Ronald Pofalla Merkels Stallwächter

Berlin · Kaum ein Bundesminister ist so umstritten wie Kanzleramtschef Ronald Pofalla. In diesen Tagen führt der Niederrheiner als Merkel-Vertreter die Geschäfte. So schlecht wie sein Ruf ist seine Bilanz nicht.

Ronald Pofall – über Weeze und die CDU zur Deutschen Bahn
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Das ist Ronald Pofalla

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Vor politischen Schwergewichten hat Ronald Pofalla keine Angst. Vor einiger Zeit geriet der Kanzleramtschef am Telefon mit Finanzminister Wolfgang Schäuble aneinander. Es ging um finanzielle Zugeständnisse an die Länder. Merkel wollte mehr Geld geben, Schäuble nicht. Pofalla überbrachte den Wunsch der Kanzlerin gewohnt selbstbewusst, Schäuble tobte. Schäuble habe ihm Ausdrücke an den Kopf geworfen, die "strafrechtlich relevant" seien, witzelte der Jurist Pofalla später gegenüber einem Koalitionär.

Die Szene belegt das Dilemma des Bundesministers für besondere Aufgaben. Kaum ein CDU-Politiker hat größeren Einfluss auf die Kanzlerin. Jetzt, da Angela Merkel urlaubt, leitet Pofalla sogar die Regierungsgeschäfte. Doch nur wenige sind so umstritten wie der Niederrheiner. Warum?

Problem: Seine Position und sein Naturell

Zwei Ursachen werden genannt: Pofallas Naturell. Und Pofallas Position. Als Kanzleramtschef ist er hauptamtlicher Konfliktlöser. Ausputzer und Makler zwischen den Eitelkeiten und Eigeninteressen von Bund und Ländern, Union und FDP, Regierungszentrale und Ressortchefs. Beliebt wird man so eher nicht. Wird ein Gesetz geräuschlos verabschiedet, ist das selbstverständlich. Wenn nicht, ist Pofalla schuld.

Machtbewusste Länderchefs und Minister finden sich in den Kompromissen, die im Zweifel vom Kanzleramt vorgefertigt werden, naturgemäß nie ausreichend gewürdigt. Dann muss meistens ein Sündenbock her. Dass Ronald Pofalla überdies nicht gerade für sein ausgeprägtes diplomatisches Fingerspitzengefühl bekannt ist, macht die Sache nicht leichter. Es ist Teil zwei des Problems. "Er tritt auf wie ein Welterklärer", stöhnt ein Ministerpräsident, der Pofalla regelmäßig in der Unions-Runde vor Bundesratssitzungen erlebt. Mit seiner Meinung kann Pofalla tatsächlich nur unter Schmerzen hinterm Berg halten. Da schimmert der Pädagoge durch. Doch muss der CDU-Mann gerade in seinem Amt wie ein sanfter Moderator, ein Vermittler auftreten. Pofallas Gegner erinnern gerne an dessen Vorgänger Thomas de Maizière. Der jetzige Verteidigungsminister war in Zeiten der Großen Koalition Kanzleramtschef und erwarb sich bei Genossen und Konservativen viel Sympathie durch seine ausgleichende Art.

Pofalla hält nicht viel von Wortgirlanden. Er ist direkt, offen und dadurch manchmal eben zu ehrlich für das gemüt einiger Kollegen. Die impulsive Seite Pofallas bekam im Frühjahr der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach zu spüren. Pofalla regte sich über den Parteifreund aus dem Bergischen auf, weil der medienwirksam gegen Merkels Europa-Politik stänkerte und kaum ein Interview ausließ, um der Kanzlerin einen auszuwischen. Das fanden viele CDU-Politiker unangemssen, doch Pofalla überbrachte diese Kritik etwas zu harsch . "Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen", raunzte Pofalla Bosbach nach einer Gremiensitzung an — ein Feingeist ist der Jurist eben doch nicht. Als die Worte bekannt wurden, entschuldigte sich Pofalla allerdings rasch bei Bosbach. Der nahm an. heute ist die Sache vergessen. Der Vorfall wäre auch nicht weiter bemerkenswert; auch Politiker gehen schließlich mal robust miteinander um. Doch ist die Attacke bis heute jenen Pofalla-Kritikern Bestätigung, die in dem Merkel-Intimus einen überheblichen Egoisten sehen.

