Barbara Hendricks und Ronald Pofalla „In herzlicher Abneigung zugetan“

Kleve · Die beiden Klever Barbara Hendricks und Ronald Pofalla kämpften jahrelang in der SPD und der CDU gegeneinander. Heute duzen sie sich - und kämpfen gemeinsam für den Klimaschutz.

 März 2017: Im Rathaus Rees beraten die damalige Umweltministerin Hendricks und Bahnvorstand Pofalla die Betuwelinie.

März 2017: Im Rathaus Rees beraten die damalige Umweltministerin Hendricks und Bahnvorstand Pofalla die Betuwelinie.

Foto: Stade, Klaus-Dieter (kds)/Stade,Klaus-Dieter (kds)

Es ist Ende 2013. November oder Dezember, so genau wissen es Barbara Hendricks und Ronald Pofalla nicht mehr. Die Frau von der SPD und der Mann von der CDU sprechen am Rande einer Bundestagsdebatte unter vier Augen, Pofalla will sich ihr persönlich erklären. Schließlich kennt ihn kaum eine andere Politikerin aus dem gegnerischen Lager so gut wie Hendricks.

Er, der Politiker mit der Bilderbuchkarriere, hat sich entschlossen, nicht mehr Teil der neuen Bundesregierung sein zu wollen. Der Sohn einer Putzfrau und eines Wachmanns aus der westdeutschen Provinz, der es als CDU-Generalsekretär und später Kanzleramtsminister bis zum engen Vertrauten der Bundeskanzlerin brachte, will raus. Sie hingegen, die Haushaltsspezialistin, frühere Staatssekretärin im Finanzministerium und Schatzmeisterin der Bundes-SPD, will rein. In dieses dritte Kabinett von Angela Merkel (CDU). Hendricks wird Umweltministerin.

Hendricks und Pofalla, zwei erbitterte politische Gegner aus Kleve, stehen Ende 2013 vor einem Wendepunkt ihres Verhältnisses, das es so in der Bundesrepublik wohl kein zweites Mal gibt. Seit 1994 traten sie insgesamt sechs Mal bei Bundestagswahlen direkt gegeneinander an. Immer gewann Pofalla das Direktmandat im gemeinsamen Wahlkreis, meistens sogar mit haushohem Vorsprung. Und erst als er einen Rückzieher aus der ersten Reihe in Berlin macht, weichen die Fronten zwischen ihnen auf.

„Mit deinem Fortgang aus der Bundespolitik war dann ein Punkt erreicht, ab dem es für mich ging mit dem Duzen“, sagt Hendricks heute. „Ronald und ich waren uns über Jahre in herzlicher Abneigung zugetan.“ Hendricks, bald 67, sitzt auf einem einfachen Stuhl neben Pofalla, bald 60, in der obersten Etage des Bahn-Towers am Potsdamer Platz in Berlin. Die Aussicht ist spektakulär. Unten, nicht weit entfernt, schimmern Brandenburger Tor, Reichstag und Kanzleramt im Licht der untergehenden Frühlingssonne. Pofalla steckt sich eine Zigarette an. Der Bahn-Vorstand darf hier so viel rauchen, wie er will. Und er raucht wirklich viel. Einst kämpften er und Hendricks mit harten Bandagen gegeneinander, heute teilen sie ein gemeinsames Anliegen: den Klimaschutz. Sie wollen reden.

Pofalla erarbeitete sich Respekt über Parteigrenzen hinweg, indem er die Kohlekommission als einer ihrer Vorsitzenden zu einem Kompromiss führte. Und Hendricks brachte einst als Ministerin den Klimaschutzplan auf den Weg, um den die Regierung noch heute ringt. „Die ‚Fridays for Future’-Proteste sind ein wunderbarer Spiegel für die Politik, dass jetzt gehandelt werden muss“, sagt Pofalla. „Die Ziele der Bewegung sind legitim, die Szenarien haben wir auch in der Kommission durchgespielt.“ Trotzdem halte er das Ergebnis der Kommission „insgesamt für ambitioniert genug“. Die Schüler und ihre Mitstreiter in der Wissenschaft wollen den Kohleausstieg bis 2030, die Kommission gibt bis spätestens 2038 Zeit. 2035 soll Deutschland aus Sicht der Aktivisten klimaneutral sein und die Energieversorgung komplett aus erneuerbaren Quellen stammen. Doch den internationalen Klimazielen zufolge, die auch Hendricks mitverhandelte, muss es nicht ganz so schnell gehen.

Trotz der Differenzen zu den engagierten Schülern sieht Pofalla die Ergebnisse der Kohlekommission in einer Linie mit früheren historischen Entscheidungen der Bundesregierung. „Bisher haben alle großen Koalitionen der jüngsten Vergangenheit historische Entscheidungen herbeigeführt“, sagt er. „Die gute Bewältigung der Finanzkrise nach 2008 gehört dazu, die richtige Flüchtlingspolitik in den Jahren 2015 bis 2017 und jetzt die Beschlüsse zum Kohleausstieg als Paradigmenwechsel in der Energieversorgung.“

Das jedoch war nicht einfach, weiß der als Taktiker bekannte CDU-Politiker. „Die Einigung in der Kohlekommission hätte ich nicht hinbekommen, wenn ich mich in den nächtlichen Schlussverhandlungen nicht über die angedachten Rahmen verschiedener Regierungsmitglieder auf Bundesebene und verschiedener Landesregierungen hinweggesetzt hätte“, sagt Pofalla heute. Er blickt nach vorn: „Dass sich danach alle hinter dem Ergebnis versammelt haben, lässt auf eine rasche Umsetzung hoffen.“ Die müsse jetzt kommen. Keiner könne mehr sagen, das gehe nicht.

