Kommentar zum Auftritt der Kanzlerin bei Anne Will Der Merkel-Plan gegen Trump

Berlin · Die Sendung „Anne Will“ nutzt die Bundeskanzlerin wie der US-Präsident Twitter: der Debatte die eigene Richtung geben. Mit einer Doppel-Strategie gegen Trump. Sie wird zu Merkels größter Herausforderung.

 Angela Merkel nach dem G7-Gipfel in der Sendung „Anne Will“.   Wolfgang Borrs/NDR/dpa

Angela Merkel nach dem G7-Gipfel in der Sendung „Anne Will“. Wolfgang Borrs/NDR/dpa

Foto: dpa/Wolfgang Borrs

Selbstironisch interpretierte Merkel in der Sendung „Anne Will“ ihre eigene Wortwahl. Wenn sie die Rücknahme der US-Unterstützung der G7-Abschlusserklärung per Trump-Tweet als „natürlich ernüchternd und auch ein Stück deprimierend“ bezeichne, dann heiße das für ihre Art der zurückhaltenden Ausdrucksweise „schon viel“. Sprich: Sie hat sich vorgenommen, die transatlantischen Verstimmungen, wie sie beim G7-Treffen in Kanada offenkundig wurden, nicht weiter zuzukleistern. Aber emotionales Lospoltern wird trotzdem ihr Ding nicht werden.

Allerdings machte sie zunächst den Versuch, die Politik Trumps einzuhegen. Unter vier Augen habe sie ihm unterbreitet, etwa bei künftigen Zoll-Maßnahmen zunächst jeweils „Bestandsaufnahmen“ vorzunehmen und beabsichtigte Maßnahmen hinsichtlich ihrer absehbaren Wirkungen zu analysieren, bevor man sie einseitig in Kraft setze. Das ist Merkels Strategie, einem unberechenbaren Präsidenten die Vorzüge von Berechenbarkeit nahe zu bringen und ihn in die bewährten internationalen Umgangsformen einzupflegen.

Merkel reagiert entschlossen auf Trump

Der Tweet aus der Air-Force-One bewies, dass dieser Teil von Merkels Strategie gescheitert ist. Weil sich Kanadas Premier Justin Trudeau den Vorgaben Trumps nicht einfach unterwerfen wollte, war Trump so erzürnt, dass er sich in einem beispiellosen Eklat von der Gipfel-Erklärung distanzierte. Und hier setzte Merkels zweite zentrale Aussage bei „Anne Will“ an: „Wir lassen uns nicht ein ums andere Mal über den Tisch ziehen, sondern wir handeln dann auch“, lautete Merkels Antwort so kurz und präzise, dass sie auch in ein Trump-kompatibles Twitter-Format gepasst hätte.

Dazu muss Merkel nun viele Hausaufgaben machen. Nur ein einiges Europa ist ein ernstzunehmender Faktor in Trumps Weltbild. Sie hoffe, dass die bisherige einheitliche Position der EU gegenüber Trumps Strafzöllen erhalten bleibe. Doch sieht sie auch die Risiken. Gerade diejenigen, die von Deutschland ausgehen. Ausdrücklich will sie nicht jeden Vorschlag mittragen, den der französische Präsident Emanuel Macron zur weiteren Entwicklung der EU vorgelegt hat. Und auch die unterschiedlichen Haltungen der Mitgliedsländer zur Migrationspolitik sind ein Stolperstein. „Dafür werde ich wirklich meine ganze Kraft einsetzen, weil ansonsten Europa gefährdet ist“, sagt sie an dieser Stelle. Dieser Satz hat Gewicht, lässt er doch auch die andere Interpretation zu: Dass Merkels Kraft nicht reichen könnte und Europa an diesem Punkt auseinanderfliegen kann, so wie es bereits seit drei Jahren mehr als nur zu erahnen ist.

Unumwunden übernimmt sie selbst auch beim aktuellen Bamf-Skandal um falsche Asylentscheidungen die politische Verantwortung. Statt zuzusehen, habe sie eingegriffen, um Frank-Jürgen Weise an die Spitze des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu bringen, damit der die Behörde umbaue. Merkel dementiert, bei diesem beabsichtigten Tempo-Schub in der Bearbeitung von Asylanträgen Quantität vor Qualität gesetzt zu haben. Es ist eine fragwürdige Einschätzung, die von den Mitarbeitervertretern der Bamf-Entscheider schon früh anders dargestellt wurde.

Trump greift Deutschland massiv an

Und auch an der Trump-Front wird Merkel bereits kurz nach der Sendung von einer anderen Realität eingeholt. Zwar hat sie der Argumentation des US-Präsidenten in der Sendung recht gegeben, wonach Deutschland, gemessen an seiner Wirtschaftskraft, zu wenig für die Verteidigung ausgebe. Doch in diese offene Flanke schlägt Trump mit selten zuvor erlebter Schärfe via Twitter ein. Deutschland zahle nur ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Richtung Nato, während die USA bei weit größerer Wirtschaftsleistung vier zahlten. Und dann zieht Trump eine Verbindung zum aktuellen Zollstreit: „Wir beschützen Europa zu großen finanziellen Kosten, und dann werden wir beim Handel auf unfaire Weise geschröpft“, stellt Trump fest. Und er kündigt an: „Veränderung kommt.“

Damit hat sich Merkels Versuch, 60 Minuten Argumentation bei „Anne Will“ 160 Zeichen von Trump entgegenzusetzen, schon wieder relativiert. Europa zusammen und die USA in Schach zu halten, wird erkennbar zur wichtigsten Aufgabe ihrer Kanzlerschaft. Eine möglicherweise zu große Herausforderung für Merkel.

(may-)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort