Kommentar zum Koalitionsvertrag Die schwarz-rote Schönwetter-Koalition

Berlin · Der Titel des Koalitionsvertrags von Union und SPD lautet: "Deutschlands Zukunft gestalten." Passender wäre wohl gewesen: Deutschlands Zukunft gefährden.

Parteichefs unterzeichnen Koalitionsvertrag
10 Bilder

Parteichefs unterzeichnen Koalitionsvertrag

10 Bilder

Denn was Union und SPD in einer — offenbar zu — langen Verhandlungsnacht an Milliardenausgaben in den Sozialsystemen beschlossen haben, grenzt an einen Anti-Generationenvertrag.

--------------------------------------------------------------

Reaktionen: Der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, hat den Koalitionsvertrag im Gespräch mit unserer Redaktion als nicht zukunftsweisend kritisiert. Weitere Reaktionen lesen Sie hier.

Der Vertrag im Wortlaut: Den Koalitionsvertrag zum Nachlesen finden Sie hier.

Protokoll: So lief die Pressekonferenz von Merkel, Gabriel und Seehofer.

Interview mit Julia Klöckner: "Haben unsere Eckpfleiler durchgesetzt"

----------------------------------------------------------------

Ob die Mehrausgaben der neuen Bündnispartner nun bei 30 oder doch 40 Milliarden Euro liegen, ist dabei zweitrangig. Entscheidend ist, dass mit der Mütterrente, der Erwerbsminderungsrente, der Rente mit 63, der Lebensleistungsrente finanzielle Belastungen für Sozialkassen und Haushalte beschlossen wurden, die in einer alternden Gesellschaft Jahr für Jahr immer teurer werden. Union und SPD korrigieren damit nicht nur die eigenen Errungenschaften bei der Rente mit 67, sondern geben mit vollen Händen aus, was Hunderttausende Arbeiter, Angestellte, Selbstständige und Unternehmer in den letzten Jahren erwirtschaftet haben. Mit dem Presslufthammer bearbeiten die Koalitionäre das Fundament einer schrumpfenden Gesellschaft.

Der Mindestlohn wird, weil gesetzlich über alle Branchen und Regionen diktiert, ebenfalls Jobs kosten und die gesellschaftlichen Kosten für Arbeitslosigkeit in die Höhe treiben. Und was sagt zu all dem die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin? In guter konjunktureller Lage könne man sich das erlauben. Wenn ein portugiesischer oder griechischer Ministerpräsident auf einem EU-Gipfel seine Finanzpolitik so erklären würde, hätte ihn Angela Merkel schleunigst zu einem Vier-Augen-Gespräch ins Kanzleramt zitiert. Und richtig teuer wird es ja auch erst, wenn Angela Merkel nicht mehr im Amt ist. Also 2017 und später. Von Nachhaltigkeit ist im Koalitionsvertrag deshalb wohl auch nur bei Umweltschutz und Rohstoffversorgung die Rede, nicht im Kapitel Finanzpolitik.

Es ist die ganz große Schönwetter-Koalition, die sich da in Berlin ans Regieren macht. Dass sich die gute wirtschaftliche Lage in Deutschland nicht per Gesetz für die nächsten vier Jahre beschließen lässt und das weltweit Schwellenländer gerade massiv ökonomisch und gesellschaftlich aufholen, hat die Kanzlerin im Wahlkampf oft erwähnt. Nur lässt sie dieser Erkenntnis im Koalitionsvertrag kaum Taten folgen.

Natürlich ist es schön, wenn langjährig Versicherte abschlagsfrei in Rente gehen können. Natürlich haben ältere Mütter eine finanzielle Würdigung ihrer Arbeit verdient. Auch Kommunen und Schulen brauchen mehr Geld. Die Frage ist, ob Deutschland sich alles gleichzeitig leisten kann? Der SPD-Vorsitzende und dessen Furcht vor einem Veto der Parteibasis haben die CDU-Chefin, vor wenigen Monaten noch mit einem 42-Prozent-Ergebnis ausgestattet, inhaltlich überrollt.

Was bietet die CDU eigentlich den Aufsteigern, den Leistungsbereiten, den Jungen, den Fleißigen? Selbst Minimalangebote an die Leistungsträger, etwa die Beseitigung der ungerechten kalten Progression im Steuerrecht, wurden kurzerhand aus dem Vertrag gestrichen. Ist das Politik für mehr Wettbewerbsfähigkeit? "Ich denke niemals an die Zukunft. Sie kommt früh genug", hat Albert Einstein mal gesagt. Die künftige Koalition hat dies scheinbar zu genau genommen.

(brö)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort