Bundesrat entscheidet Asylgesetz wird für Grüne zur Zerreißprobe

Berlin/Düsseldorf · Der Bundesrat entscheidet am heutigen Freitag über das Vorhaben der großen Koalition, Flüchtlinge aus Westbalkanstaaten leichter abschieben zu können. Dafür braucht Schwarz-Rot auch mindestens ein Grün-regiertes Land. Und das scheint es jetzt zu geben.

Aus diesen Ländern kommen die meisten Einwanderer
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Foto: Caro / Oberhaeuser

Der Bundesrat muss sich am heutigen Freitag entscheiden, ob er die Asylrechtsnovelle der großen Koalition Gesetz werden lässt. Union und SPD verfügen in der Länderkammer nicht über die Mehrheit und benötigen die Stimmen aus mindestens einem Bundesland, in dem die Grünen mitregieren.

Hinter den Kulissen spitzte sich am Donnerstag der Streit innerhalb der Grünen zu, nachdem bekannt geworden war, dass das grün-rot-regierte Baden-Württemberg die bei den Grünen scharf kritisierte Einstufung von drei Westbalkanländern zu "sicheren Herkunftsstaaten" mittragen könnte. Am Freitag hieß es dann aus Regierungskreisen: Der Weg für eine Asylrechtsreform ist frei. Das grün-rot regierte Baden-Württemberg wird der Reform zustimmen.

Warum will die große Koalition die Asylrechtsnovelle?

CDU und CSU sehen das Asylgesetz als Teil eines Paketes an. Die SPD habe in den Koalitionsverhandlungen die doppelte Staatsbürgerschaft bekommen, dafür stehe der Union nun die Verschärfung beim Asylrecht zu. Anlass sind die rapide zunehmenden Asylbewerberzahlen. Nach dem 2008 erreichten niedrigsten Wert von 28.018 Anträgen waren es bis Ende August dieses Jahres bereits 115.737. Das Innenministerium rechnet damit, dass in diesem Jahr die 200 000-Grenze überschritten wird. 20 Prozent kommen aus den Westbalkanstaaten.

Wie ist die aktuelle Lage in Nordrhein-Westfalen?

Wegen Masern, Mumps und Windpocken in mehreren Unterbringungseinrichtungen (darunter in Essen) hat NRW einen vorübergehenden Aufnahmestopp erwirkt. In allen Landeseinrichtungen stehen insgesamt 4835 Unterbringungsplätze zur Verfügung (vor zwei Jahren lag die Kapazität bei lediglich 1725 Plätzen), davon 400 in Neuss, 350 in Dortmund und 600 in Unna-Massen. Laut NRW-Innenministerium wurden in diesem Monat bereits 5134 Asylbewerber registriert. Für 300 von ihnen gibt es Ausweichquartiere auf dem Gelände einer Polizeieinrichtung in Holte-Stuckenbrock.

Wie geht es in NRW weiter?

NRW muss sein Aufnahmekontingent — rund 21 Prozent der Asylbewerber — erfüllen. Deswegen ist bis November der weitere Ausbau der Unterbringungsmöglichkeiten auf 6785 Plätze vorgesehen. Davon sind 300 Plätze in Duisburg, 250 in Willich (Kreis Viersen) sowie 70 weitere Plätze in Kerken (Kreis Kleve) vorgesehen. Im vergangenen Jahr hat NRW insgesamt 23.719 Asylbewerber aufgenommen. In diesem Jahr werden es nach Angaben von NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) voraussichtlich mehr als 37.000 Menschen sein.

Was soll die Novelle bringen?

Wenn Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden, lassen sich Asylverfahren radikal abkürzen, weil dann bei Bewerbern aus diesen Ländern nicht der Antrag wie üblich geprüft wird. Sondern der Betroffene muss nachweisen, dass er in seinem Heimatland politisch verfolgt wird. Die Union argumentiert, dass die Kapazitäten der Asylbewerberprüfer auf die Flüchtlinge konzentriert werden, die — etwa bei Menschen aus Syrien — eine Anerkennungsquote von nahezu 100 Prozent haben und nicht von Anträgen aus solchen Ländern belastet werden sollen, bei denen der Anteil der tatsächlich Asylberechtigten gegen Null tendiere.

Warum tun sich die Grünen so schwer?

Sie haben schon den Asylkompromiss Anfang der 90er Jahren nicht mitgetragen, weil seinerzeit das Instrument der sicheren Herkunftsländer eingeführt worden war. Grünen-Politikerin Claudia Roth bringt die Haltung ihrer Partei auf den Punkt: "Von vornherein festlegen zu wollen, dass in bestimmten Ländern keine Fluchtgründe existieren können, ist Realitätsbeugung per Gesetz und höhlt das individuelle Grundrecht auf Asyl aus", erklärt Roth unserer Redaktion.

Können sich Grüne trotzdem darauf einlassen?

Der Handlungsdruck kommt auch aus Städten, in denen die Grünen mit das Sagen haben und betrifft auch von Grünen mitregierte Länder. Grünen-Chef Cem Özdemir glaubte zunächst nicht an eine Einigung und sah eher die CDU unter dem (Ein-)Druck des AfD-Abschneidens bei den letzten drei Landtagswahlen. Aber auch bei den Grünen gibt es die Befürchtung, dass eine monatelange Auseinandersetzung Ressentiments gegen Ausländer in Deutschland verstärken könnte. Eine Zustimmung könne es jedoch nur geben, wenn es signifikante Verbesserungen an anderer Stelle gebe.

Was bietet die Koalition den Grünen?

Die Grünen hatten sich für die Sommermonate auf intensive vertrauliche Verhandlungen eingestellt. Doch nach einer Zusammenkunft im Juli, bei denen beide Seiten lediglich die Standpunkte austauschten, gab es keinerlei Bewegung. Kanzleramtsminister Peter Altmaier habe als Chefkoordinator nicht einmal ein Angebot unterbreitet und die Dinge dann treiben lassen. Die Regierung erklärte bis zuletzt, zu "inoffiziellen" Gesprächen jederzeit bereit zu sein.

Nach unbestätigten Berichten soll Altmaier in dieser Woche in Aussicht gestellt haben, dass bei einem Ja des Bundesrates die Regierung bereit sei, das Recht von Asylbewerbern zur freien Bewegung auf das gesamte Bundesgebiet auszudehnen und für einzelne Branchen den Zugang zum Arbeitsmarkt nicht mehr von einer "Vorrangprüfung" abhängig zu machen. Derzeit bekommen Asylbewerber Jobs nur dann, wenn zuvor geklärt ist, dass keine EU-Bürger dafür zu gewinnen sind. Teil des Gesetzesvorhaben ist bereits, dass Asylbewerber deutlich früher als bisher eine Arbeit aufnehmen dürfen. Das hatten die Grünen immer gefordert.

Welche Optionen hat Rot-Grün?

Weil das Gesetz über die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten ohne Zustimmung des Bundesrates nicht in Kraft treten kann, müssen auch die rot-grün-regierten Länder Farbe bekennen. Üblicherweise einigen sich Länderkoalitionen, die unterschiedlicher Meinung sind, auf eine "Enthaltung". Das wirkt in dieser Situation wie ein "Nein". Das Gesetz ist angenommen, wenn mindestens eines der sieben Rot-Grün-Länder zustimmt. Der Bundesrat kann das Vorhaben aber auch auf die Oktober-Sitzung vertagen oder den Vermittlungsausschuss anrufen und mit der Koalition in formelle Verhandlungen eintreten.

(may-)
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