitenwende mit Leben füllen kann“, sagte Dürr.

Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) begrüßte die Ernennung des Niedersachsen. „Boris Pistorius ist ein sehr erfahrener Politiker, der in schwierigen Situationen über die nötige Nervenstärke verfügt.“ Pistorius übernehme das Verteidigungsressort „in sehr entscheidenden Zeiten“. „„Es sind auch kurzfristig wichtige Entscheidungen zu treffen, insbesondere die drängende Frage, wie wir die Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung weiter unterstützen. Deutschland trägt hier eine Verantwortung und muss große Aufgaben bewältigen“, erklärte Habeck.

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), reagierte optimistisch auf Pistorius als Nachfolger von Lambrecht. „Wir werden mit Boris Pistorius konstruktiv zusammenarbeiten. Als Innenminister kennt er das Thema Sicherheit und die Zusammenarbeit mit denen, die sich für unsere Sicherheit einsetzen“, sagte Strack-Zimmermann unserer Redaktion. „Er wird in Berlin daran aber gemessen werden, ob er die Belange der Truppe versteht und dem Bundeskanzleramt und Verteidigungsministerium gegenüber durchsetzungsstark vertritt“, so die FDP-Politikerin.

Der Bundestagsvizepräsident und stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki begrüßte die Entscheidung des Bundeskanzlers. „Ich halte die Entscheidung des Kanzlers für eine gute und sehr nachvollziehbare Wahl. Ich glaube, Boris Pistorius ,kann‘ Verteidigungsminister“, sagte Kubicki unserer Redaktion. „Es ist allerdings auch die letzte Patrone von Olaf Scholz. Dann geht ihm die Munition aus“, so Kubicki. „Gottseidank hat sich die SPD von dem Unsinn verabschiedet, Positionen zwingend nach Geschlecht oder regionalem Proporz als nach Kompetenz zu besetzen“, sagte der FDP-Politiker.

Die Wehrbeauftrage des Bundestages, Eva Högl (SPD), zeigte sich erfreut die Ernennung von Boris Pistorius. „Über die Entscheidung für Boris Pistorius freue ich mich riesig. Für das neue Amt wünsche ich ihm alles erdenklich Gute“, sagte Högl unserer Redaktion. „Als gebürtige Niedersächsin kenne ich ihn schon lange, in meiner Zeit als Innen- und Rechtspolitikerin im Deutschen Bundestag habe ich sehr vertrauensvoll mit ihm zusammengearbeitet“, so Högl, die auch als Favoritin für das Amt galt. „Ich freue mich, das nun in unseren unterschiedlichen Aufgaben fortzusetzen. Mit Boris Pistorius bekommt die Truppe in schwierigen Zeiten einen engagierten, führungsstarken und leidenschaftlichen Politiker, dem die Bundeswehr sehr am Herzen liegt und auf den sie sich verlassen kann“, sagte Högl.

Auch der Präsident des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr, Patrick Sensburg, begrüßte, dass Pistorius Nachfolger von Lambrecht werden soll. „Boris Pistorius ist ein erfahrender Innenminister und kennt Menschenführung. Er ist durchsetzungsfähig und hat sich bisher schon intensiv mit den Sicherheitsfragen unseres Landes beschäftigt“, sagte Sensburg unserer Redaktion. „Ich bin mir sicher, dass er sich schnell in die verteidigungspolitischen Details einarbeiten wird. Der Reservistenverband freut sich, dass nun ein Reservist an der Spitze des Ministerium steht, der schon lange gute und intensive Kontakte zur Reserve in Niedersachsen hat“, sagte Sensburg.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sieht Pistorius für seine neue Rolle gut vorbereitet. „Boris Pistorius hat auch schon bisher in Niedersachsen, einem der größten Bundeswehrstandorte in Deutschland, stets einen sehr guten und engen Draht zum Militär und zu den Soldatinnen und Soldaten“, sagte Weil in einem schriftlichen Statement. Für deren Belange und für die Sicherheit der Menschen in Deutschland werde er sich mit aller Kraft einsetzen. „Das ist jetzt noch wichtiger als sein aktuelles Amt in Niedersachsen“, ergänzte Weil.

