Asyldebatte nach Solingen Die Forderungen der Politik – ob und wie schnell sie umsetzbar sind
Analyse | Düsseldorf · Nationale Notlage, Abweisungen oder Abschiebungen – der Katalog des CDU-Vorsitzenden zur Eindämmung der Flüchtlingszahlen ist gewaltig. Doch an den Regeln des Völkerrechts kommt auch Friedrich Merz nicht vorbei.
CDU-Chef Friedrich Merz hat eine neue Lieblingsgegnerin. Es ist seine Kollegin im SPD-Vorsitz, Saskia Esken. In der jüngsten ARD-Talksendung mit Caren Miosga unmittelbar nach dem islamistischen Anschlag vom vergangenen Freitag meinte sie frei heraus: „Wir können nichts aus Solingen lernen.“ Dieser Satz bringt den Chef der Christdemokraten auf die Palme. „Wir können sehr wohl aus Solingen lernen“, sagt Merz. Und legt noch einen drauf. Wenn es nur noch heiße, dies und das gehe nicht, „dann können wir die Arbeit in den Parlamenten gleich einstellen“. Merz hat eine ganze Reihe von Rechtsänderungen vorgeschlagen, auch andere Politiker haben Forderungen nach dem fürchterlichen Anschlag in Solingen erhoben. Tatsächlich gibt es bei diesem heiß umstrittenen Thema ein Geflecht von Regelungen, das nicht ohne Weiteres zerschlagen werden kann. Gehen wir die wichtigsten Vorschläge durch.
Deutschland sollte eine nationale Notlage ausrufen
Diesen Vorschlag hat der CDU-Vorsitzende Kanzler Olaf Scholz (SPD) beim jüngsten gemeinsamen Treffen unterbreitet. Der Christdemokrat beruft sich dabei auf den Vertrag zur Arbeitsweise der Europäischen Union. Im Artikel 78 ist dort die Möglichkeit einer Notlage vorgesehen, wenn plötzlich ein unerwarteter Flüchtlingsstrom einsetzt. Allerdings steht dort nicht explizit, dass dann nationales Recht vor europäisches gestellt wird. Merz möchte nämlich, dass Personen, die unerlaubt einreisen, nach dem deutschen Aufenthaltsrecht schon an der Grenze zurückgewiesen werden können. Laut dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (Geas) muss indes jeder Einzelfall geprüft werden, wenn ein illegal Einreisender einen Asylantrag stellt. Dazu muss er oder sie lediglich das Wort „Asyl“ rufen.
Ob eine Notlage das aushebelt, ist in der Fachwelt umstritten. Der Oldenburger Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler sprach in der „Bild“-Zeitung von einer drastischen, aber zumindest kurzfristig sinnvollen Maßnahme. Deutschland könne so die Flüchtlingszahlen begrenzen und gleichzeitig Druck innerhalb der EU ausüben, ein funktionierendes Verteilungssystem zu schaffen. Das klingt vielversprechend. Aber der Wortlaut dort ist anders. Danach kann der „Rat auf Vorschlag der Kommission vorläufige Maßnahmen zugunsten der betreffenden Mitgliedsstaaten erlassen“. Das ist ziemlich vage. Auf jeden Fall braucht Deutschland die Zustimmung des Europäischen Rats. Zugleich können Flüchtlinge ein solches Verfahren vom Europäischen Gerichtshof überprüfen lassen.
Der Professor für öffentliches Recht und Völkerrecht an der Bucerius Law School in Hamburg, Jörn Axel Kämmerer, weist indes darauf hin, dass jemand, der über den Landweg die EU erreicht, im Staat der Erstaufnahme seinen Asylantrag stellen müsse. „Solche Personen muss Deutschland nicht einfach so einlassen“, meint der Staatsrechtler. Allerdings sieht das Grundgesetz nach Artikel 16a vor, dass politisch Verfolgte Asyl genießen. Das wiederum muss in Deutschland festgestellt werden. Eine schwierige Lage.
