Ministerin Barbara Hendricks im Interview "Diesel hat Steuervorzug derzeit nicht verdient"

Kleve · Die Bundesumweltministerin spricht im Interview mit unserer Redaktion über Klimapolitik, die zu hohe Grunderwerbsteuer für Familien - und ihre Hochzeit im Oktober.

 In Kleve ist Barbara Hendricks (65) geboren, dort hat sie heute noch mit ihrer Lebenspartnerin Valerie ein Haus. Im Hintergrund die Schwanenburg.

In Kleve ist Barbara Hendricks (65) geboren, dort hat sie heute noch mit ihrer Lebenspartnerin Valerie ein Haus. Im Hintergrund die Schwanenburg.

Foto: Markus van Offern

Barbara Hendricks wird in ihrer Heimat Kleve selbst von Kindern auf der Straße erkannt. Trotzdem schaffte sie es bisher nicht, den Wahlkreis direkt zu gewinnen. Das soll sich bei der Bundestagswahl ändern. Hendricks empfängt zum Gespräch im Bistro ihrer Nichte Pia - und startet damit unsere Interviewserie vor der Wahl. Wichtiger Teil davon: ein persönlicher Fragebogen (unten).

Frau Hendricks, die USA wollen sich aus dem Pariser Klimaabkommen zurückziehen. Belastet das den G20-Gipfel?

Hendricks Erstmal bin ich froh darüber, dass kein weiteres Land dem schlechten Beispiel der USA folgen will. Aber zweifellos macht die US-Politik der Selbstisolierung die Dinge nicht einfacher.

Fürchten Sie denn, dass noch mehr Länder abspringen könnten?

Hendricks Nein. Aber es wäre unklug, den USA die Türe vor der Nase zuzuschlagen. Das könnte im schlimmsten Fall zu unerwünschten Solidarisierungen anderer Länder führen. Ganz wichtig ist es, dass Staaten wie China, Russland und Indien bereits erklärt haben, bei ihren Klima-Zusagen bleiben zu wollen. Das Pariser Abkommen steht, Neuverhandlungen wird es nicht geben. Ich habe in Paris mitverhandelt, und deshalb hat es mich schon in meiner persönlichen Ehre getroffen, als die US-Administration behauptete, das Abkommen sei nur dazu da, um den USA zu schaden. Das ist nun wirklich Unsinn.

Müssen die europäischen Staaten jetzt noch mehr für den Klimaschutz tun, um die Lücke zu füllen?

Hendricks Wir alle haben genug damit zu tun, unsere eigenen ehrgeizigen Verpflichtungen umzusetzen. Und ob es überhaupt eine Lücke geben wird, bleibt ja abzuwarten. Denn Klimaschutz wird auch in den USA trotz Trump weitergehen — in Bundesstaaten wie Kalifornien, aber auch in vielen Städten und in großen Teilen der Wirtschaft.

Beim Kohleausstieg weigern Sie sich beharrlich, feste Zusagen zu machen. Glaubwürdig ist das ja nicht gerade.

Hendricks Dass wir uns von der Kohleverstromung verabschieden müssen, bestreitet heute niemand mehr ernsthaft. Die einzige offene Frage ist, wie wir diesen tiefgreifenden Strukturwandel in einem breiten gesellschaftlichen Konsens mit allen Beteiligten hinbekommen — mit Beschäftigten, Regionen, Wirtschaft und Umweltverbänden. Deswegen ist es aus meiner Sicht sinnlos, jetzt ständig mit Jahreszahlen für den Kohleausstieg um sich zu werfen, wie es die Grünen tun. Ich kann doch das Ergebnis einer gesellschaftlichen Debatte nicht festlegen, bevor dieser Prozess überhaupt begonnen hat. Das wäre unehrlich.

Ohne Zielvorgabe der Politik wird sich aber in der Industrie nichts ändern. So gelang damals der rot-grüne Atomausstieg.

