Kolumne: "Berliner Republik" Runter von unserem Rasen!

Warum eine bessere Schulpolitik in Deutschland immer an den Ministerpräsidenten scheitert.

Kolumne: "Berliner Republik"
Foto: RP/Phil Ninh

Wenn eines fernen Tages Deutschland doch in einem vereinigten Europa aufgegangen sein wird, dann wird das Land bis zuletzt an drei Dingen festgehalten haben, die es von jedem anderen Land der Welt unterscheidet: Das Reinheitsgebot fürs Bier, das Recht aufs Rasen auf den Autobahnen und den Föderalismus.

In keinem anderen Land wird den Gliederungen, in diesem Fall den Bundesländern, auch nur annähernd die Autonomie und Macht gegeben wie hierzulande. Man kann das als gewachsene Geschichte erklären oder als garstige Gabe der Siegermächte nach dem zweiten Weltkrieg. Am Ende kommt einfach beides zusammen.

Der deutsche Föderalismus bringt in seiner Vielfalt Wunderliches hervor. Nehmen wir nur mal den Hecht, also diesen großen Raubfisch mit dem markanten Entenschnabel. Schwimmt dieser Hecht zum Beispiel in der Donau, so kann er von einem Angler in Neu-Ulm, also auf bayerischer Seite, an einem 16. April gefangen werden. Am anderen Ufer in Ulm, Baden-Württemberg, aber erst am 16. Mai, weil die Schonzeit dort für ein und demselben Fisch in ein und demselben Gewässer länger dauert.

Beim Hecht kann man über so was vielleicht noch schmunzeln. Bei Kindern sieht das schon anders aus. Dennoch pocht der real existierende Föderalismus, ist in Gestalt der Ministerpräsidenten, auf die alleinige Hoheit über die Schulpolitik. Das führt dazu, dass ein Abitur in Bremen und eines in Bayern nur den Namen gemeinsam haben.

Seit Jahr und Tag wird versucht, an dieses absurde Alleinstellungsmerkmal der Bundesrepublik zu gehen. Der jüngste Versuch ist der so genannte Digitalpakt der Bundesregierung. Er soll die digitale Bildung der Schüler in Deutschland mit Hilfe von Geld aus dem Bund verbessern.

Die Länder wollen das Geld aber gar nicht, weil sie sich darauf berufen, dass der Bund sich aus ihren Schulen rauszuhalten habe. Kooperationsverbot nennt sich das und steht so im Grundgesetz.

Jedesmal wenn der Bund versucht dieses Kooperationsverbot mit dem Lockmittel Geld jedenfalls teilweise auszuhebeln, dann haken sich noch die spinnefeindesten Länderchefs unter und stehen wie eine Mauer gegen diesen Versuch. Sie kennen dann keine Parteien mehr, um den letzten deutschen Kaiser zu variieren, sie kennen dann nur noch Bundesländer.

Der Digitalpakt ist deshalb nun folgerichtig im Vermittlungsausschuss gelandet. Besonders der politische Jungbulle aus Bayern, Markus Söder, sieht diese Gelegenheit als günstig an, seine Hörner am Berliner Holz zu wetzen. Der Reflex ist dabei immer der gleiche: Runter von meinem Rasen! heißt die Parole, auf Argumente wartet man vergebens. Legendär der Satz von Hessens Ministerpräsident Roland Koch zu einem 4-Milliarden-Euro-Paket der Regierung Schröder für den Aufbau von Ganztagsschulen: „Wir lassen uns keine goldenen Zügel anlegen“, ließ Koch wissen und den Berliner Kanzler abblitzen.

Auch jetzt kommt in de Sache allenfalls der Hinweis, dass der deutsche Bildungsföderalismus den Wettbewerb fördere und alle nötigen Abstimmungen in der gemeinsamen Kultusministerkonferenz getätigt würden. Die KMK wäre einen eigenen Kommentar wert, daher nur zum Wettbewerbsargument. Wettbewerb ist dort, wo Wahlmöglichkeit besteht. Wettbewerb findet statt, wenn ich mich statt dieser Digitalkamera für jene einer anderen Firma entscheide. Das ist aber bei der Schule nicht gegeben. Niemand aus Bremen kann sich für eine bayrische Schule entscheiden, außer er zöge eigens dafür um.

Es geht bei diesem Aspekt des deutschen Föderalismus nicht nur darum, ob aus einem Hecht schon ab 45 Zentimetern Klößchen werden dürfen, oder erst ab einem halben Meter. Es geht um die Startbedingungen der Kinder, die, das schreibt das Grundgesetz ebenso vor wie das unselige Kooperationsverbot, überall gleich sein sollten. Was sie aber nicht sind.

Das Recht auf gleiche Lebensbedingungen ist höher zu bewerten als das Kooperationsverbot. Aber wird letzteres deshalb jemals fallen? Wer wagt eine Prognose, was überdauert am längsten? Das Recht aufs Rasen, das Reinheitsgebot oder das Kooperationsverbot?

Christoph Schwennicke ist Chefredakteur des „Cicero“ und schreibt regelmäßig an dieser Stelle im Rahmen einer Kooperation.
Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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