Pofalla ist eher ein Linker

Der Realität entspricht das nicht. Ronald Pofalla ist in kleiner Runde durchaus gewinnend und humorvoll, ja sogar nett. Selbst Sozialdemokraten können das bezeugen. Angela Merkel, die zurückhaltende und wenig aufgeregte Typen in ihrer Umgebung schätzt, würde es sonst wohl auch nicht so viele Jahre mit ihm aushalten. Zu seinem rauen Image passt auch die Politik Pofallas nicht. Der einst glühende Helmut-Kohl-Fan ist heute ein CDU-Linker, kümmert sich mit Lust und Leidenschaft um einen guten Draht zur SPD und kämpft für eine Sozialpolitik jenseits der Markt-Apologeten des Wirtschaftsflügels. Die von der FDP geforderten Verschärfungen für Hartz-IV-Empfänger scheiterten bei den Koalitionsverhandlungen 2009 vor allem an Pofalla. Unbemerkt von der Öffentlichkeit setzt sich der CDU-Politiker zudem seit Jahren für die Menschenrechtsorganisation Amnesty International ein und kämpft leidenschaftlich und weitgehend von der Öffentlichkeit unbemerkt gegen das Unrechtsregime in Weißrussland und den letzten Diktator Europas, Staatspräsident Alexander Lukaschenko. Pofallas Vater war nach dem Zweiten Weltkrieg Kriegsgefangener in Minsk, wurde dort aber trotz der nationalsozialistischen Gräuel gut behandelt, wie der Sohn später berichtete. Ronald Pofalla imponierte das. Schon als Jura-Student reiste er in die Region, knüpfte erste Kontakte. Heute trifft Pofalla auch mitten in der Euro-Krise weißrussische Oppositionelle. Auf EU-Ebene setzt sich der Kanzleramtschef für verschärfte Sanktionen gegen Weißrussland ein und verhandelt hinter den Kulissen Erleichterungen für inhaftierte politische Oppositionelle und Journalisten aus.

Sein polarisierendes Auftreten, der Hang zum Rechthaberischen, mag vielleicht auch der Vita Pofallas geschuldet sein. Als Sohn eines Fabrikarbeiters und einer Putzfrau arbeitete sich der gebürtige Niederrheiner gegen alle Widerstände über den zweiten Bildungsweg an die Spitze der Republik: Hauptschule, Mittlere Reife, Fachabi, Jura-Studium. Unterschätzt wurde er von Mitschülern und Kollegen meist, angespornt hat ihn das immer. Diesn Ehrgeiz hat er bis heute. Die Politik wurde schon früh zur großen Leidenschaft. 1979 wird Pofalla CDU-Fraktionschef im Gemeinderat Weeze, mit 19 Jahren der Jüngste der Republik. Und der junge Nachwuchspolitiker ist fleißig. "Ich habe selten jemanden erlebt, der so viel arbeitet", sagt der frühere CDU-Finanzminister in NRW und heutige Bundesschatzmeister Helmut Linssen.

Merkel und Pofalla - ein enges Team

Diesen Arbeitseifer teilt Pofalla mit seiner Chefin, Kanzlerin Merkel. Manchmal sitzen beide nachts noch im Kanzlerinnenbüro und diskutieren bei einem Glas Rotwein über Politik. Pofallas Analysefähigkeit, sein Talent, Schwächen des politischen Gegners zu erkennen, bestreiten selbst Kritiker nicht. Ruhe gönnt sich der zweifach Geschiedene eher selten, etwa wenn er abends nach einem langen Arbeitstag noch die Bergbaulampe aus seiner Berliner Altbauwohnung hervorholt und durch den dunklen Tiergarten joggt.

