Erstmals in der Geschichte wird das Präsidialamt durchsucht Razzia in Wulffs Revier

Die Affäre um Bundespräsident Christian Wulff und seinen Ex-Sprecher Olaf Glaeseker nimmt immer bedenklichere Dimensionen an: Erstmals in der Geschichte wurde nun das Präsidialamt durchsucht.

Berlin Der Staatsanwalt musste nicht einmal klingeln am Spreeweg 1 in 10557 Berlin. Er wurde erwartet. Donnerstag früh reiste ein Strafverfolger aus Hannover mit Beamten des niedersächsischen Landeskriminalamtes nach Berlin mit einem ungewöhnlichen Ziel und einem sensationellen Papier in der Tasche: einem richterlichen Durchsuchungsbeschluss, ausgestellt auf das Bundespräsidialamt. "Unglaublich", fand SPD-Chef Sigmar Gabriel diesen beispiellosen Vorgang, dessen Bekanntwerden gestern in eine SPD-Vorstandsklausur platzte.

Es ist der vorläufige Höhepunkt einer nun schon seit sieben Wochen anhaltenden Präsidialaffäre, die in der Geschichte der Republik ihresgleichen sucht. Mitte Dezember war ein ungewöhnlicher Privatkredit für Wulff zur Finanzierung seines Hauses bekannt geworden. Das hatte frühere offizielle Äußerungen im Namen des Präsidenten noch in seiner Zeit als niedersächsischer CDU-Ministerpräsident über persönliche Geschäftsbeziehungen mit Geschäftspartnern der Landesregierung in neuem Licht erscheinen lassen.

Was für Wulff die halbe Million von Edith Geerkens, der Gattin des Unternehmers und Wulff-Freundes Egon Geerkens war, ist für seinen engsten Vertrauten und langjährigen Sprecher in Niedersachsen und Berlin, Olaf Glaeseker, eine Serie von Flügen und Urlauben auf Einladung seines langjährigen Freundes Manfred Schmidt. Glaeseker soll im Gegenzug dafür die Veranstaltungsreihe "Nord-Süd-Dialog" zu einem einträglichen Geschäft für Partymanager Schmidt gemacht haben — mit der Einwerbung von Sponsoren und mit Unterstützung der Landesregierung.

Doch während sich die Wogen der Aufregung über Wulffs Kredit mitsamt Anschlussfinanzierung inzwischen gelegt haben, weder Staatsanwaltschaft noch Bank nach eingehender Prüfung etwas zu beanstanden hatten, gerät Glaeseker immer tiefer in den Strudel. Hat Wulff ihn kurz vor Weihnachten entlassen, weil die beiden einst "Unzertrennlichen" angesichts der Welle an Vorwürfen eine neue Rollenverteilung auf sich zukommen sahen? War für Glaeseker die Rolle des "Bauernopfers" ausersehen? Also jene Figur, die Schachspieler an die Front werfen, um einen gegnerischen Angriff auf den König abzuwehren, wohl wissend, dass der "Bauer" die Attacke nicht überstehen wird?

Bislang müht sich die Opposition vergebens, die Affäre Wulff zu einer Niederlage für die Kanzlerin zu machen. Auch gestern versuchte sie es erneut. Nach der Razzia in Wulffs Revier hielten die Sozialdemokraten abermals die Zeit für ein klärendes Wort Merkels für gekommen. "Es reicht", sagte Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann.

Tatsächlich war es die CDU-Vorsitzende, die zusammen mit den Parteichefs von CSU und FDP Wulff zum Nachfolger des zurückgetretenen Präsidenten Horst Köhler erkor und ihn erst im dritten Wahlgang durchsetzen konnte. Aber die abstürzenden Vertrauenswerte für Wulff ließen Merkels Ansehen unangetastet. Durch ihre Führungsrolle bei der Euro-Rettung konnte sie vielmehr dazugewinnen. So erlebt die Öffentlichkeit derzeit eine bemerkenswerte Fahrt mit einem "Pater noster": Während Glaeseker in seiner Kabine immer weiter nach unten fährt, ist Merkel weiter auf dem Weg nach oben — und versucht nun auch, Wulff mit nach oben zu ziehen. Angesichts der beispiellosen Razzia im Präsidialamt mied Merkel nämlich jede Distanz. Sie setzte vielmehr noch einen weiteren Ausdruck des Vertrauens oben drauf: "Unser Bundespräsident wird viele weitere wichtige Akzente für unser Land und unser Zusammenleben setzen", sagte sie am Wochenende.

Somit besteht die ungewöhnliche Möglichkeit, dass der Durchsuchungsbeschluss mit dem Ziel Präsidialamt zu einem Persilschein für den eigentlichen Hausherrn wird. Zwar ist das in dem dunklen, eierförmigen Verwaltungsbau formal der Chef des Bundespräsidialamt, Wulffs alter Bekannter Staatssekretär Lothar Hagebölling. Doch über allem trägt der Präsident selbst die Gesamtverantwortung. Und der hatte rechtzeitig eine Brandmauer zwischen seinem Amtszimmer im Schloss Bellevue und dem Verwaltungsbau nebenan errichtet.

Denn Wulff ließ seinem einstigen engsten Vertrauten Glaeseker den Zugang zu seinem früheren Arbeitszimmer verweigern. In Hannover hatte Glaeseker sein Büro sozusagen "besenrein" übergeben. Dem Vernehmen nach fanden sich in seinen dortigen Hinterlassenschaften lediglich Reden- und Textentwürfe, aber kaum Aufzeichnungen über interne Vorgänge. Die müssen, wenn überhaupt, mitsamt persönlichen Unterlagen im Berliner Präsidialamt gelegen haben und waren offenbar von seiner kommissarischen Nachfolgerin Petra Diroll unangetastet geblieben — vielleicht ahnend, dass da noch etwas nachkommen könnte.

Und es kam etwas nach. Als sich der Verdacht der Bestechlichkeit nach den ersten Durchsuchungen der Privatanwesen von Glaeseker und Partymanager Schmidt laut Staatsanwaltschaft erhärtet hatte, fragte diese sowohl in Hannover bei der Staatskanzlei als auch in Berlin beim Präsidialamt nach, ob weitere Dokumente zur Verfügung gestellt werden könnten. Hannover konnte liefern, Berlin nicht.

Denn Wulff wollte nun keinen neuen Vertuschungs-Verdacht mehr und verwehrte Glaeseker die Möglichkeit, sein Büro auf- und auszuräumen, nachdem er dieses am 22. Dezember verlassen hatte. Gleichzeitig zeigte er sich aber nicht in der Lage, in Glaesekers persönlichen Dingen zu schnüffeln. Damit provozierte er das Eingreifen der Ermittler, die vergangene Wochen "mehrere Stunden" Glaesekers Sachen durchforsteten und dann "schriftliche Unterlagen und Computerdateien" sicherstellten. Nun darf laut Präsidialamt auch Glaeseker wieder herein und "jederzeit" seine Sachen packen.

(RP)
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