Interview Das ist Ramelows Plan für die Zukunft des Soli

Düsseldorf · Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) fordert im Interview mit unserer Redaktion ein neues Fördersystem für abgehängte Regionen im ganzen Land als Ersatz für den Soli.

 "Ich baue auf Jamaika und zwar schnell, zügig und schnörkellos": Bodo Ramelow.

"Ich baue auf Jamaika und zwar schnell, zügig und schnörkellos": Bodo Ramelow.

Foto: dpa, msc cul

Wir erreichen Bodo Ramelow am Telefon in Erfurt. Was er gerade macht? Er schaut aus dem Fenster auf die Straßenbahnhaltestelle und sieht Gäste ankommen. Gleich wird er sie mit einem Verdienstorden auszeichnen.

Herr Ramelow, setzen Sie auf Jamaika-Koalition im Bund oder lieber auf Neuwahlen?

Ramelow Ich sage ausdrücklich als Ministerpräsident des Freistaates Thüringen: Ich baue auf Jamaika und zwar schnell, zügig und schnörkellos. CDU, CSU, FDP und Grüne liegen so paradox weit auseinander, dass gerade darin die Chance liegt. Die müssen nicht eine Soße werden, die CSU muss sich nicht mit den Grünen auf einem Level begegnen und Grünen nicht mit der FDP. Die sollen Handlungsfähigkeit herstellen und dazu gehört es, die dringend notwendigen gemeinsamen Projekte zu beschreiben. Es geht ja nicht um eine Liebesheirat oder gar die Bildung einer Einheitspartei, nein, es geht um eine handlungsfähige Bundesregierung. Dies zügig zu erreichen, wäre das Geheimnis von Jamaika. Wir brauchen jedenfalls einen handlungsfähigen Gesprächspartner, eine neue Regierung.

Warum haben die Länder Zeitdruck?

Ramelow Bei uns gibt es drängende Probleme: Durch den Brexit haben wir den statistischen Effekt, aus der EU-Förderung herauszufallen, der Soli steht zur Disposition, demnächst laufen sämtliche Förderprogramme für die Flüchtlingsintegration aus. Darüber müssen wir sprechen. Neuwahlen können wir nicht gebrauchen.

Was muss für den Osten herausspringen? Ist er wirklich abgehängt und sind daran die Wessis Schuld?

Ramelow Schon in der Frage liegt eine falsche Reflexion. Es geht nicht darum, wie schlecht es dem Osten geht. Wir müssen weg von dem Image "Der arme Osten und der böse Westen". Wir haben aber noch Unterschiede die deutsche Einheit ist einfach noch nicht erreicht. Die Lohnhöhe, die Steuerkraft, die Vermögensverteilung — das alles ist im Osten nach wie vor schlechter als im Westen und wir haben einen Mangel an Firmenzentralen. Die sind nicht einmal in homöopathischer Dosis vorhanden.

Seit der Wiedervereinigung sind aber 27 Jahre vergangen, warum dauert das so lange?

Ramelow Die Entindustrialisierung des Ostens nach der Wende war radikal. Wir haben eine "Marktwirtschaft brutal" erlebt. Die westdeutschen Unternehmen haben sich den Osten als Markt gesichert, sind aber nicht mit ihrem Firmensitz gekommen und zahlen hier keine Steuern, sondern haben nur Produktionsstandorte errichtet. Und wir sind noch nicht so weit, dass unsere eigene Unternehmerschaft in der Größe gewachsen wäre um relevant mitzuspielen. Die Stärke des Westens hat auch etwas mit den Produktionsbedingungen des Ostens zu tun.

Was muss sich ändern?

Ramelow Wir erwarten keine Brosamen oder Mildtätigkeit, sondern eine weitere Begleitung des Aufbaus Ost beziehungsweise vielmehr ein neues Förderungssystem für ganz Deutschland. Dabei sollte der Abstand zum deutschen Durchschnittsniveau der Wirtschaftslage als Maßstab für den Grad der Abgehängtheit und die Höhe der Förderung sein. Auch das Rheinland oder Bremerhaven oder der Pfälzer Wald brauchen Unterstützung. Wenn eine Jamaika-Koalition, wie von der FDP gefordert, den Solidaritätszuschlag abschafft oder schnell abbaut, muss es ein Förderinstrumentarium für abgehängte Regionen geben — eben im ganzen Land. Darüber herrschte absolute Einigkeit unter den Ministerpräsidenten auf ihrer letzten Konferenz in Saarbrücken.

Was erwarten Sie sonst noch von einer Jamaika-Koalition?

Ramelow Wir müssen Kinder fördern. Die Mehrwertsteuer muss auf alle Kindersachen auf sieben Prozent gesenkt werden. Es kann nicht sein, dass mein Hund durch den reduzierten Mehrwertsteuersatz auf Hundefutter eine höhere Wertschätzung des Staates erfährt als Kinder für deren Schulessen ein Steuersatz von 19 Prozent anfällt. Außerdem muss nach der Ehe für alle das steuerrechtliche Privileg für die Institution der Ehe fallen und in ein Steuerprivileg für Kinder — in eine Kindergrundsicherung - umgewandelt werden. Wir brauchen ferner eine Bürgerversicherung für alle, es darf keine Unterscheidung mehr nach Herkunft, Status und Einkommensart geben. Und wir brauchen bundesweite Volksentscheide. Das wäre auch eine Chance, den Hasardeuren von der AfD bei unangenehmen Themen entgegenzutreten. Es hilft nichts, etwas administrativ aus der Welt zu schaffen, die Themen holen uns wieder ein. Demokraten müssen Klarheit schaffen.

Was erwarten Sie denn von ihrer eigenen Partei?

Ramelow Ich habe kein herausgehobenes Parteiamt, deswegen überlasse ich das unseren Spitzen in Berlin. Aber ich würde mir wünschen, dass meine Partei wieder ein gesamtdeutsches Profil mit ostdeutschen Themen entwickelt.

Was tun Sie gegen die Verödung von Dörfern und Landstrichen?

Ramelow Wir alle müssen vom Dorf her denken. Die Verödung ganzer Gegenden ist ein gesamtdeutsches Problem. Über Jahrzehnte sind schleichend die sozialen Berührungszonen verschwunden. Es gibt in vielen Dörfern keine Eckkneipen mehr, keine Tante-Emma-Läden, keine soziale Treffpunkte, weil sich das Konsumverhalten und die Handelsstruktur verändert haben. Die Optimierung der Systeme führt dazu, dass am Ende keiner mehr da ist. In diese Lücken stößt die AfD und füllt das mit Verlustängsten. Das ist gefährlich. Die Dörfer müssen revitalisiert werden. Wir müssen einzelne Initiativen unterstützen, etwa von Dorfbewohnern, die gemeinsam für die Sanierung der Kirchen-Orgel sorgen wollen. Die Menschen haben die Nase voll von Bürokraten in Verwaltungen, die ihnen Steine in den Weg legen. Wir brauchen eine neue Kultur des Umgangs.

Was sind die Versäumnisse?

RamelowWir brauchen eine bessere Wertschätzung auch im Westen für das gelebte Leben in der DDR. Einiges hätten wir nie abschaffen dürfen. Etwa die Gemeindeschwester, die auch medizinisch versorgen darf, was im westdeutschen System nicht vorgesehen ist, jetzt aber als wichtig empfunden wird — auch für die Versorgung auf dem Land. Nun wird lange drum herum gebastelt, damit es ja nicht nach DDR aussieht. Das gefällt mir nicht.

Das Gespräch führte Kristina Dunz.

(kd)
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