Katastrophenschützer über Corona „Wir sollten die Gefahr einer dritten Welle nicht unterschätzen“

Interview | Bonn · Armin Schuster ist Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Er schließt eine dritte Corona-Infektionswelle selbst nach einem Impfen breiter Bevölkerungsteile nicht aus. Außerdem erklärt er, welche Lehren sein Amt bisher aus der Pandemie zieht.

Der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Armin Schuster. Foto: Michael Kappeler/dpa

Der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Armin Schuster. Foto: Michael Kappeler/dpa

Foto: dpa/Michael Kappeler

Herr Schuster, CSU-Chef Markus Söder hat gesagt, diese Pandemie falle in die Kategorie „Katastrophe". Welche Lehren ziehen Sie aus der Pandemie?

Schuster Wir alle müssen gerade lernen, damit umzugehen, von diesem Virus permanent aufs Neue überrascht zu werden. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe soll dabei helfen, die Menschen vor solchen Überraschungen bestmöglich zu schützen, etwa durch unser Krisenmanagement, die Risikoanalysen, Pläne und Leitfäden. 2012 hat das BBK mit dem RKI schon einmal beispielhaft eine Pandemie durchgespielt, die sich im vergangenen Jahr dann relativ nah an dem damals angenommenen Szenario entwickelt hat. Das zeigt, wie extrem wertvoll es ist, wenn Deutschland über eine Behörde verfügt, die mögliche Krisen oder Klimafolgen wie Hitzesommer, Dürren, Hochwasser oder große Waldbrände und deren Folgeerscheinungen wie Stromausfälle oder andere Störungen Kritischer Infrastrukturen vordenkt und vorbereitet. Dazu gehört natürlich auch der Verteidigungsfall.

Und die Lektion?

Schuster In der Bevölkerung könnte nach den vielen Bund-Länder-Konferenzen zur Eindämmung der Pandemie und den teilweise unterschiedlichen landesspezifischen Maßnahmen gegen Corona der Eindruck entstanden sein, dass unser föderales System im Kampf gegen eine Pandemie hinderlich ist. Das ist es ausdrücklich nicht. Wir haben, glaube ich, gesehen, dass das zielgenaue Handeln in den Regionen gerade eine Stärke des föderalen Aufbaus ist. Aber Verbesserungspotenziale gibt es natürlich.

Was kann Ihr Amt, das BBK, künftig tun, was es in dieser Pandemie bisher noch nicht gemacht hat?

Schuster Das Technische Hilfswerk, die fünf Hilfsorganisationen, die Bundeswehr, 16 Bundesländer mit ihrem Krisenmanagement und das BBK sind nicht wenige Akteure in der aktuellen Lagebewälti-gung. Diese Partner mit ganz unterschiedlichen Funktionen in eine gute und dauerhafte Abstimmung zu bringen, dadurch unser operatives Vorgehen besser zu konzertieren und ein integrativeres Bund-Länderkrisenmanagement zu gewährleisten, dafür braucht es eine dauerhafte Koordinierungsplattform. Darin sehe ich eine wesentliche Rolle meines Amtes und darin haben wir auch Erfahrung. Wir betreiben ja hier in Bonn schon länger das gemeinsame Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern, in dem wir alle relevanten Informationen bündeln, in Lagebildern verarbeiten oder aktuell zum Beispiel die überregionalen Patientenverlegungen logistisch mit koordinieren. Das alles wäre für Krisen von nationalem Ausmaß noch ausbaufähig.

Neue gesetzliche Zuständigkeiten für das BBK?

Schuster Im Moment ist das für mich kein Thema. Es geht jetzt um wirksames Krisenmanagement und darum, ob unsere Leistungen wertvoll sind für unsere Partner. Dann arbeiten sie jedenfalls auf der gegenwärtigen Gesetzesgrundlage gut und gerne mit uns zusammen. Wir brauchen für unsere Arbeit derzeit auch keine Gesetzesänderungen. Originär ist das BBK nur für den Zivilschutzfall zu-ständig, wir können mit unseren Kompetenzen im Wege der Amtshilfe dennoch wertvolle Unterstützung in vielen anderen Krisenszenarien leisten. Ob man dieser Daueranforderung in vielen Lagen gesetzlich Rechnung tragen möchte, muss zwischen Bund und Ländern sicher zum geeigneten Zeitpunkt diskutiert werden. 

Warum dauert es mit dem Impfen so lange?

Schuster Ein Impfzentrum zu betreiben, das ist wirklich kompliziert. Ich habe es mir in der vergangenen Woche in Berlin an der Messe selbst angesehen. Damit der Impfstoff in den Oberarm eines Patienten gespritzt werden kann, braucht es eine sehr lange funktionierende Logistikkette, und da darf nichts schiefgehen. Der Impfstoff muss richtig gelagert, transportiert und just-in-time dem Arzt zur Verfügung stehen, in der Hoffnung, der Impfpatient erscheint auch tatsächlich zum gebuchten Termin. Die Hilfsorganisationen haben das BBK aktuell gebeten, schnellstmöglich ein Forum zu bieten, in dem man eigene Praktiken und Probleme bundesweit austauscht. Wir haben diesen Erfahrungsaustausch in dieser Woche zusammen mit der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen virtuell durchgeführt und die Teilnehmenden haben ihre besten Praktiken aus ganz Deutschland von Berlin bis Garmisch-Partenkirchen, von Halle bis Kiel vorgestellt und diskutiert.

In der bundesweiten Risikoanalyse  - wovon geht derzeit außer der Pandemie die größte Gefahr für die Bevölkerung aus?

