Kolumne: Berliner Republik Hier heiraten keine Kinder

Berlin · Ob das ansteckend ist wie Schnupfen? Nach Justizminister Heiko Maas hat sich auch Parteikollegin Aydan Özoguz zum gesetzlichen Verbot der Kinderehe zu Wort gemeldet.

Ein pauschales Verbot von Ehen Minderjähriger sei zwar gut gemeint, könne aber im Einzelfall junge Frauen ins soziale Abseits drängen, sagte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, jüngst der Funke-Mediengruppe. So. Jetzt erstmal sich selbst herzhaft in den Arm gezwickt und unauffällig Richtung Himmel geguckt, ob da Scheinwerfer oder Kameras zu sehen sind, für den Fall, dass man als Einziger nicht weiß, dass in realer Kulisse gerade eine deutsche Verfilmung von Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung" gedreht wird - wie Jim Carrey in der "Truman Show".

Ist nicht der Fall. Gut. Dann kurz die Augen gerieben, sich geschüttelt, und der Reihe nach. Es ist eine zivilisatorische Errungenschaft dieses Kulturraums, dass ein gesellschaftlicher Konsens darüber besteht: Eine Ehe soll aus freiem Willen beider Partner geschlossen werden. Der freie Wille, die geistige Reife entwickelt sich erst einige Jahre nach der Geschlechtsreife, weshalb auch die Strafmündigkeit aus guten Gründen an die geistige Reife gekoppelt ist. Auch diverse andere Pflichten und Privilegien sind an die geistige Reife geknüpft, die man Volljährigkeit nennt. Nicht die Geschlechtsreife macht den Erwachsenen. Sondern die geistig-sittliche.

Dieser Kulturraum ist mit dem Modell der Ehe zwischen zwei Erwachsenen im Großen und Ganzen gut gefahren. Es bildet - bei all seinen Defiziten und Nachteilen - das Rückgrat unseres gesellschaftlichen Zusammenseins. Es mag hier und da weiter Ehen geben, die von Dritten herbeigeführt werden. Aber seit mehr als einem Jahrhundert hat sich hierzulande und überhaupt mehrheitlich das Prinzip der Liebesheirat im Vollbesitz der geistigen Kräfte beider Beteiligter etabliert. Dieser Vorgang war übrigens Teil der Emanzipation des Bürgertums vom Adel, also Teil des Aufklärungsprozesses in der Folgezeit der Französischen Revolution. Um ein Churchill-Wort abzuwandeln: Unter den schlechten Formen des Zusammenlebens ist die Ehe zwischen zwei Erwachsenen auch nach allen Variationsversuchen Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre immer noch die beste. So alt ist die Festlegung auf 18 Jahre beziehungsweise 18 und 16 übrigens noch nicht. Bis 1974 konnten in Deutschland noch Ehen unter und mit Minderjährigen geschlossen werden. Dem ist nicht mehr so. Und das ist gut so.

In anderen Ländern und anderen Kulturräumen funktioniert und stabilisiert vielleicht etwas anderes als die Erwachsenenehe zwischen zwei Partnern. Dann sei es so. Darauf hat der Rechtsstaat keinen Einfluss. Aber in den Grenzen dieses Landes hat er es. Und da sollte es keiner weiteren Diskussion bedürfen, dass man sich im Prinzip auf ein Verbot der Kinderehe ebenso verständigt wie auf ein Verbot von Diebstahl, Mord und Totschlag. Wer aus guten Gründen und Überzeugung sagt: Hier gilt das Grundgesetz und nicht die Scharia, der muss auch sagen: Hier heiraten keine Kinder. Punkt.

Es mag dann im Detail Dinge zu klären geben: Wie verfährt man mit denjenigen, die minderjährig anderswo geheiratet haben? Gilt diese Ehe hier? Kann es Ausnahmen geben, etwa weil einer der Partner sterbenskrank ist und gerne vor dem Tod noch die Ehe schließen möchte? Alles diskutierbar, alles hinzukriegen. Aber es geht nicht um diesen oder jenen Spezialfall. Es geht um ein Zeichen. Ein Stoppzeichen.

Christoph Schwennicke ist Chefredakteur des "Cicero" und schreibt regelmäßig an dieser Stelle im Rahmen einer Kooperation. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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