CDU und CSU streiten über Asyl „Ein Endspiel der Glaubwürdigkeit“

Berlin · So viel Dramatik gab es in der Union selten zuvor. Die CSU droht der CDU mit der Auflösung der Fraktionsgemeinschaft. Der Asylstreit kann Merkel zum Verhängnis werden. Nahaufnahme eines Chaos-Tages.

 Keine Einigung in Sicht: Seehofer, Merkel.

Keine Einigung in Sicht: Seehofer, Merkel.

Foto: AFP/TOBIAS SCHWARZ

Der Tag der Regierungskrise in Berlin beginnt früh. Um acht Uhr schaltet sich das CDU-Präsidium per Telefon zusammen. Merkel konnte am Vorabend mit CSU-Chef Horst Seehofer und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) keinen Kompromiss im Streit um den Umgang mit Flüchtlingen an der deutsche Grenze erzielen. Merkel braucht jetzt Rückendeckung. Sie erklärt ihren Plan, binnen zwei Wochen eine europäische Lösung zu schmieden und nur Asylbewerber an der Grenze zurückzuweisen, die bereits einmal in Deutschland abgelehnt wurden.

Die CDU-Präsidiumsmitglieder stellen sich auf ihre Seite. Nur Michael Kretschmer, Ministerpräsident in Sachsen, wo die AfD die CDU bei den Landtagswahlen 2019 überholen könnte, lässt anklingen, dass er eine zeitnahe europäische Lösung für unwahrscheinlich hält. Gesundheitsminister Jens Spahn zeigt sich bereit, Merkels Kurs mitzutragen, er fordert aber, dass dieser in der Fraktion abgestimmt werden muss.

Kauder schickt Journalisten weg

Hektische Telefonate folgen. Die CSU ist zu einer Sondersitzung der Fraktion bereit, kündigt aber an, sich wie üblich davor allein zu treffen. Daraufhin beschließt die CDU, auch erst einmal nur untereinander zu reden. Damit ist die Sensation perfekt: Die Schwesterparteien lassen die zu dem Zeitpunkt laufende Plenardebatte unterbrechen, um in getrennten Sitzungen die hausgemachte Regierungskrise zu beraten.

Die Nerven liegen blank. Auf der dritten Etage des Reichstagsgebäudes streift Volker Kauder gegen 11.30 Uhr über den kleinen Flur zwischen dem Eingang zum großen Fraktionssaal, wo die CDU tagen will, und zum kleineren Fraktionsvorstandssaal, wo sich die CSU versammeln will. Erstmals seit 1999 tagen die Schwesterparteien in getrennten Fraktionssitzungen. Kauder fordert Journalisten auf,den Flur zu verlassen, fasst einen sogar an, um ihn wegzuschieben. Zwischen CDU und CSU sollen nicht auch noch die Beobachter stehen. „Das ist Fraktionsbereich“, sagt er.

Wolfgang Schäuble läuft zu Hochform auf

In den getrennten Sälen bestärkt jede Partei ihre Identifikation. Bei der CDU ergreift zuerst die Kanzlerin das Wort und erklärt noch einmal, was sie morgens bereits in der Schaltkonferenz mit dem Präsidium deutlich gemacht hat. Deutschland trage große Verantwortung für Europa. Sie bittet um zwei Wochen Zeit, um beim bevorstehenden Gipfel auf europäischer Ebene durch Verhandlungen zu Ergebnissen zu kommen. Im Gegensatz zur Fraktionssitzung am Dienstag, in der sie auf Ablehnung stieß, ist nun breiter und anhaltender Applaus das Echo.

Danach bittet Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ums Wort. Er läuft zur Hochform auf, wirft all sein politisches Gewicht in die Waagschale. Rückhaltlos stellt er sich hinter die Kanzlerin, die er in weniger krisenhaften Lagen oft genug kritisiert hat. Ihr Vorgehen in der Flüchtlingspolitik sei nicht nur wichtig für die Europäische Union sondern auch im Interesse Deutschlands, redet Schäuble den Abgeordneten ins Gewissen. Er holt groß und historisch und sehr europäisch aus. Schließlich erinnert er an den drohenden Bruch der CDU-CSU-Fraktionsgemeinschaft von 1976.

„Die Menschen haben keine Geduld mehr“

Doch genau darauf scheint es nebenan hinauszulaufen. Die Landesgruppe steht wie ein Mann hinter Seehofer und Ministerpräsident Markus Söder. In ungewohnter Eintracht bewerben sie ihr Vorhaben, keinen Zentimeter nachzugeben in der Frage der Zurückweisungen. Söder spricht vom „Endspiel der Glaubwürdigkeit“. Jeden Tag passiere etwas Schreckliches durch die Flüchtlinge, sagt er und nennt Beispiele von Gewalttaten. „Die Menschen haben keine Geduld mehr.“ Am Ende sind die CSU-Abgeordneten so aufgepeitscht, dass Seehofer, Söder und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt einen Gang zurückschalten müssen. Die endgültige Entscheidung, dass Seehofer die Zurückweisungen auch gegen den Willen der Kanzlerin durchsetzt, soll erst nach einer CSU-Vorstandssitzung am Montag fallen.

Erste SMS an die Grünen

Der Bruch der Fraktionsgemeinschaft scheint zum Greifen nahe. Als am Nachmittag die Plenardebatte fortgesetzt wird, liegen die Unionsschwestern inhaltlich weiter auseinander als zuvor. Erste CDU-Abgeordnete schicken SMS-Nachrichten an die Grünen, die nun auch zu einer Sondersitzung zusammen gekommen sind. Rein rechnerisch könnten die Grünen die CSU in der Regierung ersetzen. „Na, wie wär’s?“, lautet die Kurzbotschaft. Die Grünen fassen das Angebot fürs Erste als Scherz auf. Auch die Sozialdemokraten bleiben während des unionsinternen Gefechts erst einmal in Deckung. Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles sendet einen nüchternen Ordnungsruf an den Koalitionspartner und mahnt, in der Asylpolitik die Vorgaben des Koalitionsvertrags einzuhalten. Mit Blick auf Bayern sagt sie: „Theaterstücke im Dienste von Landtagswahlen sind nicht angemessen.“

(dreb)
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