Annegret Kramp-Karrenbauer im Interview „Wer den Vorsitz will, muss sich Kanzlerin zutrauen“

Düsseldorf · Die Bewerberin für den CDU-Vorsitz, Annegret Kramp-Karrenbauer, spricht im Interview mit unserer Redaktion über den parteiinternen Wahlkampf, neue Sozialleistungen für Rentner und warum die CDU-Mitglieder künftig immer auch über den Koalitionsvertrag abstimmen sollten.

Annegret Kramp-Karrenbauer kommt durch den Hintereingang. Die Bewerberin für den CDU-Vorsitz lässt sich auf den Mitarbeiterparkplatz hinter dem Verlagshaus in Heerdt fahren. Sie ist gut drauf, sie gilt laut Umfragen als Favoritin.

Friedrich Merz ist sich sicher, dass er Parteichef wird. Sie auch?

Kramp-Karrenbauer Ich bin mir sicher, dass ich eine überzeugende Idee und einen überzeugenden Plan für eine positive Entwicklung der CDU habe. Ob dieses Angebot gewählt wird, entscheiden die Delegierten. Dieser Entscheidung möchte ich und sollte man nicht vorgreifen.

Bei den Mitgliedern gibt es viele Merz-Fans. Bei den Umfragen unter den CDU-Anhängern liegen Sie vorne. Was ist für die Entscheidung der Delegierten wichtiger?

Kramp-Karrenbauer Für viele wird die Frage entscheidend sein: Wer bietet die beste Gewähr, die CDU zusammenzuhalten und breit aufzustellen - über alle Flügel hinweg - und wer bietet die Gewähr, auch in Zukunft für breite Schichten wählbar zu sein? Das muss man sein, wenn man 40 Prozent haben will. Und: Wer bietet die beste Gewähr, eigenes Profil zu zeigen und gleichzeitig in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit Bundesregierung und Bundestagsfraktion die politische Stabilität zu gewährleisten?

Sie werden als Favoritin gehandelt. Ist das ein Bonus oder ein Malus?

Kramp-Karrenbauer Darauf gebe ich nichts, und ich blende diese Wasserstandsmeldungen aus.

Wie groß ist die Gruppe der Unentschlossenen?

Kramp-Karrenbauer Sicher ist, dass die Zeiten vorbei sind, in denen man ganze Delegiertengruppen einschwören konnte . . .

Das geht nur noch beim saarländischen Landesverband.

Kramp-Karrenbauer Die stehen vom Herzen her zu mir. Da muss ich niemanden einschwören. Aber die Delegierten sind letztendlich frei.

Die Mittelstandsvereinigung hat sich für Friedrich Merz ausgesprochen. Welche Angebote würden Sie denen machen im Fall Ihrer Wahl?

Kramp-Karrenbauer Ich habe mich in den vergangenen Jahren weniger in der Hochfinanz bewegt. Aber als langjährige Ministerpräsidentin habe ich einen sehr guten Blick auf die realwirtschaftliche Situation in unserem Land. Entscheidend für die Wirtschaft ist, dass die Politik die Dinge aus dem Weg räumt, die insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen Innovation und Expansion hemmen. Da gilt es, dem Fachkräftemangel zu begegnen und Konkurrenzfähigkeit mit Blick auf die Kostensituation zu schaffen – Stichworte: Steuern, Energie- und Bürokratiekosten. Entscheidend ist zudem der Wissenstransfers in die kleinen Unternehmen hinein – diese bei Forschung und Entwicklung zu unterstützen.

Was muss ein neuer CDU-Chef für die Wirtschaft anstoßen?

Kramp-Karrenbauer Beim Fachkräftezuwanderungsgesetz muss man darauf achten, was wir eigentlich unter Fachkräften verstehen. Da darf es nicht nur um Akademiker gehen. Das Hotel- und Gaststättengewerbe zum Beispiel braucht unter anderem Köche und Servicepersonal. Die Anwerbung muss auch unbürokratischer und damit schneller werden. Beim Thema Bürokratie ist es schwieriger. Es gab ja genug Versuche in der Vergangenheit, Bürokratie für Unternehmen zu reduzieren. Wir müssen es auch in eigener Verantwortung tun. Es gibt in Deutschland 2500 Verwaltungsleistungen. Die Deutschen verbringen im Jahr 400 Millionen Stunden mit Behördenleistungen. Ich bin überzeugt, wir kommen mit weniger aus. Unser Ziel muss sein, alle Verwaltungsvorgänge auch über das Smartphone erledigen zu können. Es gibt ja schon eine individuelle Steuernummer, wir können Dokumente scannen und sicher verschicken. Das muss Ziel der Politik sein.

