Trotz aller Existenzprobleme wegen Corona 98 Prozent der Selbstständigen verzichten auf die Arbeitslosenversicherung
Exklusiv | Berlin · Obwohl die Corona-Pandemie viele Selbstständige in Existenznöte gestürzt hat, sind weiterhin nur zwei Prozent von ihnen freiwillig in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung. Dabei wäre sie für viele gegenüber Hartz IV die erheblich bessere Alternative.
Trotz der für viele Betriebe existenzbedrohenden Corona-Krise verzichtet die überwältigende Mehrheit der Selbstständigen in Deutschland auf eine freiwillige Absicherung in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung. Nur zwei Prozent aller Selbstständigen oder rund 70.000 Kleinunternehmer sind gegen Arbeitslosigkeit abgesichert. Das geht aus der Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor. Demnach ist die Zahl der versicherten Unternehmer auch nach dem Corona-Ausbruch vor drei Jahren nicht gestiegen, obwohl die Pandemie viele Selbstständige, insbesondere Dienstleister, in Existenznot stürzte. 2006 waren noch sieben Prozent der Unternehmer freiwillig in der Arbeitslosenversicherung.
Selbstständige haben anders als abhängig Beschäftigte kein Anrecht auf Kurzarbeitergeld. Während der Pandemie mussten in Not geratene Selbstständige daher Leistungen der Grundsicherung (Hartz IV) beantragen. Das bedeutete für die Betroffenen nicht nur einen gravierenden Einschnitt beim Einkommen. Die Beantragung von Hartz IV stellte Selbstständige auch vor spezifische Probleme, etwa durch die gesetzlichen Regelungen zur Verwertung der Altersvorsorge, zur privaten Krankenversicherung oder zur Berücksichtigung von Betriebsausgaben. Die Arbeitslosenversicherung wäre für viele Betroffene die bessere Alternative gewesen.
Doch auch aktuell wollen nur etwa 3000 bis 4000 Gründerinnen und Gründer die Arbeitslosenversicherung beantragen, heißt es in der Antwort des Ministeriums. Freiwillig versicherte Selbstständige zahlen im Schnitt knapp 79 Euro pro Monat. Im Versicherungsfall beziehen sie ein unterschiedlich hohes Arbeitslosengeld, differenziert nach vier Qualifikationsstufen von 947 Euro (keine Ausbildung, keine Kinder) bis zu 1.700 Euro pro Monat (Hoch-/ Fachhochschule, keine Kinder).
Über die Ursachen des geringen Interessen kann die Bundesregierung trotz Nachfragen keine Auskunft geben. Ein aktueller Forschungsbericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit zeigt jedoch, dass etwa ein Viertel der Selbstständigen die Zugangsvoraussetzungen nicht erfüllen, weil sie etwa zuvor nicht abhängig beschäftigt waren und nie in die Versicherung eingezahlt hatten. Etwa die Hälfte erfüllt jedoch die Voraussetzungen, aber rund 90 Prozent davon zeigen kein Interesse – viele glauben offenbar, dass sich die Versicherung für sie nicht lohne oder sie sei nicht nötig.
„Während abhängig Beschäftigte ihren Lebensstandard zumindest für eine kurze Zeit über Arbeitslosenversicherung und Kurzarbeit absichern können, fehlt das Selbstständigen im Notfall. Kleinen Selbstständigen, die schon im Normalfall gerade so über den Monat kommen, bleibt dann nur noch der Gang zum Jobcenter. Die Corona-Pandemie hat das schonungslos klar gemacht“, sagte Linken-Politikerin Jessica Tatti. „Die Bundesregierung darf davor nicht weiter die Augen verschließen. Selbstständige sollten obligatorisch der Arbeitslosenversicherung angehören, zu Beiträgen, die sie sich leisten können. Auch das Kurzarbeitergeld muss für Selbstständige zugänglich gemacht werden“, forderte sie.