Berliner Republik Frischluft für die Berliner Käseglocke

Seit Jost Stollmann und Paul Kirchhof sind Seiteneinsteiger in der Politik problembehaftet. Ein neues Buch belegt das systematische Scheitern der Externen im Politikbetrieb. Die SPD wagt trotzdem einen neuen Versuch.

Joachim Gauck ist eine besondere Spezies in der Berliner Republik. Er ist erfolgreicher Seiteneinsteiger. Der Ex-Pfarrer wurde nicht nur mit breiter Mehrheit vor einem Jahr zum Bundespräsidenten gewählt. Er ist auch beliebt im Volk.

Für die meisten Polit-Neulinge galt das nicht. Von Rudolf Augstein bis Dagmar Schipanski, von Paul Kirchhof bis Horst Köhler ist die Geschichte der Seiteneinsteiger eine des Scheiterns. Die Mechanismen und Rituale in der Politik sind für Neulinge oft unüberwindbar. Außenstehende blieben Außenseiter. Oder wie es Rita Süssmuth einst formulierte: "Die von draußen sind oft schneller wieder raus, als sie in die Politik eingestiegen sind." Dass die (Berufs-)Politiker gerne nach der urbayerischen Devise "mia san mia" unter sich bleiben, ist nun erstmals wissenschaftlich belegt. Der Journalist Moritz Küpper skizziert in dem lesenswerten Buch "Politik kann man lernen", wie schwer sich Externe mit der Politik tun. Paul Kirchhof, der 2005 für die CDU antrat und fortan von der SPD als "Professor aus Heidelberg" denunziert wurde, und der SPD-Unternehmer Jost Stollmann, der 1998 von Gerhard Schröder zum Überraschungskandidaten auserwählt wurde, sich aber weigerte, als Genosse angesprochen zu werden und deshalb Parteiveranstaltungen ausfallen ließ, sind nur die prominenten Fälle. Die Karrieren der Seiteneinsteiger — zwischen 1949 und 2009 kamen bei 4000 zu besetzenden politischen Positionen nur 250 Externe zum Zug — waren oft von kurzer Dauer. Den Neulingen fehlten Allianzen, Netzwerke und politische Raffinesse. Besonders willkommen sind sie zudem nicht, besonders verschlossen zeigen sich der Analyse zufolge Union und SPD. Auch Kanzlerin Merkel, durch ihren späten Weg in die Politik gewissermaßen selbst Quereinsteigerin, setzt seit Kirchhof wieder auf Polit-Profis und besetzte das Bildungsressort unlängst mit einer erfahrenen Landespolitikerin statt mit einer Fachperson von außen. Schade.

Denn der Erfolg der Externen könnte den Politikverdrossenen im Land das Signal geben: So schlimm sind "die da oben" gar nicht. Austausch schafft Verständnis. Und frische Luft könnte der Berliner Käseglocke gut tun. Nun wagt offenbar Peer Steinbrück einen Neuanlauf. Der SPD-Kanzlerkandidat will eine Frau außerhalb der Politik ins Kompetenzteam holen. Dass es die Politiker selbst am besten könnten, hat der SPD-Mann stets wortreich bestritten: "Die Zahl der Idioten ist überall in der Gesellschaft gleich verteilt." Mal sehen, ob die SPD das auch so sieht und dem Neuling im Team genug Beinfreiheit gewährt.

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(btö)
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