100 Tage Verteidigungsminister Boris Pistorius – Ein Minister als Anpacker

Analyse | Berlin · Boris Pistorius ist an diesem Freitag 100 Tage im Amt des Verteidigungsministers. Er packt wie kaum ein Vorgänger die Probleme auf der Großbaustelle Bundeswehr an und will eine Truppe, die funktioniert.

 Verteidigungsminister Boris Pistorius während einer Präsentation im Turm eines Leopard 2A6 (Archivbild).

Verteidigungsminister Boris Pistorius während einer Präsentation im Turm eines Leopard 2A6 (Archivbild).

Foto: dpa/Federico Gambarini

Tag 100 im Leben des Verteidigungsministers Boris Pistorius. Der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt hat dabei an diesem Freitag einen wichtigen Termin. Zuhause in Niedersachsen in Wunstorf. Das Steinhuder Meer wäre nicht weit. Doch Pistorius hat andere Pläne. Am Fliegerhorst Wunstorf will der Minister am Nachmittag gemeinsam mit Generalinspekteur Carsten Breuer die Soldatinnen und Soldaten jenes Bundesverbandes begrüßen, die zuletzt mehr als 700 Menschen aus 40 Nationen aus dem umkämpften Sudan auf dem Luftweg evakuiert haben, darunter mehr als 200 Deutsche. Es ist eine Erfolgsmeldung bei diesem Rückkehrappell, bei dem auch Außenministerin Annalena Baerbock dabei sein wird, ebenso Außen- und Verteidigungspolitiker des Bundestages. Allen war die Tragweite dieses Einsatzes bewusst. Pistorius ist Profi genug, würde er nicht die Folgen eines möglichen Fehlschlages einkalkuliert haben. Hätte es bei dieser gefährlichen Evakuierungsoperation aus Suden, einem „komplexen Auftrag“, Tote unter den deutschen Soldaten oder den Evakuierten gegeben, Pistorius hätte seine erste grundlegende Debatte darüber gehabt, was Verantwortung im Amt des Verteidigungsministers bedeutet. Doch so weit ist nicht gekommen.

Dem 63 Jahre alte SPD-Politiker war aber auch vor dieser Sudan-Mission glasklar, welches Amt er da am 19. Januar dieses Jahres von seiner glücklosen Vorgängerin Christine Lambrecht übernommen hat und welche Risiken damit auch für ihn verbunden sind. Pistorius hat allerdings einen Vorteil: Natürlich will er nicht scheitern auf diesem vermutlich kompliziertesten Ministerposten im Kabinett, aber er muss auch niemandem mehr etwas beweisen. Er regiert gewissermaßen mit der (relativen) Freiheit des Alters. Doch was heißt schon frei, wenn man Tag und Nacht – erst recht zu Kriegszeiten in Europa – erreichbar sein muss und das Diensthandy auch nachts eingeschaltet neben dem Bett liegt. Immerhin hat es Pistorius – unter tatkräftiger Mithilfe seiner Lebensgefährtin – geschafft, an seinem Arbeitsort Berlin das Hotelzimmer, in dem er anfangs übernachtete, gegen eine eigene Wohnung zu tauschen.

Drei Monate Boris Pistorius als Verteidigungsminister: Rückblick in Bildern
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Boris Pistorius drei Monate Verteidigungsminister – Highlights seiner Amtszeit

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Foto: dpa/Michael Kappeler

Pistorius, ehemals Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Osnabrück und Innenminister in Niedersachsen, brauchte für seinen neuen Job an der Spitze von Berliner Bendlerblock und Bonner Hardthöhe mindestens die Kaltstartfähigkeit, die er sich nun auch bei seiner Truppe wünscht. Bereit zum Einsatz binnen kürzester Zeit. Eine Woche Bedenkzeit habe er jedenfalls nicht erbitten wollen, als ihn Bundeskanzler Olaf Scholz angerufen und ihm das Amt des Verteidigungsministers angeboten habe, erzählte er über den Hergang seiner Berufung. Pistorius griff zu und fing an, Dinge anzupacken, die in der jüngeren Vergangenheit seine Vorgängerinnen Ursula von der Leyen (CDU), Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Christine Lambrecht (SPD) nicht angefasst oder unerledigt liegengelassen hatten. Von der Leyen gab sehr viel Geld für Berater aus, Kramp-Karrenbauer mochte Uniformen und bei Lambrecht war bis zuletzt nicht klar, wieviel Lust sie wirklich auf diesen Ministerposten hatte.

Nun also steht Pistorius 100 Tage an der Spitze des Verteidigungsministeriums. Doch eine Schonzeit von 100 Tagen hatte er ohnehin nicht zu erwarten. Dazu sind die Zeiten zu aufgewühlt, zu fordernd, zu unberechenbar. Zeitenwende eben. Der SPD-Politiker verschaffte sich in hohem Tempo einen Überblick über das Großunternehmen Bundeswehr mit seinen insgesamt gut 260 000 Militärs und Zivilbediensteten – und seinen mannigfaltigen Baustellen. Er reiste zum Heer, zur Marine, zur Luftwaffe, war bei der Streitkräftebasis, bei der Truppe an der Nato-Ostflanke in Litauen, zuletzt auch in der Wüste von Mali und Niger. Pistorius spricht eine Sprache, die bei der Truppe gut ankommt: klar, schnörkellos, geradeaus, ohne dabei zu überziehen. Er hätte aktuell gute Chancen, ein mindestens so akzeptierter Soldatenminister wie zu werden wie es einst Peter Struck war. Doch aus diesem Amt ist bislang kaum eine Ministerin oder ein Minister ohne Schrammen herausgekommen.

Das ist Verteidigungsminister Boris Pistorius​ - Vita in Bildern
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Das ist Boris Pistorius

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Foto: dpa/Moritz Frankenberg

Der SPD-Mann baut in seinem Ministerium um, er hat den Generalinspekteur gewechselt und den 2012 unter Minister Thomas de Maizière (CDU) abgeschafften Planungs- und Führungsstab wiedereingeführt, eine Art Frühwarnsystem für den Minister unter Führung von Brigadegeneral Christian Freuding. Pistorius will nur noch Vorlagen auf den Schreibtisch bekommen, die schon entscheidungsreif. Keine Zeit mehr verplempern. So will er auch das träge Beschaffungsamt in Koblenz, ein Bürokratiemonster, auf Vordermann bringen. Die Spitze dort ist auch ausgetauscht. Ab sofort werde dem Faktor Zeit alles untergeordnet. Grundsätzlich soll nur noch gekauft werden, was am Markt vorhanden sei. Keine Goldrandlösungen mehr. Doch Pistorius weiß bei allem Reformtempo auch: Dieses komplexe Amt mit seinen vielen Fallstricken hat bislang noch jeden irgendwie kleingekriegt. Der Minister ist in seinem ganz persönlichen „komplexen Einsatz“. Die harten Tage kommen noch.

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