Berliner Republik Die große Krise als Chance, die kleine Krise als Risiko

Berlin · Große Krisen stabilisieren eine Regierung, wie Euro und Krim zeigen. Kleine Krisen zersetzen sie, wie die Edathy-Affäre und die Rente ab 63 belegen. Ein Teil des Erfolgs der Kanzlerin erklärt sich mit diesen Mechanismen: Die großen Krisen managt sie, aus den kleinen hält sie sich einfach raus.

Seefahrer sagen: Aus der Nähe klärt sich alles. Und so regiert Angela Merkel auch die Republik — eine Seefahrerin, die den Dampfer Deutschland auf Sicht steuert. Während sie dafür in der Innenpolitik oft gescholten wurde, hat diese Taktik in Krisensituationen ihre Umfragewerte, die Regierung und am Ende auch das Land stabilisiert. Man denke an die Euro-Krise zurück, in der Merkel das Ruder stets erst dann bewegte, als es die nächste Klippe zu umschiffen galt.

Ihr half, dass es den Deutschen relativ gut ging, während andere Teile Europas viel schlimmer unter der Euro-Krise litten und noch leiden. Trotz der anhaltenden Krise in Europa hat die deutsche Industrie volle Auftragsbücher und das Land eine niedrige Arbeitslosigkeit. Dies honorieren die Wähler und erhöhen in Umfragen und Wahlen die Zustimmungswerte für eine Regierung.

François Hollande erlebt derzeit genau das Gegenteil. Auch sein Frankreich ist von den Ausläufern der Euro-Krise geplagt. Hinzu kommt, dass in dem Land ein Reformstau herrscht, der die Arbeitslosigkeit in die Höhe treibt. In einer solchen Lage haben radikale Parteien leichtes Spiel, wie die Kommunalwahlen in Frankreich zeigen.

In der Krim-Krise funktioniert der Mechanismus ähnlich, auch wenn die Probleme eine völlig andere Dimension haben. Innenpolitisch hat die Auseinandersetzung mit dem russischen Präsidenten identitätsstiftende Wirkung. In den Fragen, ob und wie Wladimir Putin die Stirn geboten werden muss, arbeitet Merkel mit ihrem Außenminister Frank- Walter Steinmeier Hand in Hand. Die beiden geben eine so gute Figur ab, dass sogar die Grünen voll des Lobes über die Regierung sind.

Der Effekt: Trotz öffentlicher Zankereien um Rente, Mindestlohn und Doppelpass sind die Umfragewerte der großen Koalition stabil. Gegen das alles überragende Thema der Krim-Krise verblassen die Streitigkeiten um die innenpolitische Gesetzgebung. Die reale Gefahr einer Frühverrentungswelle wird durch die Krise nicht kleiner, im Vergleich verliert sie aber an Bedeutung.

Das krasseste Beispiel dafür, wie echte Krisen die Scheinkrisen verdrängen, gab es im September 2001. Damals beschäftigte sich ganz Deutschland mit einem turtelnden Verteidigungsminister. Rudolf Scharping (SPD) stand kurz vor dem Rücktritt, als der katastrophale Anschlag vom 11. September geschah. Selbstverständlich interessierte sich niemand mehr für die Plansch-Fotos mit seiner Partnerin, der Gräfin Kristina Pilati. Vielmehr galt es in Deutschland und Europa, geschlossen den Amerikanern die Solidarität zu versichern. Die Regierungskrise musste verschoben werden. Und Scharping blieb vorerst im Amt.

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(qua)
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