Hendricks Eine Zielvorgabe ist sicherlich richtig, aber entscheidend ist der Weg dorthin. Für 2030 haben wir das mit dem Klimaschutzplan auch schon getan: Etwa die Hälfte der heute noch bestehenden Kohlekapazitäten müssen dann vom Netz sein. Wie wir das genau organisieren und wie es danach weitergeht, dafür wird eine Kommission eingesetzt. Sie soll mit allen Betroffenen unter anderem darüber beraten, wie der Strukturwandel gelingen kann. Wir brauchen alternative Beschäftigungsmöglichkeiten, insbesondere in der Lausitz. Für die rheinischen Reviere bin ich optimistischer, die Lage zwischen den Städten Düsseldorf, Köln und Aachen wird beim Wandel helfen.

Wie kann die Politik trotzdem den Prozess antreiben?

Hendricks Indem wir alternative Energieformen in allen möglichen Anwendungsbereichen konsequent fördern.

Ein chinesischer Autokonzern macht es der deutschen Konkurrenz wieder vor: Die schwedische Tochter Volvo will vollständig auf Hybrid- und Elektromotoren umstellen, hier werden weiter Diesel-SUV gebaut.

Hendricks Wenn die deutsche Autoindustrie so weitermacht wie bisher, wird sie in spätestens zehn Jahren auf dem Weltmarkt ernste Probleme haben. Der Druck aus anderen Ländern, vor allem aus China, für alternative Techniken nimmt zu, und das ist auch gut so. Aber unsere Autoindustrie muss aufpassen, dass sie den Anschluss nicht verpasst. Die deutsche Autoindustrie war in der Vergangenheit doch nicht deshalb weltweit so erfolgreich, weil die die drittbesten Autos gebaut hat, sondern weil die besten technologischen Innovationen aus Deutschland kamen. Warum soll das nicht auch bei alternativen Antrieben so sein?

Bedauern Sie es, dass es noch keine Fahrverbote für schmutzige Dieselfahrzeuge gibt?

Hendricks Nein, ich bin beileibe kein Fan von Fahrboten! Die können allenfalls das letzte Mittel sein. Die Autoindustrie ist jetzt in der Verantwortung, dass es dazu nicht kommt. Sie muss schleunigst damit in die Pötte kommen, die fehlerhaften Autos auf eigene Kosten nachzurüsten. Ich glaube, das haben die mittlerweile auch verstanden.

Aber immer noch ist jeder zweite neu zugelassene Dienstwagen ein Diesel. Wollen Sie dagegen Anreize setzen?

Hendricks Der Diesel hat eine steuerliche Bevorzugung nur verdient, wenn er sein Umweltversprechen einhält. Im Moment sieht es nicht danach aus. Ganz generell bin ich aber dagegen, isoliert über einzelne Punkte bei den indirekten Steuern zu sprechen. Am Ende muss das aus einem Guss sein, mehr für die Umwelt bringen und es muss sozial gerechter sein als jetzt. Wenn die Steuer für Dieselkraftstoff steigt, sollte sie an anderer Stelle sinken — etwa bei der Stromsteuer, die unter den heutigen Bedingungen steigender Anteile erneuerbarer Energien so ohnehin nicht mehr vernünftig ist.

Wie passt das mit Ihrem Steuerkonzept zusammen?

Hendricks Ich halte es für grundfalsch, auf jegliche Art von Steuerpolitik zu verzichten, wie es Herr Schäuble seit 8 Jahren tut. Vielmehr sollte Politik die ökologische Lenkungswirkung gerade bei Verbrauchsteuern gezielt nutzen. Dabei muss eins klar sein: Die Steuerquote darf unterm Strich nicht ansteigen. Belastungen und Entlastungen müssen sich die Waage halten.

Wollen Sie auch das Steuerprivileg für Dienstwagen anpassen?

Hendricks Das ist schon lange überfällig. Gerade angesichts der Dieselquote wäre es wünschenswert, wenn wir die hohen Steuervorteile für Dienstwagenfahrer stärker an ökologischen Kriterien ausrichten.

