Pistorius bei Übung für Nato-Eingreiftruppe Der Minister und der Ernstfall

Mahlwinkel · Verteidigungsminister Boris Pistorius setzt seine Reise durch die Truppe fort. Am Donnerstag besuchte er in Sachsen-Anhalt kämpfende Verbände der Bundeswehr, die Stand-By für die Schnelle Eingreiftruppe der Nato stehen.

Verteidigungsminister Boris Pistorius in Mahlwinkel bei einer Übung der Streitkräftebasis.

Verteidigungsminister Boris Pistorius in Mahlwinkel bei einer Übung der Streitkräftebasis.

Foto: AP/Martin Meissner

Der Minister ist da. Per Hubschrauber eingeflogen in die Nähe von Mahlwinkel in Sachsen-Anhalt. Ost-Idylle mit 600 Einwohnern. Die Sowjets sind schon lange weg. Die Baracken sind vergammelt. Offene Fensterlöcher hinter sonst hohlen Fassaden. Kleiner Sicherheitshinweis vorab: „Ich möchte Sie bitten, die Gebäude nicht zu betreten.“ Aber Mahlwinkel ist nicht Mariupol – zum Glück. Wer einmal im Leben Panzer fahren will, der kann nach nebenan gehen. Für 199 Euro lässt ein privater Anbieter Hobby-Militärs für 30 Minuten im BMP-Schützenpanzer „unter Anleitung eines erfahrenen Instrukteurs“ über den Übungsplatz fahren – Erinnerungsfotos, Kraftstoff und Versicherung inklusive. Boris Pistorius muss diese 199 Euro selbstredend nicht zahlen.

Er ist der Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland und wird an diesem Tag als Mitfahrer eine kleine Testfahrt in einem Fahrschulpanzer „Leopard 2“ machen. Es ist just jener Panzertyp, auf dem andernorts in Deutschland ukrainische Soldaten trainiert werden, bevor sie zum Verteidigungskampf in ihre Heimat zurückkehren. Pistorius hat sich an diesem Donnerstag aufgemacht, einen nächsten Teil des Großunternehmens Bundeswehr mit insgesamt 265 000 Bediensteten, davon aktuell 183 000 Soldatinnen und Soldaten kennenzulernen, das er seit nunmehr 57 Tagen führt. Besuch bei kämpfenden Verbänden der Streitkräftebasis, die ihren Hauptsitz in Bonn hat. Logistik, Streitkräfteamt, Feldjäger, ABC-Abwehr – die Frauen und Männer demonstrieren dem neuen Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt, wie gut sie für die Schnelle Eingreiftruppe der Nato gerüstet sind, für die sie aktuell abrufbereit sind – „Stand-by“. Der Inspekteur der Streitkräftebasis, Generalleutnant Martin Schelleis, begrüßt Pistorius. Ein erstes kurzes Vier-Augen-Gespräch zwischen Minister und Inspekteur. Die Streitkräftebasis ist der Dienstleister der Truppe. Braucht eine Einheit Spezialisten – die Streitkräftebasis kann helfen.

Pistorius steht hier bei Mahlwinkel auf dem ehemaligen Militärflugplatz der Sowjetstreitkräfte. Auf dem riesigen Areal in der Nähe von Magdeburg treffen sich auch Zivilisten zu einem paramilitärischen Wettbewerb – „Dark Emergency“ genannt. Doch der Verteidigungsminister und seine Truppe sind hier, um sich für einen ernsten Fall zu wappnen, der durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine eine reale Bedrohung geworden ist. Schon in der kommenden Woche werde Deutschland erste Leopard 2A6 in die Ukraine bringen, wird Pistorius später sagen.

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Bundeswehrübung bei Schnee und Minustemperaturen – Pistorius zu Besuch in Litauen

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Foto: dpa/Kay Nietfeld

Vor zwei Tagen erst hat die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, gesagt, dass es der Truppe so ziemlich an allem fehle. Kein Cent aus dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen zur besseren Ausrüstung sei bislang bei den Streitkräften angekommen.

Pistorius hat schnell gelernt, seit er am 19. Januar den heikelsten Job im Bundeskabinett von der glücklosen Christine Lambrecht übernommen hat. Er will neben dem Sondervermögen zehn Milliarden Euro obendrauf für seinen Etat – jährlich. Und er weiß, dass seine Truppe nur bedingt verteidigungsbereit ist, jedenfalls so, wie sie derzeit aufgestellt und ausgerüstet ist.

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Das ist Boris Pistorius

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Foto: dpa/Moritz Frankenberg

Pistorius packt an, er greift durch, er baut um. In der vergangenen Woche erst war bei den deutschen Soldaten in Litauen an der Nato-Ostflanke, kämpfte sich mit ihnen bei Minusgraden durch den tiefen Schnee. Nun hat er bekannt gegeben, dass er sein Ministerium an der Spitze umkrempelt. Er besetzt den Posten des Generalinspekteurs, des ranghöchsten Soldaten der Bundeswehr, neu. Eberhard Zorn wird gehen und durch Carsten Breuer ersetzt, bislang Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos, das die Bundeswehr erst im vergangenen als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine neu aufgestellt hatte. Breuer wird an diesem Freitag in Berlin ins neue Amt eingeführt.

Aber nun ist wieder bei der Truppe. Dieses Mal eben Mahlwinkel in Sachsen-Anhalt. Pistorius trägt Jeans, braune Stiefel, eine Tarnfleckjacke mit seinem Namen auf der Brusttasche -- das kommt bei den Soldatinnen und Soldaten gut an. Noch schnell ein Foto mit Generälen. „Kommen Sie nach vorne“, sagt die Fotografin. Pistorius: „Besser, als wenn Sie uns auffordern zurückzutreten.“ Dann wird der Minister von Station zu Station der Übung geführt. Beim Instandsetzungstrupp steht Pistorius persönlich am Steuergerät und zieht so per Fernsteuerung ein gesamtes Triebwerk aus einem schweren Bundeswehr-Fahrzeug. Geschafft. Der Unteroffizier sagt danach: „Danke, Herr Minister, da haben Sie uns gut geholfen.“ Pistorius ist wenig später bei Spezialpionieren, die bei der Flut im Ahrtal geholfen haben, dann bei Wasserspezialisten, die in Mali aus 300 Meter Tiefe Trinkwasser für das deutsche Kontingent gefördert haben. Pistorius bekommt eine Flasche zum Testen überreicht, „garantiert Trinkwasserqualität“. Der Minister: „Ja, sonst würden Sie es mir nicht geben.“ Dass seine Bundeswehr ein „Trümmerhaufen“ sei, wie er später gefragt wird, will er nicht stehenlassen. „Die Bundeswehr ist alles, aber kein Trümmerhaufen.“ Es gebe Mängel, ja, aber dies liege an der Ausstattung „und an ein paar Strukturen“. Daran werde nun gearbeitet.

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