Kritik aus der Union und der AfD

Aus der Union wiederum kam Kritik an der Personalie. „Der Bundeskanzler zeigt damit, dass er seine eigene Zeitenwende nicht ernst nimmt“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johann Wadephul (CDU), der Deutschen Presse-Agentur. „Erneut spielen Sachkompetenz und Erfahrung mit der Bundeswehr keine Rolle“, kritisierte Wadephul. Bei der Personalie handle es sich um eine „Besetzung aus der B-Mannschaft“. Damit sei Kanzler Scholz „eine echte Überraschung gelungen. Nur leider keine gute.“ Um die Bundeswehr voranzubringen, brauche es nicht nur Geld, sondern auch Sachverstand. „Angesichts der Lage wird Boris Pistorius keine 100 Tage Einarbeitung haben können“, betonte Wadephul.

Die frühere Verteidigungsministerin und CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) setzt darauf, dass der designierte Verteidigungsminister die anstehenden Herausforderungen im neuen Amt erfolgreich meistert. Kramp-Karrenbauer sagte unserer Redaktion: „Ich wünsche beiden alles Gute. Christine Lambrecht nach dieser sicher schweren Zeit und Boris Pistorius bei dieser verantwortungsvollen, aber schönen Aufgabe.“ Kramp-Karrenbauer war Vorgängerin der zurückgetretenen Ministerin Christine Lambrecht und von 2019 bis 2021 bis Verteidigungsministerin unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Die AfD kritisierte die geplante Ernennung von Boris Pistorius. Die Ampel bleibe sich bei der Besetzung des Verteidigungsministeriums nach dem Rücktritt von Christine Lambrecht treu, schrieb Co-Parteichefin Alice Weidel am Dienstag bei Twitter. „Mit Pistorius folgt auf Lambrecht der nächste Verteidigungsminister ohne irgendwelche Expertise auf seinem Fachgebiet.“ Für die Bundeswehr und das Land seien das „leider keine guten Aussichten“, sagte sie dem Nachrichtenportal „t-online“. Der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion Rüdiger Lucassen kritisierte, die Bundeswehr bekomme statt eines Fachmannes „einen weiteren Parteisoldaten ohne Fachkompetenz und Affinität zu unseren Streitkräften“. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) setze erneut die Parteilogik über das Wohl des Landes.

Pistorius absolvierte eine Lehre zum Groß- und Außenhandelskaufmann. Von 1980 bis 1981 absolvierte er seinen Wehrdienst, anschließend studierte er Rechtswissenschaften in Osnabrück und Münster. Pistorius ist bereits seit 2013 Innenminister in Niedersachsen, vor wenigen Monaten begann seine dritte Amtszeit. Zuvor war er von 2006 bis 2013 Oberbürgermeister in Osnabrück. Pistorius ist verwitwet und hat zwei Töchter.

Mit der Entscheidung für Pistorius hebelt Scholz seinen eigenen Anspruch aus, seine Ministerriege paritätisch zu besetzen. Bisher waren es acht Männer und acht Frauen, nun werden es neun Männer und sieben Frauen sein - der Kanzler selbst nicht mitgezählt.

Die Grünen pochen nach der Entscheidung auf eine gleichmäßige Verteilung von Männer und Frauen im Kabinett. Ein paritätisch besetztes Kabinett sei extrem wichtig, sagte die Co-Fraktionschefin der Grünen-Bundestagsfraktion, Katharina Dröge. Es hätte auch erneut eine Frau als Verteidigungsministerin geben können. Frauen seien mindestens gleich qualifiziert. Es sei eigentlich eine Selbstverständlichkeit, das Kabinett paritätisch zu besetzen. „Das sollte auch bei allen künftigen Entscheidungen so sein.“

Boris Pistorius (SPD)

Boris Pistorius (SPD)

Foto: dpa/Moritz Frankenberg

Dröge bezeichnete den bisherigen niedersächsischen Innenminister Pistorius trotzdem als gute Wahl. „Er bringt viel Erfahrung und Kompetenz mit.“ Im Verteidigungsministerium stehe er nun vor großen Aufgaben, die Ukraine im Kampf gegen Russland zu unterstützen und das Beschaffungswesen zu reformieren. Grünen-Co-Chef Omid Nouripour sagte, es sei gut, eine schnelle Nachfolge im Verteidigungsministerium gefunden zu haben.

(zim/Reuters/AFP/dpa)
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