Inteview mit dem Gesundheitsminister Bahr will Kassen zu Prämienzahlungen zwingen

Düsseldorf · Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) will gesetzliche Krankenkassen mit hohen Rücklagen zu einer Rückzahlung von Beiträgen an die Versicherten zwingen. Im Interview mit unserer Redaktion hat er zudem die steigende Zahl von Operationen im Krankenhaus kritisiert und will diese begrenzen.

"Deutschland gilt als Weltmeister bei den Endoprothesen für Knie und Hüften. Krankenkassen und Experten bezweifeln, ob die Fallzahlsteigerungen notwendig sind", sagte Bahr. Solche Mengensteigerungen belasteten Mitarbeiter und Patienten. Auch die Krankenkassen will der Minister in die Pflicht nehmen. "Wir prüfen nun, wie wir die Krankenkassen stärker unter Druck setzen können, dass sie das Geld, das sie nicht zur Versorgung der Versicherten brauchen, an ihre Mitglieder zurückgeben", so Bahr. Es gebe zahlreiche Kassen, die sehr hohe Rücklagen hätten. Sie könnten an ihre Mitglieder Prämien ausschütten, sagte Bahr. "Von dieser Möglichkeit machen bislang zu wenig Kassen Gebrauch."

Im Interview mit unserer Redkation spricht er über die Finanznöte der Krankenhäuser, die Abschaffung der Praxisgebühr und eine mögliche Ampelkoalition in NRW.

Die FDP gewinnt in den jüngsten Umfragen zur Landtagswahl in NRW stetig dazu. Ist das der Christian-Lindner-Effekt?

Bahr: Ja, auch. Wir haben mit Christian Lindner einen Spitzenkandidaten, der hohe Glaubwürdigkeit besitzt und der Partei Schwung verleiht. Zugleich profitieren wir davon, dass die FDP in den vergangenen Monaten liberales Profil gezeigt hat. Ohne uns wäre Joachim Gauck heute nicht Bundespräsident. In NRW haben wir die Schuldenpolitik gestoppt. Wir haben ungerechtfertigte Staatshilfen für Schlecker verhindert, die kein Mittelständler akzeptiert und den Mitarbeitern nicht geholfen hätte.

Tut es Ihnen denn auch leid, dass Sie am Wochenende den Vorsitz der NRW-FDP abgeben werden?

Bahr: Ich war gerne Vorsitzender der NRW-FDP. Aber in diesem besonderen Wahlkampf musste ich mich festlegen: Entweder weiter als Bundesminister oder in der Landespolitik dauerhaft Verantwortung zu übernehmen. Mit Christian Lindner werde ich auch weiter gut zusammenarbeiten.

Der CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen hat sich nicht festgelegt ...

Bahr: Ich werde meinem Kabinettskollegen Röttgen keine Ratschläge erteilen. Klar ist: Der FDP hilft es in der öffentlichen Wahrnehmung, dass der Spitzenkandidat Christian Lindner sich ganz auf NRW konzentriert.

Was wird aus Ihrem Parteivorsitzenden Rösler, wenn die FDP den Einzug in den Landtag nicht schafft?

Bahr: Philipp Rösler ist und bleibt Parteivorsitzender. Wir kämpfen zusammen und wir verlieren oder gewinnen zusammen.

Falls die FDP in den Landtag kommt, dürfte es nur für eine große Koalition oder eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP reichen. Wäre die FDP zu einer Ampel bereit?

Bahr: Ich bin skeptisch, da ich derzeit nicht genügend inhaltliche Übereinstimmung zwischen der FDP und Rot-Grün sehe. Vor allem in der Finanz- und Schulpolitik verfolgt Rot-Grün die falsche Politik. Schuldenhaushalte wie die, die Frau Kraft zuletzt vorgelegt hat, sind mit uns nicht zu machen. Wir wollen zudem die Schulen besser und nicht gleicher machen.

Wie stehen Sie zum Thema Studiengebühren?

Bahr: Ihre Abschaffung war ein Fehler: Die Hochschulen klagen seither über Unterfinanzierung. Ich bedaure, dass die Union nicht mehr dazu steht.

Werden Sie 2013 der Bundesgesundheitsminister sein, der sagt: Ich habe dafür gesorgt, dass die Praxisgebühr wieder abgeschafft wurde?

Bahr: Das wäre schön. Ein Verzicht ist durch unsere Politik mittlerweile finanzierbar. Ich werde jetzt schon als Überschuss-Minister bezeichnet. Wann hat es schon einmal einen Gesundheitsminister mit einem Krankenkassen-Überschuss gegeben?

Das haben Sie der guten Konjunktur zu verdanken.

Bahr: Das ist auch der Verdienst unserer Gesundheitspolitik. Wir haben bewiesen, wie Sparen geht. Durch die ehrgeizigsten Sparmaßnahmen bei den Arzneiausgaben und solides Wirtschaften stehen wir so gut da. Da ist es ein berechtigtes Anliegen, auf die Praxisgebühr, die bürokratisch ist und keine Steuerungswirkung entfaltet hat, zu verzichten.

Die Praxisgebühr war ursprünglich dazu gedacht, die immense Zahl von durchschnittlich 18 Arztbesuchen pro Jahr in Deutschland zu senken. Kapitulieren Sie vor diesem Problem?

Bahr: Nein. Aber die Praxisgebühr hat die Zahl der Arztbesuche nicht verändert. Heute gehen die Menschen mehrfach im Quartal zum Hausarzt, um sich Überweisungen ausstellen zu lassen. Um Arztbesuche zu reduzieren fördern wir die integrierte Versorgung, bei der sich Haus- und Fachärzte besser abstimmen und dadurch Doppeluntersuchungen vermeiden. Wir schaffen eine neue spezialfachärztliche Versorgung, die Schwerkranken hilft.

Die Praxisgebühr bringt jährlich zwei Milliarden Euro ein. In schlechten Zeiten werden die Krankenkassen das Geld wieder brauchen.

Bahr: Für die kommenden drei Jahre sind die Krankenkassen finanziell so gut ausgestattet, dass sie auf die Einnahmen aus der Praxisgebühr problemlos verzichten könnten.

Müssen die Krankenkassen von sich aus mehr Geld an die Versicherten zurückzahlen?

Bahr: Es gibt zahlreiche Kassen, die sehr hohe Rücklagen haben. Sie könnten an ihre Mitglieder Prämien ausschütten. Von dieser Möglichkeit machen bislang zu wenig Kassen Gebrauch.

Wie können Sie die Kassen dazu bewegen, Geld an ihre Versicherten zurückzugeben?

Bahr: Ich fordere die Kassen mit hohen Rücklagen auf, Prämien auszuschütten. Das Gesetz gibt nur die Möglichkeit. Wir prüfen nun, wie wir die Krankenkassen stärker unter Druck setzen können, dass sie das Geld, das sie nicht zur Versorgung der Versicherten brauchen, an ihre Mitglieder zurückgeben.

Die Kliniken sind durch die hohen Tarifabschlüsse für das Krankenhauspersonal unter Druck. Werden Sie denen helfen?

Bahr: Ja, es wird eine Entlastung geben. Es wäre aber nicht sinnvoll, wenn wir die Tarifsteigerungen vollständig finanzieren. Wir brauchen einen Anreiz für wirtschaftliches Verhalten. Deshalb können die Kosten für die Tarifsteigerungen nicht komplett an die Beitragszahler gehen.

Die Union schlägt rund 400 Millionen Euro für 2012 vor.

Bahr: Ich lege mich nicht auf eine Summe fest. Wichtig ist, dass mit der Entlastung für die Krankenhäuser auch der Anreiz gesetzt wird, die Mengen an Behandlungen nicht auszuweiten. Wir haben eine enorme Fallzahlsteigerung.

Operieren die Krankenhäuser zu viel?

Bahr: Deutschland gilt als Weltmeister bei den Endoprothesen für Knie und Hüften. Krankenkassen und Experten bezweifeln, ob die Fallzahlsteigerungen notwendig sind. Solche Mengensteigerungen belasten Mitarbeiter und Patienten. Das müssen wir im Blick haben, aber das ist vor allem eine Aufgabe der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen.

Wie kann der Gesundheitsminister gegensteuern?

Bahr: Wir haben ja schon einen Abschlag für Mengenausweitungen eingeführt. Der wirkt aber offenbar noch nicht ausreichend. Deshalb prüfen wir in der Regierung, wie wir durch weitere ökonomische Anreize, die immer weiter steigenden Fallzahlen in den Kliniken reduzieren können.

(rm/das/rm)
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