Zerbröselnde Vorstände und Fraktionen Aufstieg und Verfall der AfD

Berlin · Seit 2014 reichte es für die AfD bei jeder Wahl für einen Triumph. Mal mehr, mit bis zu 20 Prozent im Osten, mal weniger, wie zuletzt in Niedersachsen. Aber vor allem seit dem Ausstieg von Frauke Petry zerbröseln Vorstände und Fraktionen. Eine Analyse.

Frauke Petry hat die AfD verlassen.

Foto: rtr, MDA

Amüsiert las der CDU-Politiker Michael Grosse-Brömer den ersten Antrag der AfD nach ihrem Einzug in den Bundestag. Denn eine Passage war ihm sofort aufgefallen. Da wollte die neue Fraktion mit ihren immerhin 92 Mitgliedern die Mindestzahl von Abgeordneten für die Nutzung von Minderheitenrechten auf 65 senken. "Möglicherweise vorbeugend", witzelte der Unionsgeschäftsführer.

Tatsächlich waren der AfD vom Tag der Bundestagswahl bis zum ersten Zusammentritt des Parlamentes bereits zwei Parlamentarier abhanden gekommen: Neben der Parteichefin Frauke Petry auch der Abgeordnete Mario Mieruch aus NRW.

In Bremen ist von vier AfD-Abgeordneten einer übrig geblieben

Das ist keine Ausnahme, sondern die Regel bei der AfD. In manchen Fraktionen und Vorständen gleicht das Erscheinungsbild nach dem Siegeszug schon fast Trümmerlandschaften.

Zum Beispiel in Bremen. Da ist von einst vier AfD-Bürgerschaftsabgeordneten noch einer übrig geblieben. Drei folgten nach der Abspaltung des Flügels von Bernd Lucke dem Parteigründer zu den liberal-konservativen Reformern. Und davon sind wiederum zwei schon wieder gewechselt und gehören nun zum Bündnis der "Bürger in Wut".

Sachsens AfD sah sich nun sogar gezwungen, einen Notvorstand ins Leben zu rufen, da gleich sechs Vorstandsmitglieder Reißaus nahmen. Dabei sollte der Landesverband eigentlich den ganzen Stolz der Partei bilden, nachdem er bei der Bundestagswahl sogar vor der regierenden CDU gelandet war. Doch gerade in Sachsen trommelte Petry mit ersten Anfangserfolgen für ihr neues Projekt einer "blauen Wende", mit der sie in Sachsen 2019 offenbar auch zur Landtagswahl antreten will.

Auch in Sachsen-Anhalt schrumpft der Landesverband

Auch Anette Schultner, die Chefin der "Christen in der AfD", hielt es nicht mehr aus. Für sie brachte die Haltung von AfDlern gegenüber der NPD das Fass zum Überlaufen. Nachdem sie es als völlig inakzeptabel bezeichnet hatte, dass ein Vorstandsmitglied der AfD-Christen-Organisation früher für die NPD gespendet hatte, sei eine Unterschriftenaktion zugunsten des Spenders in Gang gekommen. Ihre Haltung sei als "verzerrt" kritisiert worden mit der Begründung, die NPD habe diesem Land lange nicht so sehr geschadet wie die CDU.

Da sei für sie das Maß voll gewesen, sagte Schultner. Viele trauten sich auch nicht mehr, gegen den Flügel von Björn Höcke Position zu beziehen. Dabei ist Schultner selbst Gründungsmitglied der "Patriotischen Plattform" (PP) - einem Verein des äußerst rechten Parteiflügels um Höcke, der für islam- und fremdenfeindliche Positionen steht. PP-Sprecher ist Höcke-Anhänger Hans-Thomas Tillschneider aus Sachsen-Anhalt.

Auch dort schrumpft der Landesverband. Schon im Sommer haben zwei AfD-Parlamentarier die Fraktion verlassen: Sarah Sauermann konnte die Zustände nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren - und trat aus. Gottfried Backhaus begründete seinen Schritt damit, dass er in seiner Partei seit geraumer Zeit "eine Entwicklung hin zu extremen und radikalen Auffassungen und Handlungen" erlebe. Ähnlich hatte NRWler Mario Mieruch auf Bundesebene eine Entwicklung beschrieben, die "viele in der Partei mit Sorge betrachten und von der sie schon viel zu lange hoffen, dass sie umkehrbar sei".

Mieruchs Brief stieß in der NRW-AfD ebenso auf Protest wie der Abgang von Landeschef Marcus Pretzell, der seiner Ehefrau Petry nur einen Tag später gefolgt war und Fraktion sowie Partei verlassen hat. Gemeinsam mit Pretzell verabschiedete sich auch Alexander Langguth aus der Landtagsfraktion, die Fraktion sprach dennoch demonstrativ von Zusammenhalt.

Doch wenig später folgte der dritte Austritt: Frank Neppe, langjähriges Mitglied im Landesvorstand und Schatzmeister in NRW. In einem Brief beklagte auch er die zunehmende Rechtsdrift der AfD. Sein Austritt kam auffallend kurz vor einem Landesparteitag, auf dem finanzielle Unregelmäßigkeiten der Vergangenheit zur Sprache kommen sollten. Viele hatten sich Aufklärung von Schatzmeister Neppe erhofft.

Den geplanten Parteitag verschob die AfD, angeblich wegen einer "massiven Bedrohungslage", was die Polizei nicht bestätigen konnte. Aus Parteikreisen heißt es, es habe den Kandidaten für die wichtige Vorstandswahl lediglich an Mehrheiten gemangelt. Vom künftigen NRW-Vorstand, der bis Ende des Jahres gewählt werden muss, hängt wohl auch ab, wie viele AfDler die Partei und auch die Fraktion im Landtag noch verlassen werden. Sollten vier weitere Mitglieder gehen, verlöre die AfD in NRW ihren Fraktionsstatus. Schon jetzt sind sie mit 13 Mitgliedern die kleinste im Landtag hinter den Grünen - Ausgang ungewiss.

Abspaltungen fallen leicht

Selbst dort, wo AfDler über ausreichend sichere Mandate verfügen, fallen Abspaltungen leicht. In Baden-Württemberg hatte Parteichef Jörg Meuthen sogar mit 13 Kollegen die Fraktion verlassen, sich drei Monate später aber wieder mit den übrigen acht Abgeordneten zusammengetan. Der Anlass für die Spaltung, der umstrittene Politiker Wolfgang Gedeon, blieb draußen, und eine weitere Abgeordnete trat wegen "rechter Tendenzen" aus.

Im Parlament von Mecklenburg-Vorpommern haben vier von einst 13 AfD-Abgeordneten die Gruppe der "Bürger für Mecklenburg-Vorpommern" gegründet, ein weiterer war zuvor ausgetreten. Und selbst in der AfD Brandenburg, der politischen Hausmacht von Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland, ist längst ein Parlamentarier fraktionslos, der auf dem AfD-Ticket in den Landtag gekommen war. Sein Name ist Stefan Hein; es ist der Sohn von Gaulands Lebensgefährtin.

(may- , jra)