Erster Deutsche Pflegetag in Berlin Pflege: 130 000 Mitarbeiter fehlen

Berlin · Der Pflegeberuf ist für Jüngere unattraktiv, denn die Arbeitsbelastung ist hoch, die Bezahlung gering. Die Erwartungen an die geplante Pflegereform sind entsprechend hoch. In Berlin läuft der erste Deutsche Pflegetag.

Schon der Termin mahnt die Regierung zur Eile. Sie ist erst fünf Wochen im Amt, da laden bereits die Pflegeverbände ab heute zum ersten "Deutschen Pflegetag", einem mehrtägigen Kongress in Berlin. Die Branche steht unter erheblichem Veränderungsdruck, doch eine große Reform bleibt seit Jahren aus. "Die Pflegenden kommen jeden Tag näher an die Belastungsgrenze", berichtet etwa Winfried Bauer, Bezirksgeschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt Rheinland, die allein 1200 Pflegekräfte beschäftigt.

Der Pflegebranche fehlt es an Personal, Geld und Konzepten für die Anforderungen einer älter werdenden Gesellschaft. Reformen haben schon mehrere Regierungen versprochen, zahlreiche Kommissionen beschäftigten sich mit dem Thema. Doch Mut und Durchsetzungskraft fehlten bislang allen.

Die Branche leidet schon jetzt unter einem überall spürbaren Fachkräftemangel, der in Zukunft noch deutlich größer werden wird.

"Die Pflegereform muss darauf abzielen, den Beruf wesentlich attraktiver zu machen. Dabei geht es nicht nur um eine bessere Bezahlung, sondern vor allem auch um bessere Arbeitsbedingungen. Die erreicht man nur durch mehr Personal", sagte der Sprecher der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Jan Jurczyk.

2013 fehlten der Branche bereits 130 000 Vollzeit-Fachkräfte, schätzt die Gewerkschaft. Bis 2030 steige der Fehlbedarf auf mehr als 300 000 Stellen in der Altenpflege. Derzeit arbeiten in Deutschland 950 000 Menschen in der Branche. Bundesweit sind bereits rund 2,5 Millionen Menschen auf Pflege angewiesen, Tendenz steigend. Die Erwartungen an den neuen Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sind hoch. Viele werten es als gutes Zeichen, dass er heute den deutschen Pflegetag eröffnet.

Auch die wachsende Zahl Demenzkranker erhöht den Handlungsbedarf für die Regierung. "Demenzkranke haben spezielle Bedürfnisse, die bisher in der Pflegeversicherung nicht berücksichtigt werden", sagt Bauer. Für Beeinträchtigungen des Gedächtnisses gibt es aber bislang nur sehr geringe Leistungen aus der Pflegeversicherung. Die Regierung soll hier durch eine Neufassung des Pflegebegriffes rasch Abhilfe schaffen.

Die Regierung hat im Koalitionsvertrag angekündigt, "die Leistungen der Pflegeversicherung auszuweiten und so den Bedürfnissen pflegebedürftiger Menschen und ihrer Angehörigen besser zu entsprechen". Dazu wird der Pflegebeitrag zunächst ab 2015 um 0,3 Prozentpunkte steigen, später um weitere 0,2 Prozentpunkte. Insgesamt fünf Milliarden Euro mehr sollen damit in die Pflegekasse fließen. Festgelegt hat die Koalition, dass der insgesamt um 0,5 Prozentpunkte steigende Beitragssatz zu 0,2 für die Leistungsausweitung, zu 0,2 für festgelegte Steigerungen der bisherigen Pflegesätze und zu 0,1 für den Aufbau eines Kapitalstocks in der Pflegeversicherung genutzt werden.

Die Branche ist für viele jüngere Leute unattraktiv: Altenpfleger in Deutschland zu sein, bedeutet eine hohe körperliche und seelische Belastung bei vergleichsweise geringer Bezahlung. Viele ausgebildete Kräfte gehen deshalb ins europäische Ausland, nach Luxemburg oder in die Schweiz, wo sie bei geringerer Arbeitsbelastung besser bezahlt werden. Zudem wechseln viele nach mehreren Jahren die Branche. "Wir können nicht einmal den Bedarf an Nachrückern für altersbedingt ausscheidende Pflegefachpersonen decken können, wenn nicht endlich durch bessere Arbeitsbedingungen dafür gesorgt wird, dass die Fachkräfte in ihrem Beruf bleiben und auch gesund bleiben", sagt Johanna Knüppel, Sprecherin des Bundesverbandes der Pflegeberufe. Die Verweildauer in der Altenpflege betrage durchschnittlich nur 8,4 Jahre nach Abschluss der Berufsausbildung — mit sinkender Tendenz. "Wir haben also genügend ausgebildet, bleiben aber tatenlos, wenn es um die Bindung geht", sagt Knüppel.

Rund 60 Prozent der Beschäftigten in der Altenpflege arbeiten bundesweit ohne Tarifbindung. Zudem erweisen sich die Kirchen oft als knausrige Arbeitgeber, und sie lassen sich ungern hineinreden. Der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst in den Pflegeberufen lag 2012 bei nur 2360 Euro. In Einrichtungen ohne Tarifbindung war das Einkommen um durchschnittlich 19 Prozent niedriger. Auch der 2010 eingeführte Mindestlohn von derzeit neun Euro im Westen und acht Euro pro Stunde im Osten hat den Arbeitskräftemangel kaum gelindert. "Wir haben ein Fachkräfte-Problem, der Mindestlohn wird Helfern gezahlt und da ist das Angebot übergroß", sagt Knüppel.

(rl, mar)
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