Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter im Interview "Mehr Verantwortung? Das war nur ein Trick"

Berlin · Vor einem Jahr stand die Bereitschaft Deutschlands, in der Welt mehr Verantwortung zu übernehmen, im Mittelpunkt der Münchner Sicherheitskonferenz. Im Gespräch mit unserer Redaktion zieht Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter eine ernüchternde Bilanz, was daraus in der Realität geworden ist.

 Anton Hofreiter spricht im Interview über die neue Außenpolitik Deutschlands.

Anton Hofreiter spricht im Interview über die neue Außenpolitik Deutschlands.

Foto: dpa, Carmen Jaspersen

Vor einem Jahr kündigten Gauck, Steinmeier und von der Leyen an, dass Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernehmen werde. Was ist davon zu spüren?

Hofreiter Wir haben eine intensive Debatte erlebt. Aber leider nur wenig zielgerichtete Taten. Die Regierung hat die Mittel für humanitäre Hilfen um 38 Prozent gekürzt, angesichts der Vielzahl von Krisen die Kürzung zurückgenommen und das als Erhöhung verkauft. Das war nur ein Trick, um so zu tun, als übernähme man mehr Verantwortung. Auch die gravierenden Ausrüstungsmängel bei der Bundeswehr sprechen für sich.

Es gab früher Undenkbares: Waffenlieferungen in ein Krisengebiet, in den Nordirak.

Hofreiter Das ist eindeutig eine Veränderung der Politik. Das hat nichts mit Krisenprävention zu tun. Die Bundesregierung hat keine Ahnung, wo die Waffen gelandet sind. Ist das verantwortlich? Ähnliches gilt für den Mali-Einsatz: Er wird nach Informationen aus der Truppe schlecht durchgeführt und ist immer noch nicht eingebunden in eine Afrika-Strategie. Ist das verantwortlich? Verantwortung übernehmen heißt auch, nicht auf die Krise in Zentralafrika mit der Entsendung von vier Soldaten in die EU-Mission zu reagieren, obwohl der Bundestag 80 Kräfte bewilligte, und die deutsche Botschaft seit 1997 geschlossen zu halten.

Bei der Suche nach Lösungen für die Ukraine-Krise scheint Deutschland sehr engagiert zu sein.

Hofreiter Das macht der Außenminister tatsächlich tendenziell gut. Natürlich gibt es die Verärgerung darüber, dass Russland sich an kein Versprechen hält. Wir sind uns jedoch einig, dass es hier nur eine politische Lösung geben kann.

Die USA sind bereit, Waffen an die ukrainischen Streitkräfte zu liefern, damit sie den von Russland versorgten Separatisten etwas entgegenstellen können.

Hofreiter Das lehnen wir ab. Es erschwert die politische Lösung. Und es hilft auch nicht: Das führt nur dazu, dass Russland nur noch mehr Waffen an die Separatisten liefert sowie Personal zur Verfügung stellt. Eine militärische Lösung des Konflikts kann es nicht geben.

Sie sind insgesamt skeptisch, was die Übernahme von mehr Verantwortung anbelangt?

Hofreiter Überhaupt nicht. Ich lehne es nur ab, Verantwortungsübernahme vor allem militärisch zu definieren. Das hat auch der Bundespräsident vor einem Jahr nicht so gemeint. Es geht nicht darum, Tabus zu brechen, wie es die Verteidigungsministerin propagiert. Nach meinem Eindruck kaschiert die Regierung mit dem Stichwort "mehr Verantwortung" ein aktionistisches und unverantwortliches Handeln. "Mehr Verantwortung" muss weiter gedacht werden. Dazu gehören Diplomatie, Menschenrechtsschutz, zivile Krisenprävention, Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe. Da könnten wir sehr viel mehr tun.

Hat Deutschland überhaupt die Ressourcen, um weltweit mehr Verantwortung zu übernehmen?

Hofreiter Wir müssten uns dafür personell sicherlich ganz neu aufstellen. Diplomaten berichten mir, dass das Auswärtige Amt seit der Ukraine-Krise eigentlich ein Ukraine-Ministerium ist und die Kapazitäten fehlen, gleichzeitig auch in anderen Krisengebieten umfassend präsent zu sein. Es fehlen die Mittel, um auf Krisen rechtzeitig zu reagieren, Frühwarnsysteme und Analyse fehlen. Statt wie die CSU es will, weiteres Geld in den ineffizienten Strukturen der Bundeswehr zu versenken, brauchen wir mehr Geld für Krisenprävention, Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit. Wer mehr Verantwortung übernehmen will, muss das auch diplomatisch, methodisch, finanziell und intellektuell unterlegen, statt nur davon zu reden und dann vor einem nicht funktionieren Transportflieger zu stehen.

Gregor Mayntz sprach mit dem Grünen-Fraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter

(may-)
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