Stärker denn je Die neue Macht der Andrea Nahles in der SPD

Berlin · Die Generalsekretärin galt als politisch ausgemustert. Heute ist die Wahlkampfchefin stärker denn je. Und Peer Steinbrück hört auf sie.

1. November 2012. Es ist das erste Wahlkampftreffen der SPD-Führung nach der Nominierung des Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. Die SPD-Spitze hat sich zur Klausur zurückgezogen, um Grundzüge für den Bundestagswahlkampf zu besprechen. Andrea Nahles, die Generalsekretärin, ist dabei. Es geht um das Motto für den Bundesparteitag. SPD-Chef Siegmar Gabriel, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück wünschen sich etwas Kraftvolles. Begriffe wie "Aufbruch" und "Kraft" werden in den Raum geworfen. Andrea Nahles schüttelt den Kopf. Es gehe doch um soziale Gerechtigkeit, sagt sie. Die SPD müsse sich dem Zusammenhalt der Gesellschaft widmen. "Miteinander für Deutschland", schlägt sie vor. Die Herrenriege schaut sich kurz an. Und nickt. Das Motto steht.

Die Episode belegt den Einfluss der 42-jährigen SPD-Politikerin. Andrea Nahles, von großen, vor allem männlichen Teilen der Partei als Inbegriff der nervigen Parteifunktionärin angefeindet, ist heute stärker denn je. Nach den Pannen seiner meist männlichen Berater machte Steinbrück die Rheinland-Pfälzerin zur Chefin des Wahlkampfes. Es war Nahles, die sich in den USA die Ideen für den "Wahlkampf von unten", die neuen Formate zur Bürgerbeteiligung abguckte. Heute ist die Ex-Frontfrau der Parteilinken die wichtigste Mitarbeiterin des Wirtschaftsexperten Steinbrück — eine kuriose Entwicklung. Doch Nahles hat sich dies mit einer Mischung aus Loyalität und politischer Chuzpe erarbeitet. Ihre Loyalität sogar zu dem von ihr kaum geschätzten Parteichef Gabriel zweifelt kaum einer an. Selbst Gegner von Nahles können ihr bisher keinen Patzer nachweisen. Die Germanistin liest inzwischen sogar die Interviews von Steinbrück Korrektur.

Als Strippenzieherin, als Netzwerkerin sei sie immer unschlagbar gewesen, urteilt ein SPD-Vorstand, der nicht zum Nahles-Freundeskreis gehört. Seit Juso-Zeiten weiß die Geisteswissenschaftlerin, wie Allianzen geschmiedet werden. Ex-Parteichef Franz Müntefering bekam dies 2005 zu spüren. Damals wollte Müntefering seinen Vertrauten Kajo Wasserhövel zum Generalsekretär befördern, doch Nahles trat überraschend gegen ihn an und gewann. Müntefering gab sein Amt auf. Eine Wutwelle gegen Nahles rollte durch die SPD. Die Medien schossen sich auf die junge Frau ein, als "Genossin mit dem tödlichen Biss" bezeichnete sie der Boulevard. Am Sturz des früheren Vorsitzenden Rudolf Scharping war die damalige Juso-Chefin auf dem Parteitag in Mannheim 1995 nicht unbeteiligt. "Rudolf, das war mir zu viel Lirum, Larum, Löffelstiel", kritisierte sie nach dessen Rede. Als "letzter Mann der SPD", betitelte der "Stern" die Jungpolitikerin. Eine Zeit lang trat Nahles in der Öffentlichkeit fortan seltener auf, polierte ihr Image.

2007 machte sie Kurt Beck zur Vizechefin, 2009, nach der Niederlage bei den Bundestagswahlen, war sie früh als Generalsekretärin im Gespräch. Ausgerechnet SPD-Chef Sigmar Gabriel kam bei der Neuaufstellung nicht an der einflussreichen Politikerin aus dem konservativ geprägten Eifel-Städtchen Weiler vorbei. Nahles hat einen großen Freundeskreis in der Partei. Die frühere Ministrantin und Maurertochter gilt in kleiner Runde als gewinnend, bodenständig und humorvoll. Seitdem Nahles eine Tochter hat, sei sie "gelassener denn je", sagt einer aus ihrem Umfeld. Und mag ihr öffentlicher Auftritt auch oft verkrampft wirken, nach innen wirkt Nahles gut. Stets ansprechbereit, immer informiert. Nanny und Managerin der SPD gleichermaßen.

Und selbstbewusst. Am Weltfrauentag saß Nahles gut gelaunt mit Journalistinnen zusammen und erklärte die Welt des Kandidaten. Steinbrück habe sich die Frauen-Themen "aktiv zu eigen gemacht". "Er ist in diesen Fragen sehr fortschrittlich", sagte sie gönnerhaft. Kein Zweifel ließ sie, dass bei ihr die Fäden des Wahlkampfs zusammenlaufen. "Die Grundideen stammen von mir: Die Politik vom Sockel holen, mehr Dialog, weniger Propaganda." Nahles pur also.

(brö)
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