Ihnen gehört ein Haus in Kleve. Haben Sie sich auch über die Grunderwerbssteuer geärgert?

Hendricks Damals lag die Grunderwerbssteuer noch bei dreieinhalb Prozent. Mit den heute bundesweit durchschnittlich gut fünf Prozent haben insbesondere junge Familien wirklich Probleme. Für den ersten Erwerb einer selbstgenutzten Wohn-Immobilie schlagen wir daher einen Freibetrag von bis zu 200.000 Euro vor. Außerdem wollen wir zusätzlich jungen Familien dabei helfen, überhaupt an die nötigen Kredite für den Hauskauf oder den Eigenheimbau zu kommen. Dazu braucht man nämlich ein gewisses Maß an Eigenkapital, das sie neben der häufig sehr hohen Miete kaum bilden können. Deshalb habe ich ein Familienbaugeld vorgeschlagen, das sofort gezahlt wird, wenn der erste Hauskredit unterschrieben werden muss. Dieser Zuschlag sollte 8000 Euro beim ersten Kind und bei jedem weiteren Kind jeweils 6.000 Euro betragen.

Dabei sind Immobilien hier in Kleve doch deutlich günstiger als in Düsseldorf. Wollen Sie mit der Gießkanne Baugeld verteilen?

Hendricks Nein, wir wollen zielgenau fördern in Gegenden, wo Wohnraum knapp ist. Genauso aber übrigens in meist ländlichen Regionen, die von Leerstand betroffen sind. Hier wollen wir den Erwerb von Bestandsimmobilien fördern. Und anders als das sogenannte "Baukindergeld" der Union hilft unser Vorschlag nur denen, die es wirklich brauchen. Das Baukindergeld der Union landet auch bei denen, die aufgrund ihres hohen Einkommens ohnehin kein Problem dabei haben, von der Bank einen Baukredit zu bekommen.

Die Atomkonzerne haben sich beim Staat mit 24 Milliarden Euro freigekauft. Wie lange wird das Geld reichen?

Hendricks Das kann niemand seriös berechnen. Aber was heißt "freigekauft"? Wir haben erstmals die Rückstellungen der Atomkonzerne staatlich gesichert — und das, soweit es die wirtschaftliche Existenz der Unternehmen nicht grundlegend bedroht. Der Staat hat jetzt die Verantwortung für die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls übernommen. Bis 2031 muss ein geeigneter Standort für ein Endlager gefunden werden. Es geht hier um Ewigkeitslasten, die der Atommüll verursacht hat, und keine Rücklage der Welt reicht für die Ewigkeit. Früher oder später wird der Steuerzahler einspringen müssen.

Müssen Sie auch hier in der Region damit rechnen, dass die Forscher auf ihrer Suche nach einem geeigneten Endlagerstandort fündig werden?

Hendricks Kleve und Umgebung sind Teil der weißen Landkarte, mit der die Standortsuche für ein Endlager beginnen wird.

Dafür haben Sie hier in der Grenzregion ein Problem mit der Pkw-Maut. Künftig müssten all die niederländischen Touristen, die heute in der Innenstadt flanieren, die Abgabe zahlen. Sehen Sie noch Spielraum?

Hendricks Mein Wahlkreis liegt in der Grenzregion zu Holland. Und aus dieser Perspektive halte ich es zumindest für nötig, dass wir klare Ausnahmeregelungen für den Grenzverkehr treffen, etwa indem die Strecken bis zu den ersten beiden Autobahnausfahrten mautfrei bleiben.

Frau Hendricks, die Ehe für alle ist beschlossen. Wollen Sie Ihre Lebenspartnerin nun eigentlich heiraten?

Hendricks Ja, wir haben die Hochzeit für Oktober ins Auge gefasst. Das Gesetz muss ja erstmal in Kraft treten.

In Berlin oder in Kleve?

Hendricks Das verrate ich Ihnen jetzt noch nicht.

(RP)
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