Jens Baas im Interview "Termingarantie beim Arzt ist populistisch"

Der Chef der Techniker Krankenkasse fürchtet, dass die geplante Hilfe für Kassenpatienten nur zu Mehrausgaben bei Kliniken führt. Er fordert zudem, dass die Krankenhäuser künftig nach Qualität ihrer Behandlung bezahlt werden.

 Jens Baas, der Chef der Techniker Krankenkasse, sprach mit unserer Redaktion.

Jens Baas, der Chef der Techniker Krankenkasse, sprach mit unserer Redaktion.

Foto: Techniker Krankenkasse

Welche Projekte muss der neue Gesundheitsminister als erstes anpacken?

Baas Das Wichtigste in den kommenden vier Jahren ist, dass das Thema Qualität nicht nur eine Überschrift bleibt. Dies gilt nicht nur für die anstehende Krankenhausreform, sondern für alle Akteure im Gesundheitswesen, einschließlich der gesetzlichen Krankenkassen.

Wie kann Qualität im Gesundheitswesen gemessen werden?

Baas Dafür benötigen wir eine einheitliche Datengrundlage. Es geht beispielsweise nicht, dass es eine TK- und Rhön-Kliniken- und dann auch noch eine AOK- oder Barmer-Qualität gibt. Da müssen die Akteure im Gesundheitswesen zusammenkommen. Mit dem Schaffen neuer Institutionen bin ich normalerweise zurückhaltend. In diesem Fall brauchen wir aber ein neues Qualitätsinstitut fürs Gesundheitswesen. Es muss die gemeinsamen Datengrundlagen schaffen. Nur dann können wir in Zukunft die Qualität von Diagnose und Behandlung auch messen.

Das wird ein langwieriger Prozess.

Baas Bis ein solches Institut erste nutzbare Daten vorlegt, können durchaus Jahre vergehen. Man wird sicherlich mit einem definierten Teilbereich, zum Beispiel der Onkologie oder der Endoprothetik, anfangen müssen. Um wirklich in allen Gesundheitssektoren Qualität seriös bewerten zu können, müssen wir in Dekaden denken.

Die Bundesregierung plant ja eine Krankenhausreform, wonach die Kliniken verstärkt nach Qualität bezahlt werden sollen. Ist die Schaffung der Datengrundlage aus Ihrer Sicht Voraussetzung dafür?

Baas Ja. Eine Umstellung der Bezahlung von Behandlungen auf Qualitätskriterien ist sinnvoll und notwendig. Dafür bedarf es aber einer seriösen Grundlage. Wenn nur bewertet wird, ob ein Patient wegen Komplikationen zurück in die Klinik muss, dann kann dies dazu führen, dass die Kliniken alte und an mehreren Krankheiten leidende Patienten nicht mehr annehmen. Denn bei ihnen ist das Risiko für Komplikationen höher als bei einem jungen gesunden Menschen.

Was halten Sie von der geplanten Termingarantie, wonach sich Patienten an eine Klinik wenden können, wenn sie nicht innerhalb von vier Wochen einen Facharzttermin erhalten?

Baas Das halte ich für ein eher populistisches Vorhaben. Grundsätzlich ist es in Ordnung, die Ärzteschaft stärker dafür in Haftung zu nehmen, dass die gesetzlich Versicherten gut versorgt werden. Es ist aber nicht sinnvoll, den Kliniken Anreize zu setzen, dass sie an die Honorartöpfe der niedergelassenen Mediziner heran können. Das wird im Endeffekt zu Mengenausweitungen im Krankenhaus und nicht zu einer besseren Versorgung der Patienten führen.

Wie kann man der Mengenausweitung bei Behandlungen beikommen?

Baas Das geht nur über klare Qualitätsstandards — auch für die Indikation von Diagnostik, Behandlungen und Operationen. Wenn es uns nicht gelingt, darüber die Mengenausweitung in den Griff zu bekommen, landen wir in einer alternden Gesellschaft bei einer unethischen Priorisierungsdebatte, die niemand will. Nur wenn es klare Kriterien gibt, wann eine Bandscheiben-Operation oder ein künstliches Hüftgelenk medizinisch sinnvoll sind, werden künftig alle bezahlbar versorgt werden können. Mit dem Lebensalter eines Menschen oder gar mit seiner finanziellen Situation darf dies nichts zu tun haben.

Die Bundesregierung will die Krankenkassen ihren Beitragssatz wieder selbst bestimmen lassen. Wird die Techniker ihren Satz senken können?

Baas Diese Reform tritt frühestens am 1. Januar 2015 in Kraft, deshalb kann ich das nicht vorhersagen. Stand heute könnte der Beitragssatz sinken. Ich gehe davon aus, dass die TK, wenn die Reform kommt, einen unterdurchschnittlichen Beitragssatz haben wird.

Für die Techniker Kasse wäre die Beitragshoheit ein Vorteil, weil sie viele Mitglieder mit hohem Einkommen hat ...

Baas Die Autonomie über den eigenen Beitragssatz zu haben, ist für alle Krankenkassen besser, nicht nur für die TK. Im Gesetz ist ein Einkommensausgleich für den zusätzlichen Beitragssatz vorgesehen, das halte ich im Prinzip auch für sinnvoll und gerecht, man wird sich aber die genaue Ausgestaltung ansehen müssen.

Halten Sie die stufenweise Anhebung des Beitragssatzes zur Pflegeversicherung für angemessen und ausreichend?

Baas Diese Beitragssatzerhöhung ist angemessen, ob sie auch ausreichend ist, hängt davon ab, wie das Geld eingesetzt wird.

Wofür sollte es verwendet werden?

Baas Eines der schwerwiegendsten Probleme in der Pflege ist der Personalmangel. Es wird mehr Geld notwendig sein, diesen zu beheben. Die Pflegekräfte müssen besser bezahlt werden und sie brauchen bessere Arbeitsbedingungen. Wir können nicht davon ausgehen, dass künftig schon billige Pflegekräften aus dem Ausland die Pflege übernehmen werden.

(qua)
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