Pro und Contra Brauchen wir mehr Zentralismus in der Bildungspolitik?

München · Die SPD hat im Wahlkampf eine Debatte über die Bildungspolitik losgetreten. Sie will dem Bund mehr Kompetenz für Kitas, Schulen und Unis geben. Die bisherige Hoheit der Länder wäre dadurch eingeschränkt. Ein Pro und Contra dazu.

 Unterricht an einer Schule (Symbolbild).

Unterricht an einer Schule (Symbolbild).

Foto: Shutterstock/Oksana Kuzmina

Nein zu mehr Zentralismus sagt Ludwig Spaenle:

Mehr Vergleichbarkeit in wichtigen Bildungsfragen zwischen den Ländern in Deutschland ist sinnvoll. Das wünschen sich auch die Eltern, die Schüler, die Arbeitgeber und die Hochschulen. Mehr Zentralismus dagegen wäre der falsche Weg.

Denn mehr Vergleichbarkeit der Bildungswege und -abschlüsse in Deutschland fördert die Gerechtigkeit. Es ist für die Schulfamilie wie auch Arbeitgeber wichtig, dass der Bildungsweg, den die Schüler durchlaufen, und die Zeugnisse, die sie erwerben, anerkannt und gleichwertig sind. Vereinfacht: Ein Zeugnis, auf dem "mittlerer Abschluss" draufsteht, muss auch den "mittleren Abschluss" enthalten.

Mehr Vergleichbarkeit stärkt auch die Mobilität. Wenn die Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler in allen Ländern vergleichbar sind, dann nähern sich auch die Inhalte der Lehrpläne und die Prüfungen einander an. Das bedeutet konkret: Lange Zeit bestehende Hürden für einen Umzug einer Familie von einem Land in ein anderes entfallen.

 Ludwig Spaenle (Archiv).

Ludwig Spaenle (Archiv).

Foto: Bayerisches Ministerium für Bildung

Genau diesen Weg haben die Länder in der Ausübung der nationalen Letztverantwortung in Bildungsfragen beschritten. Sie haben mehr Vergleichbarkeit realisiert. Sie haben im Rahmen der Kultusministerkonferenz Bildungsstandards für wichtige Schulabschlüsse definiert. Sie stellen bestimmte Aufgaben für wichtige Fächer für die Abiturprüfungen in einem Aufgabenpool ein und bedienen sich bei den Prüfungen daraus. So wird sichergestellt, dass in allen Ländern gewisse Lehrinhalte behandelt und zudem gewisse Kompetenzen vermittelt werden. Die Länder bleiben aber frei, andere Aufgaben stellen zu können.

Die Verantwortung der Länder für die schulische Bildung bewährt sich. Sie gehört zu den Kerninhalten der föderalen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die Bildungspolitiker in den Ländern und Landtagen sind näher an den Bürgerinnen und Bürgern als Politiker auf Bundesebene.

Mehr Zentralismus wäre schädlich. Bei Bundestagswahlen entscheiden die Wählerinnen und Wählern mit Blick auf ganz andere politische Handlungsfelder als auf die Bildungspolitik.

Bei den Landtagswahlen spielt die Bildungspolitik eine zentrale Rolle. Und der Weg von Augsburg nach München, von Bonn nach Düsseldorf ist deutlich kürzer als der Weg von Bonn und Augsburg nach Berlin. Kulturelle und regionale Besonderheiten werden im Föderalismus nicht eingeebnet, im Zentralismus schon.

Ludwig Spaenle (56) ist Bayerischer Staatsminister für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst.

Ja zu mehr Zentralismus sagt Özcan Mutlu:

Seit nunmehr elf Jahren fließt vom Bundesetat kein Cent in die Schulen — auch wenn die Länder in Geldnöten sind und der Bund zu zahlen bereit wäre. Das 2006 im Zuge der Föderalismusreform im Grundgesetz verankerte Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern ist eine groteske Auslegung der Länderhoheit im Bereich Bildungspolitik, weltweit einmalig und von Anfang an eine große Fehlentscheidung der großen Koalition. Die Aufhebung ist längt überfällig. Es freut mich, dass die SPD endlich auch zu dieser Erkenntnis gekommen ist und in ihrer geplanten Bildungsallianz die Abschaffung des Kooperationsverbotes verkündet. Seit Jahren ignoriert die SPD unsere Anträge im Bundestag hierzu und fand diese notwendige Maßnahme in den letzten Jahren nicht so wichtig. Verlässliche Bildungspolitik sieht anders aus.

In Anbetracht der immer größer werdenden Herausforderungen, vor denen die Schulen stehen, wie Inklusion, Sprachförderung, Ausbau der Ganztagsschulen und digitale Bildung muss sich der Bund endlich wieder in die Bildungspolitik einbringen dürfen. Denn nur wenige Bundesländer können diese finanziellen Herausforderungen alleine stemmen. Bereits heute ist durch die unterschiedlich finanzielle Ausstattung der einzelnen Länderhaushalte innerhalb Deutschlands keine Chancengerechtigkeit für alle Schülerinnen und Schüler gewährleistet. Bildungsungerechtigkeit, so belegen es zahlreiche Studien, ist ein strukturelles Problem und nicht zu akzeptieren.

Daher müssen wir uns von der Kleinstaaterei und dem Dogma "Schule ist Ländersache" verabschieden und Kooperation zwischen Bund und Länder ausdrücklich fördern. Das heißt nicht, dass die Länder ihrer inhaltlichen Gestaltungsfreiheit beraubt werden sollen. Im Gegenteil; anstelle des Kooperationsverbotes brauchen wir ein Kooperationsgebot, um die Länder unmittelbar zu unterstützen. Die Angst vor einem Bildungszentralismus ist daher absolut unbegründet.

 Özcan Mutlu (Archiv).

Özcan Mutlu (Archiv).

Foto: 1196

Es geht um Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Dazu muss das Grundgesetz reformiert werden, damit mehr Investitionen in Bildung erfolgen und eine Bildungsoffensive für eine bessere, gerechte und inklusive Bildung gestartet werden kann.

Nur wenn Bund und Länder hier an einem Strang ziehen und beide sich gemeinsam mit neuen Anstrengungen, die sich ergänzen, auf den Weg machen, kann unser Bildungssystem wirklich besser werden.

Özcan Mutlu (49) ist Mitglied des Deutschen Bundestages und Sprecher für Bildungspolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(RP)
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