Baerbock über Bericht des Weltklimarats „Klimakrise ist eine Menschheitskrise, das ist die harte Botschaft“

Berlin/Paris · Dürre, Hunger, Fluten: Der Weltklimarat IPCC prognostiziert ein düsteres Szenario beim Verfehlen des 1,5-Grad-Zieles des Pariser Klimaabkommens. Grünen-Chefin und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ruft angesichts dieser Warnung zu konsequenter Klimaschutzpolitik auf.

 Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen.

Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Mehr Hitzewellen, mehr Hunger, überschwemmte Küstenorte, Artensterben - ein Verfehlen des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens hat nach Einschätzung des Weltklimarates IPCC "irreversible Auswirkungen auf Menschen und ökologische Systeme". Im Entwurf zu einem umfassenden IPCC-Bericht, welcher der Nachrichtenagentur AFP vorliegt, gehen die Experten davon aus, dass eine Erderwärmung um zwei Grad 420 Millionen Menschen zusätzlich dem Risiko von Hitzewellen aussetzt.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock rief angesichts dieser massiven Warnungen des Weltklimarats zu einer konsequenteren Klimaschutzpolitik auf.  "Der IPCC-Bericht macht erneut und in immer eindringlicherer Weise deutlich, wie groß der Handlungsbedarf ist. Wir können Klimaschutz nicht mehr abtun als ein Problem, das nur wenig mit unserem Leben zu tun hat", sagte Baerbock unserer Redaktion. "Die Klimakrise ist eine Menschheitskrise, die Menschen werden die größten Leidtragenden sein. Das ist die harte Botschaft, die von dem Bericht ausgeht", sagte die Grünen-Kanzlerkandidatin.

Der Berichtsentwurf sieht zudem bis zum Jahr 2050 ein Hungerrisiko für acht bis 80 Millionen Menschen zusätzlich. Das Ausmaß dieses Risikos sei abhängig von der Entwicklung bei den Treibhausgasemissionen, heißt es in dem Entwurf weiter.

Der Zusammenbruch ganzer Ökosysteme, Wasser- und Lebensmittelknappheit und Krankheiten als Folgen der Erderwärmung werden dem Berichtsentwurf zufolge in den kommenden Jahrzehnten immer schneller zunehmen - auch wenn es den Menschen gelingt, ihren Treibhausgasausstoß zu reduzieren.

"Wir können die Krise aber eindämmen, wenn wir entschlossen und konsequent handeln“, sagte Baerbock. „Die Schlüssel halten wir in der Hand: den zügigen und ehrgeizigen Ausbau der Erneuerbaren als Rohstoff für das 21. Jahrhundert, einen schnelleren Ausstieg aus der Kohle, Unterstützung für den Umbau der Industrie und klare Rahmenbedingungen sowie eine soziale Ausrichtung, etwa über eine Mieter-Entlastung beim CO2-Preis.“ Das müsse rasch und konkret umgesetzt werden, forderte sie mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl.

"Ein Klimaschutzpaket, das Zahlen schärft, aber von realen Schritten kaum was wissen will, ist kontraproduktiv. Im Prinzip dafür, aber im Konkreten dagegen – das schützt weder das Klima, noch sichert es den Industriestandort Deutschland", kritisierte sie die Bundesregierung. "Wir brauchen endlich ein wirksames Klimaschutzsofortprogramm mit klaren Vorgaben, damit Windräder, Stromtrassen und insgesamt die Infrastruktur für Klimaneutralität jetzt gebaut werden. Klimaschutz ist die Grundlage für Wohlstand und Freiheit, nicht etwa in ferner Zukunft, sondern im Hier und Jetzt", sagte Baerbock.

In der 137-seitigen technischen Zusammenfassung des Berichtsentwurfs heißt es außerdem: "Das Leben auf der Erde kann sich von einem drastischen Klimaumschwung erholen, indem es neue Arten hervorbringt und neue Ökosysteme schafft.“ Menschen könnten das nicht.

Die Erde hat sich seit dem vorindustriellen Zeitalter bereits um 1,1 Grad erwärmt. Das Pariser Abkommen soll die Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst aber 1,5 Grad beschränken.