Pofallas Bilanz als Kanzleramtschef ist durchwachsen. Als Regierungskoordinator muss er sich vorhalten lassen, dass Überschriften zur Koalitionsarbeit seit Jahren oft mit Begriffen wie "Streit" und "Konflikt" gebildet werden. Die Dauerfehde in der bürgerlichen Koalition hat auch Pofalla überrascht. Allerdings muss der Chef des Kanzleramts, kurz Chef BK, im Gegensatz zu seinen beliebteren Vorgängern Thomas de Maizière und Frank-Walter Steinmeier aber auch Projekte beackern, die alleine jeweils für eine ganze Legislatur reichen würden. Von der Euro-Krise bis zur Energiewende setzt die Regierung manchmal in wenigen Wochen Gesetze um, die sonst Jahre vorbereitet würden. Da sind handwerkliche Fehler vorprogrammiert. Kanzlerin Merkel steht jedenfalls fest zu ihrem Minister. "Wenn Sie wüssten, worüber man noch streiten könnte, dann wüssten Sie, was Ronald Pofalla alles leistet", hat Angela Merkel mal gesagt. Sein Einfluss auf die Regierungschefin ist groß. Dass sich die Kanzlerin nach einer zähen Diskussion mit ihrem Koalitionspartner doch noch für Joachim Gauck als Bundespräsidenten erwärmen konnte, wird Pofallas Werben zugeschrieben. Auch in der FDP hat man nach anfänglichem Ärger Vertrauen zu Pofalla gefasst. Mit Vizekanzler Philipp Rösler und Außenminister Guido Westerwelle versteht sich der Kanzleramtschef gut.

Die Nähe zu Merkel ist Fluch und Segen. Der Neid vor allem in der eigenen Partei ist groß. Wer das Ohr der Kanzlerin hat, gilt schnell als blinder Unterstützer der CDU-Chefin. Was einige an Kritik an Pofalla äußern, mag indes auch dem eigenen Frust über verpasste Karrierechancen geschuldet sein. Echte Parteifreunde kann Ronald Pofalla an einer Hand abzählen. Zu den Getreuen zählen der neue Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Grosse-Brömer, und der langjährige Weggefährte Peter Hintze, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Sollte Angela Merkel 2013 abgewählt werden, dürfte das kaum für eine breite Pro-Pofalla-Bewegung reichen. Breite Netzwerke in der Union hat Pofalla kaum geknüpft. Wenn Merkel aber Kanzlerin bleibt, wonach es bislang aussieht, dürfte ihr Amtsleiter erneut eine Karrierestufe nehmen und "normaler" Bundesminister werden — raus aus dem Schatten des Kanzleramts. Wie das mit den Bundestagswahlen gelingen könnte, daran werkelt der frühere CDU-Generalsekretär Pofalla im Stillen schon. Eine Variante des letzten CDU-Wahlkampfes soll es geben, heißt es in der CDU. 2009 schläferte die Merkel-CDU mit ihrer "asymmetrischen Demobilisierung" die politischen Gegner ein und ließ sich kaum in innenpolitischen Debatten provozieren. Merkel, die überparteiliche Krisenmanagerin in der Wirtschaftskrise, lautete die Botschaft vor knapp drei Jahren. 2013 soll wieder asymmetrisch mobilisiert werden: Dieses Mal könnte Angela Merkel die überparteiliche Euro-Managerin geben. Allerdings: Wenn die SPD linke Kampfthemen wie die Vermögensteuer und die Gemeinschaftshaftung in Europa fährt, soll Merkel als CDU-Chefin offensiv und robust reagieren. Wie das geht, kann sie ja bei ihrem Kanzleramtschef erfragen.

(brö)
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