Statt Kernspaltung wird auf Kernfusion gesetzt Atomenergie: Ausstieg und Neueinstieg zeitgleich

Greifswald (rpo). Gerade erst ist der von der Bundesregierung beschlossene Ausstieg aus dem Atomstrom angelaufen, da wird bereits mit Hochdruck an einem Neueinstieg gearbeitet. Statt der Kernspaltung wird dabei allerdings auf die Kernfusion gesetzt.

An der vorpommerschen Küste im Teilinstitut Greifswald des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) geht gegenwärtig das weltweit größte Kernfusions-Forschungsprogramm mit dem Bau des Reaktors Wendelstein 7-X voran.

Erste Großbauteile wie Magnetspulen, Segmente des Plasmagefäßes oder Mikrowellen-Heizelemente sind für den nach einem bayerischen Berg benannten Reaktor bereits geliefert. Die Montagevorbereitungen laufen, um den geplanten Betriebsbeginn im Jahr 2010 zu gewährleisten, wie IPP-Sprecherin Isabella Milch versichert. Ziel der Fusionsforschung ist es, die Energieproduktion der Sonne auf der Erde nachzuvollziehen und aus der Verschmelzung von Atomkernen Energie zu gewinnen. Die Wendelstein-Projektkosten von 300 Millionen Euro werden zu 80 Prozent von EU und Bund bezahlt. Den Rest steuert das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern bei.

Der Regierungsbeschluss zur Beendigung der Elektrizitätserzeugung über Kernenergie betrifft ausdrücklich nicht die Fusionsforschung, hieß es auf Anfrage aus dem Bundesforschungsministerium. Die deutsche Beteiligung an der internationalen Fusionsforschung ist im Euratom-Vertrag, dem europäischen Fusionsforschungsprogramm sowie weiteren internationalen Vereinbarungen festgeschrieben. Den Ergebnissen des Wendelstein-Projektes wird maßgebliche Bedeutung für den geplanten internationalen thermonuklearen Experimentalreaktor (ITER) beigemessen, der seit 1988 in weltweiter Zusammenarbeit von europäischen, japanischen, russischen und amerikanischen Fusionsforschern vorbereitet wird.

Bei einer Fusionsleistung von 500 Megawatt soll ITER erstmals ein brennendes und energielieferndes Plasma erzeugen und damit den Nachweis für anwendbare praktische Energiegewinnung über die Kernfusion liefern. Die Pläne für das Projekt inklusive einer Abschätzung der Investitionskosten von rund vier Milliarden Euro wurden bereits im Juli 2001 fertig gestellt.

Streit um ITER-Standort

An der internationalen Ausschreibung um den ITER-Standort beteiligte sich Deutschland nicht. Bei nahezu Idealbedingungen, wie sie auf dem bereits als Atomstandort genehmigten Gelände des im Rückbau befindlichen ehemaligen Kernkraftwerkes Greifswald-Lubmin geboten würden, sieht die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern deswegen eine verpasste Chance. Der Schweriner Landtag hatte noch im Vorjahr fraktionsübergreifend den Standort Greifswald befürwortet und die Bundesregierung ersucht, den vom ITER-Förderverband erarbeiteten Bewerbungsantrag bei der EU einzubringen.

Obgleich Bundeskanzler Gerhard Schröder bei der Eröffnung des Wendelstein-Projektes zugesagt hatte, die Angelegenheit noch einmal kritische zu überprüfen, blieb das Ersuchen ohne Erfolg. Heute schiebt das Bundesforschungsministerium unter Ressort-Chefin Edelgard Bulmahn der CDU-Vorgängerregierung das Versäumnis in die Schuhe. Die Entscheidung, keine deutsche Bewerbung für den ITER- Standort zu formulieren, sei dort getroffen worden.

"Das ist eine Lüge", behauptet der CDU-Europaabgeordnete und ehemalige Schweriner Ministerpräsident, Alfred Gomolka, der gemeinsam mit dem SPD-Landespolitiker Tilo Braune den ITER-Förderverband leitet. Im Juli 1998 hätten der damalige Forschungsminister Jürgen Rüttgers und der französische Forschungs-Staatssekretär Francois Bayrou der Standortbewerbung ihrer Länder lediglich eine bedingte Absage erteilt. Das sei vorbeugend gegen eine zwischenzeitlich ins Gespräch gebrachte finanzielle Belastung für das künftige ITER-Standortland von 60 Prozent der Gesamtkosten gewesen. Eine Absage war das nicht, zumal die inakzeptable Lastenverteilung nie ernsthaft diskutiert wurde, wie Gomolka berichtet.

Inzwischen sei das ITER-Projekt auf nahezu die Hälfte der ursprünglich veranschlagten Kosten abgespeckt worden. "Die jetzige Bewerbung hat mit der Situation von 1998 nichts mehr zu tun", versichert Gomolka. Die französische Bewerbung, die inzwischen innerhalb der EU den Zuschlag vor dem spanischen Bewerbungsantrag erhielt, bestätige das eindeutig. Ob sich das französische Cadarache allerdings mit den weltweiten Bewerberstandorten wie Japan und Kanada messen kann ist offen. Greifswald-Lubmin hätte es gekonnt, ist zumindest Gomolka überzeugt.

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