Berlin Rot-Rot-Grün wäre Gabriels letzte Chance

Berlin · Etwa hundert Abgeordnete von SPD, Linken und Grünen wollen am Dienstag erstmals im Bundestag zu einem Strategietreffen zusammenkommen. Vor allem linke Sozialdemokraten beginnen so offenbar mit der Vorbereitung eines echten Machtwechsels - und der führt nur über Rot-Rot-Grün.

Bundestagswahl 2017: Sigmar Gabriels hat nur mit Rot-Rot-Grün eine Chance
Foto: ap

Der Saal des SPD-Fraktionsvorstands im Jakob-Kaiser-Haus in der Nähe des Berliner Kanzleramts ist ein großer Raum mit vielen Tischen und Stühlen. Er bietet Platz genug für die knapp hundert Bundestagsabgeordneten von SPD, Grünen und Linken, die hier am Dienstagabend zusammentreffen werden. Es ist das erste größere Strategietreffen der drei Fraktionen. Für die Bonner Grünen-Abgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende Katja Dörner hat sogar der Versammlungsort Signalcharakter: Die größte der drei Parteien, die SPD, bietet Rot-Rot-Grün eine Bühne, ihren eigenen Versammlungssaal.

Ein Bündnis von SPD, Grünen und Linken wäre die einzige Möglichkeit für den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, Angela Merkel nach der Bundestagswahl im Herbst 2017 vom Thron zu stoßen und so Bundeskanzler zu werden. Ob Gabriel selbst zur Kanzlerkandidatur greift oder doch dem EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz den Vortritt lässt, ist dabei aus Sicht vieler Genossen nachrangig. Vordringlicher erscheint vor allem linken Sozialdemokraten, jetzt mit der Vorbereitung eines echten Machtwechsels zu beginnen - und der führt nur über Rot-Rot-Grün.

Dabei ist Gabriel selbst kein glühender Verfechter eines solchen Bündnisses, auch wenn seine Partei 2013 in Leipzig beschloss, dafür offen zu sein. Als Mitglied des konservativen "Seeheimer Kreises" in der SPD übt Gabriel gern scharfe Kritik an der Linkspartei und ihrem Kurs in der Flüchtlings- und Außenpolitik. Dennoch ist er sich mangelnder Machtoptionen sehr wohl bewusst und lässt an dem Treffen, das ansonsten höchstens mit Fraktionsvizes der Parteien besetzt ist, seine Generalsekretärin Katarina Barley teilnehmen - als Gast, als Signal.

Rot-Rot-Grün auf Bundesebene soll nun endlich eine "normale" Machtoption werden, und deshalb haben SPD und Grüne dieses erste Strategietreffen bewusst auch für Vertreter der moderaten Parteiflügel geöffnet. Eingeladen hat der Chef der Parlamentarischen Linken der SPD, Matthias Miersch, auch konservative Sozialdemokraten wie etwa Fraktionsvize Carsten Schneider vom "rechten" Parteiflügel, den "Seeheimern".

Auch bei den Grünen ist man um ein breites Bündnis bemüht und lud bewusst auch Mitglieder der moderaten "Realos" zu dem Treffen ein. So hat Wirtschaftssprecher Dieter Janecek zugesagt - sonst eher ein Grünen-Schreck mit besonders liberalen Thesen auf Bundesparteitagen. Gleichzeitig betonen Linke wie Realos bei den Grünen, dass für sie Rot-Rot-Grün 2017 weiterhin ebenso möglich sei wie Schwarz-Grün.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte, er begrüße es, "dass Grüne, SPD und Linkspartei zu Gesprächen auch im größeren Rahmen zusammenkommen". Sprechen lohne sich immer. "Deshalb würde ich es begrüßen, wenn bis zur Wahl stabile Brücken gebaut werden können und ein Bündnis mit SPD und Linkspartei grundsätzlich denkbar wird", sagte der Parteilinke Hofreiter. Man arbeite an realistischen Optionen für 2017 - "in die eine wie in die andere Richtung".

"Das Treffen stellt eine neue Qualität dar"

Auch die Linken haben ihren Kurs gegen eine Regierungsbeteiligung korrigiert. Selbst ihre Klassenkampf-Ikone, die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht, ist neuerdings nicht mehr in der Fundamentalopposition. Ohne Wagenknechts Zustimmung gäbe es kein rot-rot-grünes Bündnis. Jedoch ist es vor allem ihr Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch, der diese Option vorantreibt. "Das Treffen stellt eine neue Qualität dar", sagte Bartsch unserer Redaktion. "Ich nehme bei der SPD, bei den Grünen und auch bei uns eine entscheidende Veränderung wahr, die eine Dreierkoalition möglich machen kann: den Willen dazu", so Bartsch. Einen Wahlkampf mit klarer Koalitionsaussage schließt er für seine Partei jedoch aus. "Damit lassen sich kaum Wähler mobilisieren. Jede Partei kämpft für sich. Koalitionsentscheidungen treffen wir nach der Wahl", sagte Bartsch.

SPD-Initiator Miersch hofft darauf, das Misstrauen vieler Genossen gegenüber der Linkspartei abbauen zu können. "Es geht uns darum, den Weg zu einer Mehrheit diesseits der Union ganz konkret zu beschreiben und auf eine breite Basis in allen drei Parteien zu stellen", sagte Miersch. Würde Rot-Rot-Grün zu einer realistischeren Machtoption, würde das Gabriel womöglich auch die Entscheidung erleichtern, die er sehr bald treffen muss: ob er die Kanzlerkandidatur wirklich will.

(mar/jd)
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