Schuster Die Megatrends weisen uns da den Weg. Leider bleiben Bedrohungen von außen, speziell auch der Schutz vor gefährlichen chemischen, biologischen und radioaktiven Substanzen immer ein Thema. Und wenn wir uns vergangene Sommer ansehen, haben wir doch die Vorboten der Klimaveränderung erlebt. Dürre wird ein Thema sein.

Kriege?

Schuster Das BBK wird sich weiter auf den klassischen Verteidigungsfall vorbereiten, wir sehen vorher aber eher hybride Bedrohungen als Gefahr für unser Land. Es wird für Angreifer in dieser hybriden Welt noch leichter sein, sich zu legendieren und instabile Situationen auszulösen. Staatliche Akteure werden sich in diesen Fällen ganz bewusst nicht zeigen. Und wir müssen fragen: Ist das jetzt Kriminalität,  ein Terrorangriff oder ein kriegerischer Angriff auf unser Land und woher kommt er? Wir brauchen dazu, gemeinsam mit der Bundeswehr und vielen weiteren Sicherheitspartnern eine Risikoanalyse.

Muss die Bevölkerung sich bei Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten für den Ernstfall bevorraten?

Schuster Das schlage ich generell vor. Die Pandemie und Quarantäneerfahrungen rücken das gerade ins Bewusstsein.  Jeder Haushalt sollte  vorbereitet sein und so viel an Lebensnotwendigem im Keller oder der Kammer haben, dass er 10 Tage übersteht. Wir freuen uns, dass das Interesse an unserem Notfallratgeber im letzten Jahr noch einmal deutlich gestiegen ist.

Hat sich Ihr persönliches Verhalten da verändert, seit Sie BBK-Präsident sind?

Schuster Ich bin bei der Polizei und beim Bundesgrenzschutz beruflich sozialisiert. Also eher in der knackigen Form. Aber meine Behörde hier in Bonn hat mich in den ersten Wochen schon erzogen. Ich war noch nicht so sensibel, als ich hier ankam, wie ich es jetzt bin. Zur Sicherheit haben mir meine Mitarbeiter auch noch ein Radio mit Batteriebetrieb geschenkt - funktioniert auch bei einem Stromausfall (hält das Radio ins Bild).

Noch halten Krankenhäuser und Intensivstationen dem Ansturm stand. Befürchten Sie eine Triage, also die bewusste Auswahl von Patienten, wer an ein Beatmungsgerät angeschlossen wird und wer nicht mehr?

Schuster Definitiv nein. Wir sollten alles im Kampf gegen die Pandemie tun, nur eines nicht: kopflos werden. Es gibt entgegen manchen Medienberichten keine Triagen in einem deutschen Krankenhaus. Wir haben hier im BBK einen Überblick, ob in einem Krankenhaus in Deutschland triagiert wird oder nicht. Wir bekommen täglich den aktuellen Stand über die freien Kapazitäten an Intensivbetten und Beatmungsgeräten bundesweit. Und ich versichere Ihnen: Es wird nicht triagiert. Und wenn wir die erweiterten AHA-Regeln beherzigen, wird das auch weiter nicht not-wendig sein.

Sie haben gesagt, dass Ihr Amt bei Katastrophen künftig stärker als Koordinator in Erscheinung treten könnte. Können Sie das personell leisten?

Schuster Wir sind im letzten Haushalt bei Sachmitteln und Personal sehr großzügig behandelt wor-den, da darf ich mich nicht beschweren. Wir sind von etwa 350 Mitarbeitenden auf knapp 400 Dienstposten angewachsen. Eine derartige prozentuale Zunahme  ist relativ ungewöhnlich. Ich be-komme tagtäglich aus den Ländern und von den Hilfsorganisationen oder der Bundeswehr und dem THW gesagt, wie wichtig unsere Rolle ist, der Bundesinnenminister hat auch keinen Zweifel daran gelassen, uns weiter zu stärken. Der politische Rückenwind aus den Parteien ist für uns spürbar, und das ist gut für den Bevölkerungsschutz in Deutschland.

Wie übernimmt man eine Behörde in Pandemiezeiten?

Schuster Das ist leider schlimm, weil ich kaum eine Chance habe, persönlich auf meine Mitarbeitenden und Partner zuzugehen, ich suche meine Sparringspartner gerne im realen Leben. Auch wenn ich mit den Medien umgehen kann, der Typ für Computer-Kommunikation bin ich eher nicht, auch wenn ich es gerade so intensiv wie möglich anwende. Das BBK setzt Homeoffice intensiv um. Wir wollen und müssen ja Vorbild sein und gleichzeitig sind wir im Corona-Krisenmanagement gefragt. Diesen Spagat aufzulösen ist nicht ganz einfach.

Wann werden wir wieder weitgehend Normalität von dieser Pandemie haben?

Schuster Nächstes Jahr. Vorher sehe ich das nicht. Vielleicht ist es im dritten oder vierten Quartal dieses Jahres geschafft, dass alle geimpft sind, die das wollen. Aber wir sollten die Gefahr einer dritten Welle nicht unterschätzen. Selbst wenn wir sehr gut impfen, könnte daraus zu früh ein gewisser Leichtsinn entstehen. In unserer Risikoanalyse haben wir im BBK jedenfalls mit der Möglichkeit einer echten dritten Welle und nicht nur einer verstärkten zweiten Welle gerechnet. Es braucht also unabhängig vom Impferfolg weiterhin Disziplin und Vertrauen.

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