Wird der oder die neue Vorsitzende eine basisdemokratischere, eine debattenfreudigere und auch eine für den Vorsitzenden anstrengendere Partei übernehmen?

Kramp-Karrenbauer Die Partei hat sich jetzt schon verändert, und das geht weiter. Unsere über 400.000 Mitglieder verfügen über breite Expertise und Erfahrung in den unterschiedlichsten Bereichen. Diese müssen wir – wie in dem von mir angestoßenen Prozess zu einem neuen Grundsatzprogramm der CDU – auch in Zukunft noch mehr einbeziehen. Deshalb werde ich hinter die offene Diskussion und die Beteiligung der Mitglieder nicht mehr zurückgehen. Wir werden beim Parteitag darüber diskutieren, ob man Koalitionsverträge künftig nicht grundsätzlich von Parteitagen beschließen lässt.

Und sollte man?

Kramp-Karrenbauer Ich bin dafür. Wenn wir uns nicht zutrauen, einen Koalitionsvertrag bei unseren Delegierten durchzusetzen, können wir auch die Bürgerinnen und Bürger nicht überzeugen. Und ob die Partei es schätzen würde, wenn auf dem Parteitag nicht auch die weiteren Mitglieder im Team vorgestellt würden, glaube ich nicht.

Das heißt, Sie werden im Fall Ihrer Wahl schon beim Parteitag Ihren Generalsekretär vorstellen?

Kramp-Karrenbauer Ja.

Nehmen Sie wegen der Quote für diesen Posten einen Mann?

Kramp-Karrenbauer Netter Versuch.

Könnte es auch für die Kanzlerkandidatur ein ähnliches Verfahren geben wie jetzt für den Parteivorsitz?

Kramp-Karrenbauer Wer für den CDU-Vorsitz kandidiert, muss vor Augen haben, dass auch die Frage einer möglichen Kanzlerkandidatur auf einen zuläuft. Wer das nicht will oder sich nicht zutraut, darf sich nicht um den Parteivorsitz bewerben. Alles andere wäre naiv. Ob es so kommt, entscheidet nicht die CDU alleine. Da hat auch die CSU mitzureden. Am Ende sollte es die Person machen, die die besten Aussichten hat, die Mehrheit zu gewinnen.

Die SPD will im Sommer mit der Revisionsklausel überprüfen, ob die Regierung auf dem richtigen Weg ist. Würden Sie als CDU-Chefin auch noch Punkte über den Koalitionsvertrag hinaus durchsetzen wollen?

Kramp-Karrenbauer Natürlich. Wir müssen prüfen, ob es Herausforderungen gibt, die wir bei Unterzeichnung des Koalitionsvertrags noch nicht kannten. Der Koalitionsvertrag ist nicht sakrosankt, wir müssen in der Regierung immer auch auf aktuelle Entwicklungen neue Antworten geben. Aber eine Revisionsklausel ist kein und darf kein verkappter Vorwand für einen sowieso gewollten Ausstieg sein.

Was haben Sie da im Blick?

Kramp-Karrenbauer Die Welt verändert sich. Ganz aktuell: Der Horror genmanipulierter Kinder in China, der sich zuspitzende Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Darauf muss man reagieren können. Wir müssen auch schauen, ob wir die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag in der richtigen Reihenfolge anpacken. Bei allem, was mit dem Thema Digitalisierung zusammenhängt, sollten wir eine Schippe drauflegen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir unsere Ziele bei der Breitbandversorgung schneller angehen. Auch für die Weichenstellungen beim Thema Rente müssen wir möglicherweise über den Koalitionsvertrag hinausgehen.

Bei der Rente sind in den vergangenen Jahren viele Milliarden Euro Belastung beschlossen worden, die aber nicht gezielt gegen Altersarmut wirken. Widerspricht es nicht der katholischen Soziallehre, die Sie ja vertreten, staatliche Leistungen mit der Gießkanne zu verteilen?

Kramp-Karrenbauer Dem Vorwurf der Gießkanne möchte ich widersprechen. Die Mütterrente hat für viele Frauen erst einmal einen Rentenanspruch begründet – insbesondere für viele, die ein gesellschaftlich gewünschtes Lebensmodell eingegangen sind und keine Chance hatten, selbst erwerbstätig zu sein. Mich treibt eher die Frage um, ob sich das große Versprechen der sozialen Marktwirtschaft in der Rente wiederfindet, wonach sich Leistung lohnen muss. Wer 45 Jahre gearbeitet hat und dennoch nur eine Rente auf Grundsicherungsniveau erhält, dessen Arbeitsbiografie wird entwertet.

