Wahlkampf in Berlin Die Unermüdliche – Franziska Giffey unter Druck
Analyse | Berlin · Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hatte keinen ruhigen Jahreswechsel. Die Ereignisse in Berlin an Silvester mit Angriffen auf Rettungskräfte sind eine Zäsur – und können für Giffey zum Problem werden. Von einer, die nun alles geben muss, um das Rote Rathaus zu verteidigen.
Franziska Giffey ist derzeit im Dauereinsatz. Die Nachwirkungen der Silvesternacht in Berlin und der Wahlkampf führen dazu, dass Berlins Regierende Bürgermeisterin derzeit auf allen Kanälen sendet. Sprichwörtlich.
Die Vorgänge in Neukölln haben die ohnehin bedrängte Berliner SPD-Vorsitzende und Spitzenkandidatin für die bevorstehende Wahl noch etwas stärker in die Bredouille gebracht. Denn auch vor den Ausschreitungen zum Jahreswechsel, bei denen es unter anderem zu Angriffen auf Rettungskräfte gekommen war, stand Giffey schon politisch mit dem Rücken zur Wand. Es fing an mit der verkorksten und pannenreichen Wahl zum Berliner Senat gleichzeitig mit der Bundestagswahl, weswegen nun erneut abgestimmt werden muss. Danach gab es immer wieder Negativschlagzeilen aus der Hauptstadt: vom Verkehrschaos über stockenden Wohnungsbau und überfüllte Notquartiere für Flüchtlinge bis hin zu sehr liberaler Drogenpolitik und dem geplatzten Riesenaquarium kurz vor Weihnachten. Giffey präsentiert sich bei allen Themen als Macherin, die sich nicht hinter ihrem Schreibtisch versteckt – auch wenn eines der großformatigen Wahlplakate die Regierende beim nächtlichen Schein ihrer Schreibtischlampe über Akten gebeugt zeigt.
Silvester aber war eine Zäsur, wie Giffey im Beisein von SPD-Chef Lars Klingbeil an diesem Montag erneut betont. Denn Ausschreitungen dieser Art gab es bislang auch in Berlin nicht. 22 Verfahren wurden mittlerweile eingeleitet, teils gegen polizeibekannte Täter, wie Giffey nun bekannt gibt. Weil viele der Festgenommenen über ausländische Staatsbürgerschaften verfügen, hat Giffey seit Tagen eine bundesweit geführte und geschürte Migrationsdebatte am Bein. Es steckt schon ein wenig Tragik aber auch viel Ironie darin, dass ausgerechnet die ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Neukölln Integration und Migration jetzt zu einem Hauptthema im Wahlkampf machen muss. Sie wurde einst für ihre klare Haltung und Sprache gelobt, erlangte bundesweite Bekanntheit, wurde auf diesem Weg Bundesfamilienministerin im letzten Merkel-Kabinett. „Ausgestreckte Hand und Stoppschild“ nannte Giffey schon damals ihren Politikansatz und nimmt die Begriffe auch heute wieder in den Mund.
Doch das Thema Sicherheit ist für Giffey auch wegen der noch amtierenden Koalition mit Linken und Grünen nicht einfach. Giffeys Bündnispartner tun sich zum Beispiel mit dem Einsatz der Bodycams für Polizisten schwer, viel Zeit geht in die Debatte, welche Begriffe man wie setzen kann. Darf man „Clan“ sagen, oder sind es „Großfamilien?“ Giffey verdreht bei solchen Diskussionen die Augen, sie hat keine Probleme, Dinge beim Namen zu nennen. Doch sie spürt auch, dass ihr die Silvesternacht im Wahlkampf auf die Füße fällt.
Nun herrscht ein gewisser Aktionismus in der Hauptstadt, um den politischen Schaden möglichst zu begrenzen: An diesem Montagabend wird Giffey gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz den Wahlkampf für die SPD in Berlin einläuten. Am Dienstag berät der Berliner Senat die Vorkommnisse der Silvesternacht, am Mittwoch findet der Gipfel gegen Jugendgewalt statt, den Giffey einberufen hat.
Die 44 Jahre alte SPD-Politikerin gilt als durchsetzungsfähig, rhetorisch begabt. Doch ihr ist anzumerken, dass sie auch merkt, dass sie dieses Mal besonders viel kämpfen muss. Zuletzt lagen ihre SPD, die CDU und die Grünen in Umfragen exakt gleichauf. Giffeys Hoffnung: Dass sie mit einem Hauch Vorsprung vor den Grünen den Anspruch auf den Chefinnensessel im Roten Rathaus halten kann und die CDU bei einem möglichen Wahlsieg keine Koalitionspartner findet.
Um ihrem Wahlkampf weiter Schwung zu verleihen, kommt das schon erwartbare Berlin-Bashing aus dem Süden der Republik sogar ganz gelegen. Vor allem bei Äußerungen vom bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Markus Söder gerät sie in Rage. Kommentare zur angeblichen Chaos-Stadt will sie sich nicht bieten lassen, die Drohung, gegen den Länderfinanzausgleich auch wegen der Krawalle in Berlin zu klagen, hält sie für maßlos. „Wenn in einer fast Vier-Millionen-Metropole 145 Chaoten Mist bauen, kann man nicht daraus folgern, dass alle anderen Einwohner hier auch Chaoten sind", betont sie. Und: Berlin sei mehr als die Summe seiner Probleme. In einer Weltmetropole gebe es aber eben auch immer Probleme, sagt Giffey.
Dass sie kämpfen kann, hat sie mehrfach bewiesen, auch wenn ihr Macher-Image nach dem Rücktritt aus dem Bundeskabinett wegen Plagiatsvorwürfen tiefe Kratzer bekam. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil nannte Giffey am Montag eine „Problemlöserin“. Am 12. Februar wird sich zeigen, ob die Berliner das auch so sehen. Giffey kann nur hoffen, dass die Wahlwiederholung pannenfrei verlaufen wird.
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