Forscher befragen Hunderte Teilnehmer Experten sehen in Montagsdemos ein Risiko für die Demokratie

Berlin · Die gefürchtete Protestwelle blieb letztes Jahr aus. Dennoch finden nach wie vor Montagsdemonstrationen in Ostdeutschland statt. Eine aktuelle Studie zeigt auf, warum diese Proteste nicht zu vernachlässigen sind.

 Auch im Januar 2023 beteiligten sich wieder einige Menschen an einer Demonstration der Bewegung „Chemnitz steht auf" in der ostdeutschen Stadt.

Auch im Januar 2023 beteiligten sich wieder einige Menschen an einer Demonstration der Bewegung „Chemnitz steht auf" in der ostdeutschen Stadt.

Foto: picture alliance/dpa/Hendrik Schmidt/DPA

Vor einem „heißen Herbst“ wurde im vergangenen Sommer gewarnt. Angesichts einer Inflationsrate jenseits der zehn Prozent und den gestiegenen Kosten für Energie und Lebensmittel fürchtete man eine große Protestwelle in Deutschland. Nicht zuletzt, weil sowohl Linkspartei als auch AfD und rechtsextreme Gruppierungen zu Demonstrationen aufgerufen haben. Letztendlich war der Herbst aber „lauwarm“, die Protestdynamik nahm mit der Verabschiedung des dritten Entlastungspakets der Bundesregierung ab. Dennoch finden vor allem in Ostdeutschland weiterhin Demonstrationen statt, die laut Experten ein Risiko für die Demokratie darstellen.

Die Berliner Institution „Das Progressive Zentrum“ und die Bertelsmann Stiftung haben eine Analyse der Montagsdemonstrationen durchgeführt, die sie am Mittwoch in Berlin vorstellten. Dafür haben sie im November 2022 und Januar 2023 in Chemnitz und Gera – wichtige Zentren der Proteste – 257 Teilnehmer befragt. Nach wie vor nutzen Menschen diese Proteste, um ihrem Unmut gegenüber den politischen Ereignissen und Entscheidungen öffentlich Luft zu machen. Die Ergebnisse der Studie zeigen vor allem eins: Die Teilnehmer eint ein grundlegend kritisches bis ablehnendes Verständnis von Demokratie.

Ein Großteil der Demonstranten (67 Prozent) ist männlich, mehr als die Hälfte der Teilnehmer ist über 50 Jahre alt und geht seit Jahren regelmäßig montags auf die Straße. Sie bezeichnen sich selbst als „ostdeutsch“, die meisten weisen die Zuschreibung „rechtsextrem“ aber dezidiert von sich. Die Ablehnung allen Regierungshandelns ziehe sich jedoch wie ein roter Faden durch die Interviews, wie die Autoren berichteten. Vor allem den Grünen werde die Kompetenz zum Regieren abgesprochen. Doch auch die AfD halten viele der Befragten für „nicht radikal genug“.

Konkrete politische Forderungen gäbe es hingegen nicht. „Die Proteste kanalisieren eine diffuse Unzufriedenheit und das Gefühl, die eigenen Interessen fänden in der Politik keine Berücksichtigung“, sagte Kai Unzicker von der Bertelsmann Stiftung. Die Kritik am Umgang der Regierung mit dem Ukraine-Krieg war der am häufigsten genannte Grund für die Teilnahme an den Protesten, gefolgt von einer anhaltenden Unzufriedenheit über die Corona-Politik. Obwohl auch der Unmut über die Energiepolitik viele Menschen auf die Straße bringe, spielten soziale Sorgen im Zuge von Preissteigerungen eine untergeordnete Rolle.

Für viele der Befragten ist eine „direkte Demokratie die wahre Form“, wie Co-Autorin Paulina Fröhlich erklärte. Das heißt: Die Volksvertreter sind dafür da, den Volkswillen umzusetzen – ohne Abwägungen. Wegen möglicher Auswirkungen solcher Auffassungen auf die politische Landschaft in Ostdeutschland warnen die Autoren davor, die Proteste zu unterschätzen. Fröhlich appelliert an die Politik, mit verstärkter Förderung politischer Bildung und Verbreitung des liberal-demokratischen Verständnisses zu reagieren: in der Schule, in der Ausbildung, am Arbeitsplatz, in den Medien, im Bürgergespräch. Gleichzeitig sollte der Fokus auf der Machbarkeit von sozialökologischen Maßnahmen liegen. Denn Umweltschutz treffe nicht grundsätzlich auf Ablehnung, lediglich die Frage des „Wie“ verunsichere die Menschen.

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