„Wir haben Konsens, die roten Linien sind gezogen. Die ersten Gesetze zur Umsetzung der Kohlebeschlüsse kommen vor der Sommerpause auf den Tisch“, ist Pofalla überzeugt. Er sieht vor allem die Energieversorger in der Pflicht: „Kaum ein anderer Sektor bietet an so wenigen Schalthebeln so viel CO2-Einsparpotenzial wie der Energiebereich.“ Einige wenige Kohlekraftwerke machten schon einen großen Unterschied. „Ein solches Volumen im Verkehrssektor einzusparen, ist ungleich schwieriger.“

Ob für eine rasche Umsetzung das neue Klimakabinett hilfreich sein kann? Hendricks, zu deren Amtszeit es das Gremium noch nicht gab, ist unsicher. „Eigentlich bieten die üblichen Verfahren der Gesetzgebung genug Möglichkeiten, um die Klimagesetze auf den Weg zu bringen“, findet sie. Trotzdem halte sie den Start des Klimakabinetts für vernünftig, damit man bis kurz nach der Sommerpause endlich geeinte Beschlüsse zu den Sektorenzielen für den längst verabschiedeten Klimaschutzplan bekomme. „Angela Merkel hat ein erkennbares Interesse daran, ihre Bezeichnung als Klimakanzlerin nicht zu gefährden. Sie wird am Ende den Knoten durchschlagen“, glaubt Hendricks.

Auch Pofalla setzt auf Merkel. „Die Bundeskanzlerin ist ungewöhnlich kenntnisreich beim Sachthema Klimaschutz“, sagt er. „Vielleicht auch, weil sie Physikerin ist.“ Sie kenne alle Debatten, auch in den Nichtregierungsorganisationen. „Und Angela Merkel hat trotz aller Veränderungen in der CDU noch immer die alte Durchschlagskraft als Kanzlerin“, sagt ihr früherer Kanzleramtsminister. Er selbst sieht sein Werk jedoch als vollbracht an. „Die intellektuelle und mentale Belastung der Kommission war gewaltig“, sagt er. Die habe er unterschätzt, als er zusagte. Ob er nochmal bereitstünde? „Die Kohlekommission ist sehr gut gewesen, und man sollte sein Glück kein zweites Mal herausfordern“, sagt Pofalla. „Ronald Pofalla war genau der richtige Vorsitzende für die Kommission“, platzt es aus Barbara Hendricks heraus. Wer hätte das gedacht?

Es sind diese Töne, die man einst in Kleve nicht kannte zwischen den beiden Bundespolitikern. „Politik ist Wettbewerb, der war bei uns sehr ausgeprägt. Gerade in den Anfangsjahren haben wir mit harten Bandagen gekämpft“, sagt Pofalla. Wenn es aber um Projekte im Wahlkreis ging, habe man zusammengehalten, gemeinsame Sache gemacht. „Wir hätten viele Dinge im Kreis Kleve nicht hinbekommen, wenn Barbara, der verstorbene Paul Friedhoff von der FDP und ich nicht in der Sache einig gewesen wären“, meint Pofalla. Hendricks konnte im Finanzministerium gute Konditionen für den Erwerb der britischen Kasernengelände und den Flughafen Laarbruch bekommen, die es sonst gar nicht gab. Und Pofalla ließ später seine Kontakte spielen, als er aufstieg. Zusammen mit Friedhoff sorgten Hendricks und Pofalla dafür, dass in Kleve die Hochschule Rhein-Waal gebaut wurde, für 200 Millionen Euro.

Jetzt hat Pofalla als Bahn-Vorstand neue Mammutprojekte auf dem Schreibtisch. „Alle Regierungen der vergangenen Jahrzehnte haben die nötigen Investitionen in die Schienen-Infrastruktur unterschätzt“, sagt Pofalla. Jetzt sei die Chance da, das zu ändern. „Die Verhandlungen mit dem Bund sind auf einem guten Weg. Ich bin guten Mutes, dass wir vor der Sommerpause eine Einigung haben werden“, meint er.

Für Hendricks geht es jetzt eher darum, ihr politisches Erbe in Kleve zu regeln. Bei der nächsten Bundestagswahl will sie nicht noch einmal antreten. 2017 hatte sie auch gegen Pofallas Nachfolger Stefan Rouenhoff verloren. Mit Pofalla trifft sie sich jetzt immer mal wieder, es ist entspannter. Und dennoch hat auch das neue Verhältnis zwischen ihnen Grenzen: „Von einer Freundschaft würde ich auch heute nicht sprechen“, sagt die SPD-Politikerin, auch wenn sie „zur Hochzeit von Ronald“ eingeladen war. Auch das ging wohl erst nach jenem Gespräch unter vier Augen an einem Tag Ende 2013.

(jd)
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