Nahles und Gabriel verbünden sich SPD-Linke übernimmt die Macht

Berlin (RP). Mit einer taktischen Meisterleistung haben sich die SPD-Linken Posten und Einfluss in der neuen SPD gesichert. Ausgerechnet die einst verfeindeten Nachwuchshoffnungen Andrea Nahles und Sigmar Gabriel schließen einen Pakt, setzen sich an die Spitze und werden die Partei zu einem Linkskurs drängen. Fraktionschef Steinmeier erwarten harte Kompromisse.

SPD-Fraktionstreffen: Ein Blick in die Gesichter
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Es ist die neue SPD, die um kurz nach 15 Uhr aus dem Aufzug der Fraktionsebene im Reichstag stolziert. Sigmar Gabriel und Andrea Nahles, umringt von ihren Beratern und Büroleitern, schreiten gemeinsam in den Fraktionssaal, wo sich an diesem Dienstag zum ersten Mal die um ein Drittel geschrumpfte Bundestagsfraktion der Sozialdemokratie trifft. Wie es mit der SPD nach der historischen Wahlniederlage weitergeht, hatten die beiden Nachwuchshoffnungen Gabriel (50) und Nahles (39) da allerdings längst verabredet.

Schon am späten Montagabend waren die Pläne von Ex-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, neben dem Fraktionsvorsitz auch den Parteivorsitz zu übernehmen, Makulatur. Gabriel und Nahles signalisierten am Nachmittag Vertrauten, dass dies als "personelle Erneuerung" nicht ausreichen würde. In der Sitzung der Landes- und Bezirkschefs gab es am Abend dann erhebliche Widerstände gegen Steinmeiers Doppelrolle. Öffentlich forderte der Berliner Landesverband sogar den Rücktritt der gesamten Führungsriege.

NRW und Niedersachsen gaben den Ausschlag

Entscheidend waren offenbar die SPD-Chefs von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, den einflussreichsten, weil zahlenmäßig größten Landesverbänden. Bei einem Glas Rotwein einigte sich die NRW-SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft, der niedersächsische Landesvorsitzende Garrelt Duin und der neue Chef der Bayern-SPD, Florian Pronold, auf die Unterstützung von Gabriel. Pronold ist aufstrebender Vertreter der SPD-Linken, Duin hatte das Verhandlungsmandat der konservativen "Seeheimer" in der SPD. Und Hannelore Kraft, die im Mai 2010 eine Landtagswahl gewinnen will, winkt ein Vize-Posten in der Bundespartei. Damit hatte Gabriel, der nicht einmal einen Sitz im Parteipräsidium hat, die mächtigsten Landesverbände und Strömungen hinter sich gebracht.

Der Versuch der Berliner Genossen, ihren Vorzeige-Mann Klaus Wowereit an die Spitze zu hieven, schlug fehl. Wowereit muss eine schwere SPD-Niederlage in Berlin verantworten und zeigte in der Präsidiumssitzung wenig Ehrgeiz, den Spitzenposten für sich zu reklamieren. Sein Landesverband gilt als rabiat und nur wenig integrierend. Auch Olaf Scholz, der wahrscheinliche neue SPD-Vize, soll sich für Gabriel ausgesprochen haben. Der 50-jährige Umweltminister gilt zwar in Teilen der Partei als "politischer Hallodri", dem es nur auf Inszenierung ankommt. Doch ist Gabriel, spätestens nach dem Rückzug Steinbrücks, rhetorisch in der Partei unangefochten.

Gabriel taufte sein Programmbuch um

Das Mitglied des reformorientierten Netzwerker-Flügels hat sich in den vergangenen Monaten geschickt der Parteilinken geöffnet. Gabriels Programmbuch, das ursprünglich "Links. Die neue Mitte", heißen sollte, taufte er in "Links neu denken" um. Darin verkündet Gabriel gleich zu Beginn: "Seit meiner politischen Sozialisation in den 70er Jahren habe ich mich als Linker verstanden." Später kämpfte er wortgewaltig für Klimaschutz, die Reichensteuer und milliardenschwere Konjunkturprogramme. Allesamt Lieblings-Themen der Linken.

Auslöser für die Rebellion gegen Steinmeier als Parteichef soll aber erst der gemeinsam Auftritt des Ex-Kanzlerkandidaten und des Noch-Parteichefs Müntefering am Sonntagabend nach der Wahl gewesen sein. "Die haben so getan als könne es einfach weitergehen und Entscheidungen von oben diktiert werden", schimpft ein SPD-Linker. "Da mussten wir handeln." Das "Weiter-so" der Parteispitze brachte dann sogar die ewigen Gegner Nahles und Gabriel zusammen.

"Dem hört doch keiner mehr zu"

"Die Not schweißt bekanntlich zusammen", sagt einer, der beide gut kennt. In den vergangenen Monaten haben die Beiden nur das Nötigste miteinander besprochen. Jetzt sollen sie eine zermürbte Partei aufrichten.
Die neuen Machtverhältnisse in der SPD waren vor und nach der Fraktionssitzung zu sehen. Skurrile, teilweise dramatische Szenen spielten sich in der einstigen Regierungspartei ab. Als der scheidende SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck vor den Mikrofonen Stimmung für Steinmeier machte, lästerte ein Abgeordneter der Parlamentarischen Linken. "Dem hört doch keiner mehr zu."

Führende "Netzwerker", etwa Nina Hauer und Kerstin Griese, ließen sich von Parteifreunden trösten. Sie haben ihr Mandat verloren. Klaas Hübner, der einzige Unternehmer in der Fraktion, gehört auch dazu. Die Parteilinke verweigerte ihm einen sicheren Listenplatz. "Ich werde dich vermissen", raunt ihm Peer Steinbrück zu, als beide vor der Fraktion stehen. Auf die Frage, was er jetzt machen werde, antwortet Hübner nur knapp: "Reich werden". Steinbrück scherzt: "Dann muss uns Westerwelle aber die Steuersenkungen geben."

Auch Hubertus Heil, der treue Parteisoldat, der unter Kurt Beck und Franz Müntefering gewissenhaft Flügelkämpfe als "Diskussionsprozess" verkaufte, verkündet melancholisch seinen Rückzug aus dem Willy-Brandt-Haus.
Es ist eine neue SPD, die gestern ihre Arbeit aufnahm. Steinmeier dürfte sich als Fraktionschef einigen Kompromissen beugen.

(RP)
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