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Bereits für eine Erwärmung um zwei Grad zeichnet der IPCC-Berichtsentwurf schwerwiegende globale Folgen für Mensch und Natur. Derzeit steuert die Erde aber sogar auf eine Erwärmung um rund drei Grad zu.

Schon in den vergangenen 30 Jahren hat der Klimawandel den Angaben zufolge einen globalen Ernterückgang um vier bis zehn Prozent verursacht - in Afrika und Südamerika ist der Rückgang noch deutlicher. Auf die weiteren bevorstehenden Veränderungen ist die Welt den IPCC-Experten zufolge schlecht vorbereitet.

"Das Schlimmste kommt erst noch und wird das Leben unserer Kinder und Enkel viel mehr betreffen als unseres", heißt es in dem IPCC-Papier. Bis 2050 werden demnach bei einer Erderwärmung von 1,5 Grad rund 350 Millionen Bewohner von Ballungsräumen wegen schwerer Dürren unter Wassermangel leiden. Bei einer Zwei-Grad-Erwärmung wären es sogar 410 Millionen Betroffene.

Küstenstädte rückten an die "Frontlinie" der Klimakrise, weil sie immer häufiger von Stürmen getroffen würden, die wegen steigender Meeresspiegel noch gefährlicher seien. "Der derzeitige Stand der Anpassung wird unangemessen sein, um künftigen Klimarisiken zu begegnen", heißt es in dem Berichtsentwurf.

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Foto: dpa/Stephanie Jenouvri

Besonders stark betroffen von den Klimafolgen sind laut Weltklimarat arme Länder. Aber auch Europa werde die Folgen zu spüren bekommen: Die dortigen Schäden durch Überflutungen würden sich bis zum Ende des Jahrhunderts auch bei einem hohen Maß an Anpassungsmaßnahmen deutlich erhöhen, prognostizieren die Berichtsautoren auf Grundlage internationaler Studien.

Die Zahl der Menschen in Europa mit einem hohen klimabedingten Sterberisiko wäre demnach bei einer Erderwärmung um drei Grad drei Mal so hoch wie bei 1,5 Grad, insbesondere in Zentral- und Südeuropa. Außerdem dürfte Europa dem IPCC zufolge mit mehr Hilfesuchenden aus Afrika und zunehmend mit von Mücken übertragenen Krankheiten wie Malaria, Dengue oder Zika konfrontiert sein.

Darüber hinaus weist der Berichtsentwurf auf die Gefahr hin, dass sogenannte Kipp-Punkte erreicht werden könnten, ab denen eine massive Beschleunigung des Klimawandels nicht mehr aufzuhalten ist - etwa durch das Schmelzen des Eisschildes in Grönland und der Westantarktis.

Dennoch betonen die Berichtsautoren, dass jeder "Bruchteil eines Grads Erwärmung" zähle. Klimaschutzmaßnahmen zahlten sich insbesondere in der zweiten Jahrhunderthälfte aus und könnten die Menschheit vor dem Aussterben bewahren.

Nötig sei, dass Individuen, Gemeinden, Unternehmen und Regierungen nun einem Konzept der "Klimagerechtigkeit" folgten, mahnen die Berichtsautoren in ihrem Entwurf. "Wir müssen unsere Lebensweise und unseren Konsum neu definieren."

Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) wertet für Entscheidungsträger in aller Welt wissenschaftliche Studien zum Klimawandel aus und formuliert Schlussfolgerungen als Handlungsorientierung für seine rund 195 Mitgliedstaaten. Bei dem rund 4000 Seiten starken Berichtsentwurf handelt es sich um die vorläufigen Ergebnisse der IPCC-Arbeitsgruppe II, welche die Folgen der Erderwärmung beleuchtet.

Die Endfassung des Berichts, an dem mehr als 700 Fachleute mitarbeiten, soll nicht vor Februar veröffentlicht werden. Zuvor findet bereits im Oktober der UN-Biodiversitätsgipfel und im November die UN-Klimakonferenz statt.

(mar/AFP)
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