Armut in Deutschland Gute Bildung ist immer noch etwas für Besserverdienende
Serie · Kinderarmut bedingt Bildungsarmut – das ist in Europa nirgends so deutlich wie in Deutschland. Auch die neue Bundesregierung will sich des Themas annehmen. Und es gibt einige kluge Ideen, Ärmere besser zu bilden.
Um die Jahrtausendwende war die Erschütterung groß. 2001, bei der ersten internationalen Schulleistungsstudie Pisa (Programme for International Student Assessment), die seitdem alle drei Jahre veröffentlicht wird, landete die Deutschland je nach Kompetenzbereich auf Rang 21 bis 25 – von 32 untersuchten Ländern. Der Pisa-Schock saß tief. Besonders beachtlich: Wie stark gute Ergebnisse dabei mit der sozialen Herkunft zusammenhängen. Daran hat sich bis heute wenig geändert, auch wenn Deutschland sich bei der jüngsten, Ende 2019 veröffentlichten Studie deutlich verbessert hat im Ranking und in den drei Kompetenzbereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften jeweils etwas über dem OECD-Durchschnitt liegt.
Doch leider zeigte Pisa 2018 beim Schwerpunkt Lesen: Die Abhängigkeit der Lesekompetenz vom sozioökonomischen Hintergrund der Eltern wächst. Schülerinnen und Schüler mit besonders privilegierter sozialer Herkunft liegen 113 Punkte vor ihren Altersgenossen aus besonders ungünstigen sozialen Lagen. Nur in drei OECD-Ländern ist der Abstand zwischen den Herkunftsgruppen größer. Geht man von schulischer Bildung als Grundstein der beruflichen Bildung und des Erfolgs im Erwerbsleben aus, hinken deutsche Kinder in Sachen Chancengleichheit nicht nur weit hinterher, sie haben auch kaum Chancen, den Teufelskreis zu durchbrechen: Wer arm aufwächst, bleibt arm.
Doch wo liegt die Ursache? Erreicht Bildung die Ärmeren nicht? Oder erreichen Ärmere die Bildung nicht? Schließlich sitzen Kinder aus gut situierten Familien mit Kindern aus ungünstigen Soziallagen in der gleichen Schulklasse zusammen.
Fakt ist: Frühkindliche Förderung, besondere Hobbies und die Anbindung an Vereine ist eine Frage des Geldbeutels. Familien mit wenig Einkommen können Kindern weniger ermöglichen. Es ist aber nicht nur eine Frage von Äußerlichkeiten, sondern auch eine der inneren Herangehensweise. Geldnot macht unfrei, in der konkreten Lebensweise, aber auch in der Denkweise. „think Big!“ , denke groß, ist mit einem kleinen Verdienst der Eltern eben schlicht nicht möglich, oder nur als Träumerei. Das gilt für die Schulzeit, in der Motivation und Zielstrebigkeit bei Heranwachsenden variieren können. Im Besonderen gilt dies aber in der entscheidenden Übergangsphase: dem Berufseinstieg.
Ein Problem, das viel abstrakter anfängt: Die Forschung zeige, dass junge Menschen häufig die Folgen ihrer Entscheidungen nicht absehen können, etwa was den Schulabschluss betreffe, sagt Professorin Ute Klammer, Direktorin des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. „Im Grunde müssten schon in der Schule finanzielle Bildung oder ökonomische Lebensführung auf dem Lehrplan stehen. Menschen stehen heute viel stärker in der Pflicht, ihre Lebensläufe eigenständig zu gestalten – sind aber oft nicht gut vorbereitet", so die Expertin.
Auch der Zugang zu höherer Bildung sei insgesamt immer noch stark von der Herkunft abhängig – vor allem Hochschulbildung mit der Aussicht auf besser bezahlte Jobs. „Wir arbeiten seit Jahren daran – mit Scouting-Programmen für Schüler und Schülerinnen aus Nicht-Akademiker-Haushalten, Mentoring-Programmen, speziellen Beratungsangeboten und Alternativen zu Auslandsprojekten, wenn etwa das Geld für ein Auslandsaufenthalt fehlt", erklärt Klammer. „Es gibt sehr viele Initiativen, das Problem wurde erkannt, aber vieles ist noch zu undurchlässig."
Tatsächlich heißt es im Koalitionsvertrag der neuen Regierung wörtlich, man wolle „die Durchlässigkeit von beruflicher und akademischer Bildung verbessern“, die Ausbildung im Handwerk „gezielt fördern“ und „eine Begabtenförderung in der beruflichen Bildung einführen“. Vieles bleibt schwammig, etwa in puncto Handwerk und Fachkräftemangel: So soll die die duale Ausbildung „gestärkt werden“, Menschen mit Migrationsgeschichte mit einer Förderinitiative ebenfalls „gestärkt“ werden genauso wie Frauen im Handwerk. Dass die Regierung die Kosten von Meisterkursen und -briefen für die Teilnehmer deutlich senken will, ist ein Anfang. Was ansonsten konkret umgesetzt wird, um für Chancengleichheit unabhängig vom Sozialstatus zu sorgen, bleibt abzuwarten.