Gedenkstunde im Bundestag Queere Opfer der NS-Zeit – Historiker fordern mehr Aufklärung

Berlin · Mit der Gedenkstunde am Freitag wird im Bundestag erstmals auch der queeren NS-Opfer gedacht. Es ist das Ergebnis jahrelanger Bemühungen. Das ist Ziel ist für Historiker damit aber noch nicht erreicht.

Die Gedenktafel „Rosa Winkel“ am Nollendorfplatz in Berlin soll an die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen erinnern.

Die Gedenktafel „Rosa Winkel“ am Nollendorfplatz in Berlin soll an die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen erinnern.

Foto: dpa/Jens Kalaene

Am 27. Januar jährt sich die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz. Es ist ein Tag, der jedes Jahr zum Anlass genommen wird, den Opfern des Nationalsozialismus zu gedenken. Traditionell gedenken auch die Abgeordneten des Bundestages mit einer Veranstaltung im Plenarsaal der Millionen Menschen, die entrechtet, verfolgt und ermordet wurden. Eine Opfergruppe wurde bislang jedoch vernachlässigt: queere Menschen. Deshalb sollen bei der diesjährigen Gedenkstunde diejenigen im Mittelpunkt stehen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität Opfer der Verfolgung durch die Nazis wurden.

Es ist das Ergebnis jahrelanger Bemühungen. Denn schon 2018 initiierte der Historiker Lutz van Dijk mit weiteren Unterstützern aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Opferverbänden die Petition „Aufruf zum Erinnern an sexuelle Minderheiten am 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus“. Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hatte diese Initiative aber immer zurückgewiesen. Seine Begründung: Es sollte aller Opfergruppen gleichzeitig gedacht werden. Doch genaue jene Anerkennung von queeren Menschen als Opfergruppe des Nationalsozialismus dauerte mehrere Jahrzehnte. Nicht zuletzt, weil die strafrechtliche Verfolgung nach Paragraf 175 – in der ausschließlich homosexuelle Männer genannt werden – als ausschlaggebend für die Definition von Opfergruppen galt.

„Eine gesellschaftliche Erinnerungskultur darf sich dabei nicht allein an den Kategorien des Nationalsozialismus, wie dem Rosa Winkel, ausrichten. Das wäre absurd“, sagt Henny Engels, Mitglied im Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes, unserer Redaktion. Viele Männer, die gemäß Paragraf 175 wegen vermeintlicher Homosexualität verurteilt wurden, mussten im Konzentrationslager einen rosa Winkel tragen. Dabei ist laut Engels inzwischen erforscht, dass es auch nicht-männliche queere Opfer im NS-Regime gab. Hierfür sei auch mit dem offiziellen Gedenken an die lesbischen Opfer und dem Niederlegen der Gedenkkugel in der Gedenk- und Mahnstätte Ravensbrück im vergangenen Jahr ein Zeichen gesetzt worden.

Über die Verfolgung von Transmenschen ist hingegen nur wenig bekannt. Umso umstrittener ist ihre Anerkennung als Opfergruppe. Dennoch gehörten auch sie zu den Opfern des Nationalsozialismus, wie Rainer Herrn am Mittwoch in Berlin betonte. Laut dem Medizinhistoriker mit dem Schwerpunkt Geschichte der geschlechtlichen und sexuellen Minderheiten waren Transmenschen der Willkür der Nationalsozialisten ausgesetzt – auch wenn sie einen sogenannten „Transvestitenschein“ besaßen, der ihnen das Tragen von gegengeschlechtlicher Kleidung in der Öffentlichkeit erlaubte.

Dijk sieht in der Gedenkstunde ein Signal an andere Opfergruppen, dass Diskussionen auch an die Öffentlichkeit gelangen können, Aufmerksamkeit erlange. Sein Ziel habe er damit aber noch nicht erreicht. „Es muss der Auftrag zu viel mehr sein“, sagte der Historiker am Mittwoch in Berlin. Mehr Forschung, mehr Diskussionen, mehr Anerkennung. Das Erreichen von gesellschaftlicher Aufmerksamkeit sei ein guter Anfang. Denn auch heute gebe es noch zahlreiche homophobe Übergriffe.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) eröffnet die Gedenkstunde am Freitag um 10 Uhr. Anschließend werden unter anderem Rozette Kats, Zeitzeugin des Holocaust, und Klaus Schirdewahn als Vertreter der queeren Community vor dem Plenum sprechen.

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