Ende der Atomkraft am 15. April Wirtschaft warnt vor unkalkulierbaren Risiken durch Atomausstieg
Berlin · Die letzten deutschen Atomkraftwerke werden am 15. April endgültig abgeschaltet. Für die deutsche Wirtschaft beginnt damit ein unkalkulierbares Experiment. Sie warnt vor Risiken bei der Versorgungssicherheit, höheren Energiepreisen und wachsenden Klima-Risiken.
Die deutsche Wirtschaft hat den endgültigen deutschen Atomausstieg am kommenden Wochenende scharf kritisiert. „Trotz gesunkener Gaspreise bleiben die Energiekosten für die meisten Betriebe in Deutschland hoch. Zugleich sind wir beim Thema Versorgungssicherheit noch nicht über den Berg“, sagte Peter Adrian, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), unserer Redaktion.

Der Status der Atomkraftwerke der Region und Deutschlands
„Das gilt nicht nur mit Blick auf den Winter 2023/24, sondern auch langfristig. Wir müssen deshalb weiterhin alles dafür tun, das Angebot an Energie auszuweiten und es keinesfalls weiter einzuschränken“, warnte Adrian. „Denn Deutschland ist auf alle verfügbaren Energieträger angewiesen. Nur so können wir in den kommenden Monaten Versorgungsengpässe und eine erneute massive Steigerung der Energiepreise vermeiden oder zumindest abmildern“, mahnte der DIHK-Chef.
Zum 15. April gehen die verbleibenden drei deutschen Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland nun endgültig vom Netz. Der Termin war von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im November festgelegt worden. Scholz hatte einen Streit zwischen den Grünen, die auf den Atomausstieg Ende 2022 beharrten, und der FDP, die den Weiterbetrieb bis zum Ende der Ukraine-Krise forderte, mit einem Machtwort entschieden. Der Kanzler nutzte dafür seine Richtlinienkompetenz — ein Mittel, das ein Regierungschef nur selten nutzen kann, will er seine Machtbasis, die Regierungskoalition, nicht verlieren.
Aus Sicht der Wirtschaft beginnt damit ein weitgehend unkalkulierbares Experiment. Denn als weltweit einziges Industrieland wagt Deutschland den gleichzeitigen Ausstieg aus der Atomkraft und der Kohleenergie. Der Atomausstieg birgt Gefahren für die Versorgungssicherheit, da auch der Kohleausstieg bis 2030 im Westen und voraussichtlich noch vor 2038 auch in Ostdeutschland ansteht, warnen die Wirtschaftsverbände. Mehr Strom aus erneuerbaren Energiequellen soll zwar die Lücken in den kommenden Jahren und Jahrzehnten schrittweise schließen. Doch das Klima-Risiko könnte zwischenzeitlich zunehmen: Wenn nämlich die Kohlekraftwerke länger als geplant laufen müssten, weil der Zubau an erneuerbaren Energien nicht schnell genug gelingt. Zudem könnten die ohnehin hohen, zuletzt aber gesunkenen Industriestrompreise wieder steigen. Hinzu kommen die Gesamtkosten für Stilllegung und Rückbau der Meiler sowie die Transporte und die Lagerung der Abfälle, die höher ausfallen könnten als bislang angenommen.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) trat Befürchtungen entgegen. „Die Energieversorgungssicherheit in Deutschland wurde in diesem schwierigen Winter gewährleistet und wird auch weiter gewährleistet sein“, sagte er am Wochenende den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die Frage, ob er die Sicherheit der Energieversorgung garantieren könne, bejahte der Vizekanzler. „Wir haben die Lage im Griff durch die hohen Füllstände in den Gasspeichern und die neuen Flüssiggasterminals an den norddeutschen Küsten und nicht zuletzt durch mehr erneuerbare Energien“, sagte Habeck.
„Das in Deutschland bislang unbekannte Risiko von Ausfällen oder Einschränkungen der Energieversorgung ist ein Standortnachteil, der in einem Industrieland durch nichts ausgeglichen werden kann“, hob dagegen DIHK-Chef Adrian hervor. „Vor diesem Hintergrund setzen weite Teile der deutschen Wirtschaft darauf, einsetzbare Kernkraftwerke bis zum Ende der Krise weiterlaufen zu lassen. Für diese Position gibt es auch in den Gremien der DIHK eine breite Unterstützung“, sagte er.
Die Energie- und Wasserwirtschaft warnte vor möglichen neuen Klima-Risiken wegen des Atomausstiegs, weil die Gefahr länger laufender Kohle-Energie zunehme. „Die Entscheidung zum Atomausstieg ist gefallen. Die Bundesregierung sollte sich jetzt mit aller Kraft den notwendigen schnellen Entscheidungen für eine kurz- und langfristig sichere, bezahlbare und klimafreundliche Energieversorgung widmen“, sagte Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). „Um die Versorgungssicherheit künftig jederzeit gewährleisten zu können, brauchen wir wasserstofffähige Gaskraftwerke, die gesicherte, regelbare Leistung als Partner der Erneuerbaren Energien bereitstellen. Können sie nicht rechtzeitig in Betrieb gehen, hätte das hohe Klimagasemissionen zur Folge, denn Kohlekraftwerke müssten dann länger laufen“, sagte die frühere Grünen-Politikerin.

04.04.2023, Niedersachsen, Lingen: Das Kernkraftwerk Emsland. Vor 62 Jahren nahm das erste Atomkraftwerk in Deutschland seinen kommerziellen Betrieb auf. Am 15. April soll aber endgültig Schluss sein mit der nuklearen Stromerzeugung, auch beim Kernkraftwerk Emsland. Foto: Sina Schuldt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Foto: dpa/Sina Schuldt„Der rechtzeitige Bau von genügend gesicherter Leistung wird mit den aktuell geltenden Rahmenbedingungen aber nicht gewährleistet. Der Markt setzt bislang nicht die erforderlichen Bedingungen für den notwendigen Zubau von Kraftwerken, die jederzeit und wetterunabhängig Strom erzeugen können“, warnte sie. Mit der angekündigten Kraftwerkstrategie des Bundeswirtschaftsministeriums müsse deshalb „so schnell als möglich“ die Grundlage dafür geschaffen werden, damit sich konkrete Investitionsentscheidungen in gesicherte Leistung in Deutschland lohnen“, forderte Andreae. Es gehe gleichzeitig darum, die Energie-, Wärme- und Verkehrswende voranzutreiben. „Jede zusätzliche erneuerbare Kilowattstunde erhöht die verfügbare Menge Strom und kann in den kommenden Jahren dazu beitragen, die Preise zu senken und die Versorgung zu sichern“, sagte Andreae.