Faktischer Aufnahmestopp für Afghanen und Syrer
In einer ersten Reaktion auf Solingen hatte sich Merz dafür ausgesprochen, keine weiteren Personen mehr aus den Ländern Syrien und Afghanistan aufzunehmen. Nach bisheriger Rechtslage ist eine automatische Zurückweisung von Angehörigen beider Nationalitäten nur möglich, wenn diese Länder sichere Herkunftsstaaten sind. Das könnte die Bundesregierung beschließen.
Schon innerhalb der Koalition dürfte das kaum durchsetzbar sein. Darüber hinaus würde die Bundesregierung gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und andere völkerrechtlichen Verträge verstoßen. Danach dürfen Menschen nicht in Bürgerkriegsgebiete und in Länder ausgewiesen werden, in denen ihnen Folter und willkürliche Inhaftierung drohen.
Die CDU ist in dieser Frage zurückgerudert. Sie will jetzt solche Personengruppen an der Grenze abwehren, wenn sie zuvor ein anderes EU-Land betreten haben. Aber auch hier gelten die Einwände, dass im Einzelfall geprüft werden muss. Wo sind die Flüchtlinge zuerst auf europäischem Boden gewesen? Ist das betreffende Land bereit, die Flüchtlinge sofort aufzunehmen? Und was passiert, wenn die illegal Einreisenden in Deutschland einen neuen Asylantrag stellen? Immerhin ist allein durch das Vorhandensein von Grenzkontrollen die Zahl der unerlaubten Einreisen gesunken. Die Herkunft eines Flüchtlings darf hier aber nicht darüber entscheiden, ob der Fall geprüft wird oder nicht.
Verschärfung der Sicherheitsgesetze
Merz hat auch ein ganzes Bündel von Gesetzesveränderungen im Bereich der inneren Sicherheit vorgeschlagen. Dazu gehört die Möglichkeit für anlasslose Kontrollen der Bundespolizei, der Verzicht auf Kontrollquittungen, die Beamte ausstellen müssten, wenn sie eine Person angehalten haben. Merz möchte auch, dass die Bundespolizei Abschiebungen beantragen kann und der Abschiebegewahrsam erleichtert wird. Schließlich sollen die Sicherheitsbehörden Zugriff auf die IP-Adressen von Geflüchteten bekommen.
Eine genaue Bewertung dieser Maßnahmen ist noch nicht möglich, da die Union noch keinen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Änderungen in diese Richtung dürften aber grundsätzlich möglich sein, sofern sie nicht der deutschen Verfassung widersprechen. Das müsste dann das Bundesverfassungsgericht klären. Politisch sind FDP und Grüne gegen allzu weitgehende Kompetenzen für die Sicherheitskräfte, wenn dies zulasten des Datenschutzes oder der allgemeinen Persönlichkeitsrechte geht.
Streichung der Sozialleistungen für Ausreisepflichtige
Diese Forderung wird vor allem in der FDP vertreten. Sowohl der Parteivorsitzende Christian Lindner wie auch Fraktionschef Christian Dürr wollen Geld- und Sachleistungen auf null herunterstreichen, wenn die Ausreisepflicht eines abgelehnten Asylbewerbers rechtskräftig wird. Das wirkt auf den ersten Blick überzeugend. Allerdings gibt es trotz Ausreisepflicht Verzögerungen, die ein Flüchtling nicht zu vertreten hat. Er kann krank werden oder muss sich um einen Angehörigen kümmern. Deswegen wird eine Abschiebung nicht vorgenommen. Sollte jemand nun keine Geldleistungen mehr erhalten, könnte er vor Gericht klagen. Nach geltender Rechtslage hätte er gute Chancen, wieder in den Genuss der Leistungen zu kommen, sofern dem Flüchtling ansonsten die Mittel zum Lebensunterhalt gänzlich fehlen. Salopp gesprochen lässt unser Staat niemanden verhungern.
Etwas anderes ist die Kürzung von Leistungen, wenn Flüchtlinge an staatlichen Auflagen wie Ausreisepflicht, die Bereitstellung von Dokumenten oder Erreichbarkeit nicht mitwirken. Hier sollten wie im Bürgergeld mehr Sanktionen möglich sein.