Tausende Lehrerstellen sind unbesetzt Notmaßnahmen im Kampf gegen den Lehrkräftemangel
Berlin · Der Lehrkräftemangel ist groß – und wird es voraussichtlich auch erstmal bleiben. Um die Not der Schulen dennoch zu lindern, hat das Beratergremium der Kultusministerkonferenz Empfehlungen für kurzfristige Lösungen erarbeitet.
Tausende Lehrerstellen sind in Deutschland derzeit unbesetzt, Unterricht entfällt, die Leistungen der Schüler sinken. Mit Blick auf den personellen Schwund im Bildungswesen spricht der Deutsche Lehrerverband (DL) sogar vom „größten Lehrkräftemangel seit 50 Jahren“. Doch eine schnelle Besserung ist nicht in Sicht: Die Kultusministerkonferenz (KMK) prognostiziert, dass 2030 bis zu 40.000 Lehrkräfte fehlen könnten. Deshalb haben Experten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) – ein Beratergremium der KMK – Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel erarbeitet, die sie am Freitag in Berlin vorstellten.
„Wir müssen im Interesse der Schülerinnen und Schüler über Maßnahmen sprechen, die kurz und mittelfristig wirksam werden“, sagte Felicitas Thiel, Co-Vorsitzende der SWK. Die Empfehlungen konzentrieren sich deshalb unter anderem darauf, die vorhandenen Lehrkräfte bestmöglich einzusetzen. Das heißt: Lehrer, die im oder kurz vor dem Ruhestand sind, sollen Anreize erhalten, um weiter zu unterrichten. Gleichzeitig empfiehlt die Kommission, Teilzeitarbeit – wenn möglich – zu begrenzen. Fast jede zweite Lehrkraft arbeitet nämlich nicht in Vollzeit. Hier liegt der SWK zufolge das größte Potenzial, Ressourcen zu erschließen.
Darüber hinaus soll das vorhandene Lehrpersonal entlastet werden. Neben dem Unterricht müssen sie sich nämlich oftmals noch um Organisations- und Verwaltungsaufgaben, wie die Beschaffung von Unterrichtsmaterialien, kümmern. Diese Aufgaben sollten zukünftig von anderen Stellen übernommen werden. Lehramtsstudierende und weitere Vertretungslehrkräfte könnten das qualifizierte Lehrpersonal zusätzlich unterstützen, zum Beispiel beim Korrigieren von Klassenarbeiten.
Doch auch der Bedarf an Lehrern müsse an den anhaltenden Fachkräftemangel angepasst werden. Obwohl Lehrer das Unterrichten großer Klassen oftmals als belastend empfinden, empfiehlt die SWK, die definierten Obergrenzen auszuschöpfen. Und auch neue, hybride Unterrichtsformate in der Oberstufe könnten eine vorübergehende Lösung sein. Ein Beispiel: Klasse A wird digital zum Unterricht von Klasse B zugeschaltet. Darüber hinaus würden mehr Selbstlernzeiten für Schüler der oberen Gymnasialklassen weniger Personal erfordern. Olaf Köller, Co-Vorsitzender der SWK, erkennt in diesem umstrittenen Modell auch eine Vorbereitung auf das selbstständige Lernen an Universitäten.
Nichtsdestotrotz dürfe die Gesundheit der Lehrer nicht unter der Arbeit leiden. Deshalb fordert die SWK mehr Angebote, um mit der Belastung im Schulalltag besser umzugehen. Die Kommission betont, dass es sich hierbei um Notmaßnahmen handelt, die zeitlich befristet sein müssen. Aktuell arbeite das Gremium deshalb an einem umfangreichen Gutachten, das sich auch mit der langfristigen Verbesserung der Studienerfolgsquote befasst.
Für die Bundesländer sind das keine neuen Ideen: „Viele Empfehlungen des SWK-Gutachtens decken sich mit den Maßnahmen unseres Handlungskonzeptes für eine bessere Unterrichtsversorgung“, sagte Dorothee Feller (CDU), Schul- und Bildungsministerin in NRW, unserer Redaktion. Neben vielen Maßnahmen zur Personalgewinnung bereite die Regierungen auch Entlastungen für Lehrerinnen und Lehrer vor, unter anderem durch den Einsatz von Alltagshelfern.
Auch in Rheinland-Pfalz habe man bereits erste Empfehlungen umgesetzt, wie Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) unserer Redaktion berichtet: „In vielen Punkten hat Rheinland-Pfalz diese Empfehlungen bereits aufgegriffen und verwirklicht, wie zum Beispiel beim Einsatz von gelernten Gymnasiallehrkräften auch in Grundschulen oder beim qualifizierten Quer- und Seiteneinstieg.“ Die weiteren Vorschläge werde man nun gemeinsam diskutieren.
Kritik kommt vonseiten des DL, welcher den Lehrkräftemangel als „hausgemacht“ bezeichnet. „Zum einen wurde viel zu lange der seit 2012 beobachtbare Geburtenanstieg in Deutschland ignoriert, zum anderen wurde zugelassen, dass Abertausende von Lehramtsstudienplätzen in den letzten Jahrzehnten abgebaut wurden“, sagte DL-Präsident Heinz-Peter Meidinger. Der DL setze darauf, dass sich die KMK und die SWK vehement dafür einsetzen, dass bei der pädagogischen und fachlichen Nachqualifizierung die Anforderungsstandards nicht abgesenkt werden.