Seehofer contra Merkel Vom Kompromiss bis zu Neuwahlen - diese Szenarien sind denkbar

Berlin · Kanzlerin Merkel und Bundesinnenminister Seehofer steht im Streit um die Flüchtlingspolitik die entscheidende Runde bevor. Alles ist denkbar: ein Kompromiss, ein Alleingang des Bundesinnenministers, aber auch der große Knall.

 Angela Merkel und Horst Seehofer (Archiv).

Angela Merkel und Horst Seehofer (Archiv).

Foto: AP/Markus Schreiber

Ob die Bundesregierung noch 100 Tage alt wird, ist offen. Der Termin, zu dem üblicherweise die erste Bilanz eines Regierungsbündnisses gezogen wird, wäre am 21. Juni. Je nach Entwicklung des Asylstreits sind vier verschiedene Szenarien denkbar, wie es weitergeht.

1. Szenario: Kompromisslösung

In der CSU-Landesgruppe herrschte schon am Donnerstag die Stimmung, die Zurückweisungen sofort in Gang zu setzen und damit das Regierungsbündnis platzen zu lassen. CSU-Chef Horst Seehofer und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt beschwichtigten dann aber so weit, dass man am Montag erst noch den CSU-Vorstand in München einbeziehen will, bevor das Vorgehen der Christsozialen das Regierungsbündnis in Berlin sprengen könnte. Einzelne mahnende Stimmen, CDU und CSU zusammenzuhalten, gab es am Freitag. Am Wochenende soll es weitere Gespräche geben. Sollten sich die Schwesterparteien im Asylstreit unerwartet zusammenraufen, ist die Kuh noch nicht vom Eis. Seehofer muss seinen Plan auch mit der SPD abstimmen. Die Chance, dass es noch zu einem Kompromiss kommt, sind gering. Kanzlerin Merkel könnte sich möglicherweise noch ein Stück auf die CSU zubewegen, die hat aber mehrfach deutlich gemacht, dass sie bei ihrer harten Haltung bleiben will.

2. Szenario: Merkel gibt nach

Die Bundeskanzlerin galt lange als Meisterin der politischen Wenden. Man denke an ihre spektakuläre Entscheidung für einen Atomausstieg nach dem Atomunglück von Fukushima oder auch die Volte bei der Wehrpflicht. In der Flüchtlingskrise aber hat sie bislang eine solche Kehrtwende nicht hingelegt. Im Gegenteil: Politische Gegner und Freunde erstaunte sie damit, auch gegen die Stimmung im Land und trotz einiger asylrechtlicher Verschärfungen bei ihrer grundsätzlich humanitären und von internationaler Verantwortung geprägten Haltung zu bleiben. Zudem ist der Graben zwischen ihr und CSU-Chef Seehofer nach drei Jahren Streit über die Flüchtlingspolitik inzwischen so tief, dass beide Seiten ein Nachgeben nicht als Kompromiss sondern als persönliche Niederlage sähen. Auch in der Öffentlichkeit würde dies wohl entsprechend interpretiert werden. Die Chance, dass Merkel einseitig nachgibt, ist also ebenfalls gering.

3. Szenario: Seehofer macht Alleingang

Sehr wahrscheinlich ist, dass Seehofer am Montag vom CSU-Vorstand Rückendeckung für einen Alleingang in Berlin bekommt. Damit könnte er umsetzen, was ihm die Kanzlerin Kraft ihrer Richtlinienkompetenz nicht gestattet. Er könnte seinen Masterplan zur Migrationspolitik mit allen 63 Punkten vorstellen - darunter das umstrittene Vorhaben, künftig jene Flüchtlinge schon an der Grenze zurückzuweisen, die entweder schon in einem anderen europäischen Land einen Asylantrag gestellt haben oder die bereits einmal aus Deutschland ausgewiesen wurden. In Berlin wird damit gerechnet, dass Merkel ihren Innenminister dann entlässt. Die weitere Folge: Die CSU würde aus der Regierung austreten. Die Abgeordneten von CDU und SPD haben alleine keine Mehrheit im Bundestag. Bei nächster Gelegenheit müsste Merkel die Vertrauensfrage stellen. Es käme zu Neuwahlen. Theoretisch ist auch denkbar, dass die Grünen in die Regierung eintreten oder diese Übergangsweise stützen. Möglich ist auch, dass Merkel ihren Innenminister nicht entlässt, auch wenn er gegen ihre Anweisung handelt. Doch dann stünde sie nicht weniger düpiert da, als wenn sie im Streit komplett nachgeben würde - nur mit dem Unterschied, dass sie inhaltlich bei ihrer Linie geblieben ist. Diese Variante gilt als unwahrscheinlich, der Autoritätsverlust der Kanzlerin wäre zu hoch. Zudem würde der Koalitionspartner SPD dies nicht akzeptieren. Mussten die Sozialdemokraten doch wochenlang jedes Satzzeichen im Gesetz zum Rückkehrrecht in Teilzeit mit dem Kanzleramt abstimmen. Da können sie sich auch nicht einen Alleingang Seehofers gegen den Willen von CDU und SPD bieten lassen.

4. Szenario: Durchwursteln zum Gipfel

Es gibt noch eine vierte Variante, die zwar stilistisch hässlich wäre, am Ende aber zur Gesichtswahrung aller und zur möglichen Rettung der Koalition beitragen könnte: Die CSU fordert - wie zu erwarten - Seehofer auf, dass er in Sachen Zurückweisungen einen Alleingang in Berlin unternimmt. Seehofer lässt sich dann aber Zeit. Er redet noch mit der SPD und dann dauert es ein paar Tage, bis er seinen Masterplan vorstellt. Bevor er dann tatsächlich die Anweisung an die Bundespolizei erteilt, jene Flüchtlinge, die schon einen Asylantrag in einem anderen EU-Land gestellt haben oder schon einmal aus Deutschland ausgewiesen worden sind, tatsächlich nicht mehr ins Land hereinzulassen, könnten auch noch einmal ein paar Tage vergehen. Dann wäre der EU-Gipfel nicht mehr weit und Merkel bekäme ihre Chance, doch noch einen Plan vorzulegen, durch den die zusätzlichen Zurückweisungen an der deutschen Grenze in geordneten Bahnen laufen könnten.

Dieses Szenario ist allerdings nur denkbar, wenn die CSU tatsächlich ein Interesse hat, die Koalition zu erhalten. Ob das zutrifft, ist nicht ganz durchschaubar. Die Inszenierung am Donnerstag und die harten Worte am Freitag lassen darauf schließen, dass die CSU willens ist, die Koalition platzen zu lassen. Doch auch von dem denkwürdigen Tag mit den getrennten Sondersitzungen gibt es noch eine zweite Lesart: Die CSU hatte am Donnerstag darauf gehofft, dass die CDU-Abgeordneten sich in der Mehrheit gegen Merkel stellen. Dann hätte man die Kanzlerin mit einer gemeinsamen Abstimmung in die Knie zwingen können. Sie hätte im Streit um die Zurückweisungen nachgeben oder gänzlich aufgeben müssen. Die CSU wäre damit nicht der Buhmann gewesen, hätte sich aber auf ganzer Linie durchgesetzt und die ungeliebte Kanzlerin gedemütigt.

(qua)
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