Berliner Republik Wie Journalisten auf die Regierungsbildung schauen
Meinung | Berlin · Regierungsbildung - das heißt in der Hauptstadt Ausnahmesituation. Bei der es auf allen Seiten um gute Nerven, Beharrungsvermögen und effektive Bekämpfung von Schlafmangel geht. FDP-Chef Lindner spielt dabei eine besondere Rolle.
Warten, auf verwaiste Mikrofone starren, nochmal warten - das gehört zum Alltag von Journalisten, nicht nur in der Hauptstadt. Doch alle vier Jahre wird diese Alltagssituation zu einem Ritual, das eigenen Ritualen folgt: Regierungsbildung ist angesagt.
Zunächst ist immer alles sehr hektisch im so genannten Berliner Politbetrieb. Zeit und Ort von Sondierungen sollen ja vertraulich sein. Was in schöner Regelmäßigkeit zu Trauben von Journalisten vor Berliner Hotels, Landesvertretungen oder Bürogebäuden führt. Auch Statements gibt es zunächst nicht, klar, alles geheim. Doch dann kann kaum ein Politiker an Kameras vorbeigehen, sicherheitshalber schicken Pressestellen noch einen ungefähren Zeitpunkt hinterher.
Damit auch ja kein Generalsekretär unbemerkt vor eine Türschwelle tritt. Inhaltlich sagen will man aber nichts, es geht um Atmosphärisches. In diesem Jahr wird allerdings nicht verraten, ob und was es zu essen gab. Das könnte zu oberflächlich wirken. Dafür gibt es dann Überraschungs-Selfies. Dieser Coup war zugegebenermaßen gelungen. Überhaupt hat sich FDP-Chef Christian Lindner zum spannendsten Teil der Verhandlungen gemausert. Selfie oder dramatischer Abbruch von Koalitionsgesprächen im kalten Novemberregen – bei ihm kann man nie sicher sein.
Besonders häufig trifft man sich an Wochenenden, besonders gern auch am Abend. Gilt übrigens auch für die Koalitionsausschüsse in den Jahren danach. Woher der Glaube kommt, dass man zu nachtschlafener Zeit besonders gut rüberkommt, wird auch in der neuen Legislaturperiode zu ergründen sein.
So wie im Übrigen ausgerechnet die Christlich-Demokratische Union ihre Parteitage in früheren Jahren immer an Wochenenden in der Adventszeit stattfinden ließ. Wenn man die Debatte in der Partei gerade aufmerksam verfolgt, dann dräut das auch in diesem Jahr: Motto: Morgen Kinder wird’s was geben.
Unsere Autorin ist Leiterin des Berliner Parlamentsbüros. Sie wechselt sich hier mit ihrem Stellvertreter Jan Drebes und Elisabeth Niejahr, der Geschäftsführerin der Hertie-Stiftung, ab.