Was ist die Alternative?

Kramp-Karrenbauer  Die CDA hat in Absprache mit der Mittelstandsvereinigung das Modell der Plus-Rente entwickelt, wonach Rentner auf Grundsicherungsniveau einen Zuschlag von 25 Prozent auf ihre individuell erworbenen gesetzlichen Rentenansprüche bekommen  sollen. Das ist systemisch gesehen ein gutes Modell. Es ist besser als das Modell der Grundrente im Koalitionsvertrag, wonach pauschal zehn Prozent auf die Grundsicherung aufgeschlagen werden sollen. Die Plus-Rente belohnt Rentner, die Jahrzehnte erwerbstätig waren – damit gilt das Leistungsprinzip. Wir müssen bei der Rente auch über das Prinzip „Mehr Netto vom Brutto“ sprechen. Wir könnten Rentner mit einer niedrigen Rente komplett oder zumindest in Teilen von Beiträgen für die Kranken- und Pflegekassen freistellen, ähnlich beispielsweise wie bei den Mini- und Midijobs. Das sollte die Rentenkommission der Bundesregierung auch als eine Option in den Blick nehmen.

Wie wäre es damit, die Mütterrente nicht mehr auf Grundsicherung im Alter anzurechnen?

Kramp-Karrenbauer Das wäre aus meiner Sicht sehr wichtig. Es wäre eine zielgerichtete Maßnahme gegen Altersarmut, wenn wir die Mütterrente nicht mehr auf die Grundsicherung im Alter anrechnen.

Wenn Leistung sich lohnen muss, sollte dann der Zeitraum verlängert werden, nach dem ein Arbeitsloser, der zuvor Jahrzehnte erwerbstätig war, in Hartz IV fällt?

Kramp-Karrenbauer Wenn jemand, der 40 Jahre gearbeitet hat, ähnlich schnell auf die Grundsicherung fällt wie jemand, der kaum etwas getan hat, dann entwertet das Arbeit. Ich halte die von der SPD geführte Debatte über die Abschaffung von Hartz IV für falsch. Eine in der Sache ernst gemeinte Diskussion über die Situation der Betroffenen Menschen muss an zwei Punkten ansetzen: Erstens müssen wir analysieren, warum es nicht gelingt, die Zahl der verfestigten Langzeitarbeitslosen deutlicher zu senken und wir müssen den Kindern aus diesen Familien erfolgreicher helfen, dass sie aus ihrem Leben etwas machen können. Zweitens müssen wir langjährige Erwerbsbiografien besser stellen. Das kann durch eine Verlängerung des Zeitraums geschehen, ab dem man ins Arbeitslosengeld II fällt. Nicht nur, wie bereits heute, pauschal nach Alter, sondern auch – entsprechend dem Leistungsprinzip - unter Berücksichtigung der vorherigen Arbeitszeit. Eine weitere Stellschraube kann das Schonvermögen sein, das für langjährige Beitragszahler im Fall der Arbeitslosigkeit höher gesetzt werden könnte.

Können Sie das Urteil nachvollziehen, dass eine Lehrerin, die von ihrer Schule abgehalten wird, ein Kopftuch zu tragen, eine Entschädigung bekommt?

Kramp-Karrenbauer Das Kopftuch ist für mich ein ambivalentes Symbol. Der eine oder andere begründet es religiös. Es steht aber auch für die Unterdrückung von Frauen. Deswegen muss der Staat auch das Recht haben, ein solch zweideutiges Symbol, das mit unserem Frauenbild und unserer Vorstellung von Gleichberechtigung nicht vereinbar ist, in einer Schule zu verbieten.

Sollten Lehrerinnen an Regelschulen grundsätzlich ohne Kopftuch unterrichten?

Kramp-Karrenbauer Ja.

Wenn Sie verlieren sollten und dann tatsächlich aus der Politik aussteigen, werden viele CDU-Mitglieder sehr enttäuscht sein.

Kramp-Karrenbauer Um es deutlich zu machen: Ich will die CDU als Parteivorsitzende führen. Wenn die Delegierten das anders entscheiden, dann werde ich die Arbeit als Generalsekretärin nicht fortsetzen. Das ist ein Gebot der Fairness gegenüber einem neuen Parteichef. Ich werde der Partei aber auf keinen Fall den Rücken kehren. Wo immer die Partei mich braucht, stelle ich mich in ihren Dienst. Das war im Februar diesen Jahres so, das wird so bleiben.

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