Umweltminister soll Müntefering beerben Sigmar Gabriel — der neue SPD-Chef

Berlin/Goslar (RP). Gerhard Schröder wusste es mal wieder vor allen anderen Genossen: "Sigmar Gabriel hat noch viel vor. Er hat auch noch viel vor sich", bewies der Altkanzler prophetische Fähigkeiten in seiner Rede auf Gabriels Geburtstagsfeier am 12. September. 450 Freunde und Weggefährten, neben den Schröders auch Müntefering und RWE-Chef Jürgen Großmann, hatte der bisherige Bundesumweltminister anlässlich seines 50. Geburtstags ins Goslarer Bergwerksmuseum eingeladen. "Mit 50 wird man erwachsen", bat Gabriel, "helft mir dabei!"

 Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) auf dem Weg zur Fraktionssitzung in Berlin.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) auf dem Weg zur Fraktionssitzung in Berlin.

Foto: ddp, ddp

Jetzt muss Gabriel wirklich Reife beweisen. Der Gymnasiallehrer für Deutsch und Politik soll als Nachfolger von Franz Müntefering neuer Vorsitzender der mit 146 Jahren ältesten deutschen Partei werden. Münte sprach einst vom "schönsten Amt neben Papst", das stimmt in Gabriels Fall auf keinen Fall: Der schwergewichtige, 1,75 Meter große Sohn einer Krankenschwester (geschieden, eine erwachsene Tochter, jetzt mit Zahnärztin Anke Stadler aus Magedeburg liiert) muss die SPD nach ihrem 23-Prozent-Desaster bei der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag wiederaufrichten und die auf 147 Abgeordnete geschrumpfte Abgeordnetentruppe im Reichstag zu einer schlagkräftigen Einheit formen.

Zu viel für einen Mann? Vielleicht. Aber möglicherweise ist der schlagfertige, zuweilen bissige Gabriel — im Duett mit der ebenfalls nicht auf den Mund gefallenen Andrea Nahles (39) als Generalsekretärin — die letzte Hoffnung der gebeutelten SPD.

Gabriel kam 1998 erstmals als SPD-Fraktionschef im Niedersächsischen Landtag in politische Verantwortung. Gerhard Schröder schob ihn damals in diese Position. Nicht zuletzt, weil Gabriel als einer von wenigen im Landtag Schröder zu widersprechen traute. Legendär der Auftritt, als Gabriel nach einem lautstarken Streit über Schröders Innenpolitik türenknallend den Fraktionssaal in Hannover verließ.

1999 wurde Gabriel nach dem Rücktritt von Gerhard Glogowski neuer Ministerpräsident. Diesen Posten verlor er allerdings 2003 krachend, fuhr gegen Christian Wulffs CDU nur noch 33 Prozent ein. "Ich wollte zu schnell zu viel, habe viele Fehler gemacht", gestand er später ein. Gabriel, schon wieder kreuzte Schröder seinen Weg, scheiterte aber auch am Unmut der Wähler über die rot-grüne Koalition in Berlin. "Wir haben uns ausgesprochen", erzählte Schröder süffisant auf Gabriels Geburtstag, "jetzt sind wir uns einig: Er ist für die Niederlage verantwortlich, ich für ihre Höhe."

Nach dem Sturz galt Gabriel als früh gescheitert, wurde zum "Popbeauftragten" des Parteivorstands ernannt und erniedrigt. Aus dieser Zeit rührt allerdings die Freundschaft des ordentlichen Sängers Gabriel zu Klaus Meine von den Scorpions und Peter Maffay, der im Wahlkampf ein Konzert in Salzgitter fü r ihn gab. Hobbysegler Gabriel dachte damals ans Aussteigen, einen Job in der Wirtschaft. Das Etikett "Siggi Pop" klebte hartnäckig an ihm, ehe Müntefering Gabriel wiederentdeckte. Der saß 2005 gerade bei Frank Plasbergs "Hart aber fair", als Müntefering dreimal vergeblich auf seinem Handy anrief, um ihm den Posten des Umweltministers anzubieten. Schließlich erreichte ein Freund Gabriel: "Wenn du Münte nicht zurückrufst, ist der Job weg."

Der Rest ist bekannt: Gabriel arbeitete sich für alle überraschend schnell in das neue Amt ein, beging kaum noch Fehler, allenfalls anfangs, als er sich zum Patenonkel des Eisbären "Knut" küren ließ. In diesem Jahr machte er es sogar mit einem fulminanten Anti-Kernkraft-Wahlkampf als einziger Spitzengenosse wirklich überzeugend auf sich aufmerksam, gewann seinen Wahlkreis Salzgitter-Wolfenbüttel mit 44,9 Prozent der Stimmen direkt — das beste SPD-Einzelergebnis in Niedersachsen.

Fraktionschef, Ministerpräsident, Minister — nur Parteichef war Gabriel außerhalb des Braunschweiger Landesverbandes noch nicht. Er wird dazu lernen müssen. Immerhin versteht er es, die rote Seele zu streicheln. Gern erzählt er in seinen Reden die Geschichte vom 100-jährigen Sozialdemokraten, der erklärte: "Man muss das Leben nehmen, wie es kommt. Aber man darf es nicht so lassen." Die vielsagende Anekdote stammt ursprünglich von — Franz Müntefering.

(RP)
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