Zündstoff Atom-Chaos in der Politik

Berlin (RPO). Bei den deutschen Politikern ist das Atom-Chaos ausgebrochen. Während die CDU mit der Forderung nach längeren Laufzeiten der Atomkraftwerke in den Landtagswahlkampf ziehen will, leitete die SPD eine Kampagne für ein Festhalten an dem ausgehandelten Ausstiegsbeschluss ein. Sogar die alte Anti-AKW-Bewegung hat es durch die Debatte wieder auf dem Plan gerufen.

Atomkraftwerke in Deutschland
Infos

Atomkraftwerke in Deutschland

Infos
Foto: AP

Die CSU zieht mit der Forderung nach Korrekturen am geplanten Atomausstieg in den bayerischen Landtagswahlkampf. Der Parteivorstand beschloss am Montag in München ein "Regierungsprogramm", in dem längere Laufzeiten von Kernkraftwerken verlangt werden. Nur so könne verhindert werden, "dass sich die Energiekosten massiv verteuern". CSU-Chef Erwin Huber betonte, ein Neubau von Kernkraftwerken stehe jedoch "derzeit nicht zur Debatte".

Auch die CDU sprach sich angesichts der steigenden Energiepreise erneut für längere Laufzeiten der bestehenden Atommeiler aus. Die daraus resultierenden Gewinne könnten für Preissenkungen und Forschung im Bereich der alternativen Energien eingesetzt werden, sagte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla am Montag in Berlin. Das Präsidium sprach sich aber einvernehmlich gegen den Neubau von Atomkraftwerken aus. "Die CDU sieht die Kernkraft als Brückentechnologie", betonte Pofalla. Auf eine Zeitachse für den Atomausstieg wollte sich die CDU nicht festlegen. Ziel sei es, zu anderen Energieträgern zu kommen.

Grünen wollen nicht koalieren

Die Grünen schließen Koalitionen mit der CDU/CSU für den Fall aus, dass die Union auf einem Wiedereinstieg in die Nutzung der Atomenergie beharren sollte. "Mit einer Partei, die wieder in die Atomkraft einsteigen will, werden wir nicht koalieren", sagte Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn am Montag im ZDF. Kuhn kündigte an, seine Partei werde für den Ausstiegsbeschluss kämpfen. Die aktuellen Vorstöße für längere AKW-Laufzeiten wertete er als "eine Kampagne aus Wirtschaftsinteressen". Z

ugleich drohte Kuhn mit neuen Protestaktionen: "Jedenfalls werden wir uns auch auf der Straße wiedersehen, wenn die auf die Idee kommen, den Atomkonsens, den die Atomwirtschaft ja mit geschlossen hat, jetzt aufzukündigen." Atomenergie sei "unsicher, hoch subventioniert, und auch Uran ist ein endlicher Rohstoff, der sich massiv verteuert". Pofalla wertete die Drohung der Grünen als "putzige Diskussion". Da werde etwas abgelehnt, was in den Überlegungen der Union überhaupt keine Rolle spiele. Der Wunschpartner der Union heiße 2009 FDP.

Zugleich leitete auch die SPD eine Kampagne für ein Festhalten an dem von der damaligen rot-grünen Bundesregierung mit der Energiewirtschaft ausgehandelten Ausstiegsbeschluss ein. Generalsekretär Hubertus Heil präsentierte in Berlin eine Plakataktion seiner Partei mit dem Titel: "Schon vergessen? - Sicher ist nur der Ausstieg".

Nach einer Schaltkonferenz des SPD-Präsidiums verwies Heil auf die ungeklärte Entsorgungsfrage, "laufende Störfälle" in Atomanlagen, die Gefahr von Terroranschlägen auf AKW sowie auf das Problem der Weiterverbreitung von Atomtechnik. "Für uns ist klar, dass wir beim geordneten Ausstieg aus der Atomkraft bleiben", sagte der Generalsekretär. Behauptungen, die Atomkraft helfe beim Klimaschutz, bezeichnete er als "blanken Unsinn". Ebenso falsch sei Gerede von "billiger Atomkraft".

Bundesweite Protestaktion im Herbst

"Wenn wir auf Atomkraft setzen, dann verbauen wir uns den Weg zu den Energiequellen der Zukunft", sagte auch Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD) der "Berliner Zeitung" vom Montag. Allein die jetzt in Nord- und Ostsee geplanten Windparks könnten "so viel Strom liefern wie zehn Atomkraftwerke". In einem Positionspapier der SPD-Abgeordneten im Europaparlament ist allerdings von einer "gespaltenen Meinung" der Sozialdemokraten zur Atomkraft und von einer neuen Kraftwerksgeneration die Rede.

Die neue Atomdiskussion ruft auch die Anti-AKW-Bewegung wieder auf den Plan. Jahrzehnte nach dem letztlich erfolgreichen Kampf gegen das Atomkraftwerk in Wyhl am Kaiserstuhl und die geplante Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf in der bayerischen Oberpfalz formiert sich neuer Widerstand bei Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen. Im Herbst ist eine bundesweite Demonstration am Zwischenlager Gorleben anlässlich des nächsten Castor-Transports geplant. Und auch am Atommeiler in Biblis soll es eine Aktion geben.

"Je offener über längere Laufzeiten für Kernkraftwerke geredet und selbst ein Neubau von Atommeilern nicht mehr ausgeschlossen wird, desto stärker werden die Unruhe und der Widerstand bei unseren Mitgliedern", sagte der Vorsitzende des Bundes Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Hubert Weiger, am Montag der Nachrichtenagentur AP. "Wir erleben, dass das Thema völlig neu an Dimension gewinnt."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort