Analyse Der späte Sieg der Homosexuellen

Berlin · Die unterschiedliche Behandlung von Ehepartnern und homosexuellen Partnern im Steuer- und Adoptionsrecht steht vor dem Aus. In der CDU deutet sich ein radikaler Kurswechsel an. Wie geht es jetzt weiter?

Ein führender CDU-Politiker gab sich nach dem Verfassungsgerichtsurteil für ein weiterreichendes Adoptionsrecht für Homosexuelle vergangene Woche zerknirscht. Seine politischen Grundsätze würden offenbar nicht mehr auf dem Boden der Verfassung stehen, klagte er. Wieder einmal hatte Karlsruhe die Rechte homosexueller Paare gestärkt. Nun fürchten die Konservativen, dass die obersten Richter demnächst noch die steuerlichen Nachteile für gleichgeschlechtliche Paare kippen. Aus der Not heraus hat sich die CDU nun für die Offensive entschieden. Die Union will jetzt selbst Maßnahmen prüfen, wie gleichgeschlechtliche Paare steuerlich und bei der Adoption bessergestellt werden können. Unionsfraktionsvize Günter Krings hatte in unserer Zeitung diese Überlegungen öffentlich gemacht. Seither tobt die Debatte bei CDU und CSU, zumal SPD, Grüne und FDP längst dafür sind. Eine Übersicht.

Was hat Karlsruhe entschieden?

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Grundsatzurteil homosexuellen Lebenspartnern mehr Rechte bei der Adoption zugestanden. Künftig ist es ihnen erlaubt, die Adoptivkinder des gleichgeschlechtlichen Partners selbst zu adoptieren. Diese sogenannte Sukzessivadoption war bislang nur für heterosexuelle Paare erlaubt.

Wie argumentieren die Richter?

Das jüngste Urteil steht in einer Reihe von Urteilen, die den Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz reflektieren. Im August 2012 hatte das Bundesverfassungsgericht die Ungleichbehandlung beim Familienzuschlag für Beamte, Richter und Soldaten für verfassungswidrig erklärt. Kurz darauf entschieden die Richter, dass die Benachteiligung schwuler und lesbischer Partner bei der Grunderwerbsteuer gegen das Grundgesetz verstößt (siehe Infokasten). Nun also das Adoptionsrecht. Ein Urteil zur steuerlichen Ungleichbehandlung beim Ehegattensplitting steht aus und wird noch im Frühjahr erwartet.

Was hat die Bundesregierung vor?

Union und FDP haben zunächst eine rasche Umsetzung des Richterspruchs zur Adoption angekündigt. Nun wird aber diskutiert, ob man darüber hinausgehen sollte. Die FDP fordert das volle Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare. Ein Gesetzentwurf der Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), der eine völlige Gleichbehandlung der homosexuellen Partnerschaften mit der Ehe im deutschen Recht vorsieht, liegt in der Schublade. "Wir können das noch vor der Sommerpause beschließen", sagt FDP-Generalsekretär Patrick Döring. Die CSU wiederum warnt vor einem "Schnellverfahren". Viele Konservative argumentieren, dass aus erziehungswissenschaftlichen Gründen ein Kind Mann und Frau als Eltern brauche. Bei ihrem Bundesparteitag Anfang Dezember hatte die CDU beschlossen, Homo-Ehen steuerlich nicht gleichzustellen. Auch Kanzlerin Merkel hatte sich dagegen ausgesprochen. Nun vollzieht die CDU die Kehrtwende.

Wird die Homo-Ehe der Ehe im Steuerrecht absolut gleichgestellt?

Genau das wird nun in der CDU diskutiert. So will man einem Urteil aus Karlsruhe vorgreifen. Bisher profitieren gleichgeschlechtliche Paare nicht von dem Splitting der Einkommen im Steuerrecht für Eheleute. Eine Gruppe von Unionsabgeordneten hatte schon 2012 in einer Erklärung die Gleichstellung gefordert. CDU-Vize Thomas Strobl begrüßte am Wochenende das Umdenken. SPD und Grüne fordern dies seit vielen Jahren und wollen einen entsprechenden Antrag am Freitag mit ihrer Mehrheit im Bundesrat durchsetzen. NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) sieht die Politik seiner Partei bestätigt: "Wenn Herr Strobl jetzt erklärt, dass die Gleichstellung ein zutiefst konservativer Standpunkt sei, ist es höchste Zeit, dieses Weltbild zu komplettieren und das auch der CSU zu vermitteln." Wenn homosexuelle Paare ein verbrieftes Recht haben, eine Familie zu gründen, "wäre es eine Farce, gerade für diese Paare einen diskriminierenden steuerlichen Sonderfall aufrechtzuerhalten", so Walter-Borjans.

Die CSU ist allerdings noch skeptisch. Vor allem CSU-Chef Horst Seehofer fürchtet, dass eine Korrektur bei dem Thema die Konservativen in seinem Land verschrecken könnte. Es müsse "auch in Zukunft eine Form der Privilegierung von Ehe und Familie geben", hatte Seehofer noch vor dem Parteitag der CDU Ende 2012 betont. Der "besondere Schutz von Ehe und Familie" sei "nicht umsonst" im Grundgesetz verankert. Jetzt, nur zwei Monate später, stehen CDU und CSU vor neuem Streit.

Wie kann eine Gleichbehandlung im Steuerrecht funktionieren?

Der CDU-Rechtsexperte Günter Krings soll Modelle prüfen, wie die Gleichstellung konkret umgesetzt werden könnte. Zur Diskussion stehen zwei Vorschläge: Zum einen könnte das bisherige Ehegattensplitting zu einem Eltern- oder Familiensplitting ausgebaut werden. Das würde den Bundeshaushalt massiv belasten. Kommende Woche treffen sich Unionsfraktionschef Volker Kauder, CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt und Kanzleramtschef Ronald Pofalla mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), um den finanziellen Spielraum für eine Reform auszuloten. Einschnitte beim Ehegattensplitting soll es nicht geben. Alternativ wird ein Modell geprüft, das sich an die französische Praxis anlehnt. Dort werden auch gleichgeschlechtliche Lebenspartner steuerlich gemeinsam veranlagt und leben in einer Gütergemeinschaft. Die Steuerrabatte hängen weder von Kindern noch vom Trauschein ab.

Was bedeutet der Kurswechsel für die CDU?

Es scheint, als würde CDU-Chefin Angela Merkel nach der abrupten Energiewende, der Aussetzung der Wehrpflicht und dem Abschied vom dreigliedrigen Schulsystem die Partei erneut zur Aufgabe eines Grundsatzes zwingen. Sie dürfte es "Weiterentwicklung" nennen. Gerade im Vorfeld einer Bundestagswahl will Merkel offenbar nicht alleine gegen die Mehrheitsmeinung stehen. Auf dem letzten Parteitag hatte sich die Kanzlerin noch dezidiert gegen eine steuerliche Gleichstellung ausgesprochen. Das war im Dezember 2012. Heute ist die CDU offenbar weiter. Anpassung statt Profilierung — das gehört in einem Wahljahr zu Merkels politischen Lieblingsinstrumenten.

(brö)
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