Baerbock bei „Maischberger“ „Es ist nicht so, dass wir alles unterstützen, was von der Ukraine kommt“
Köln/New York · Annalena Baerbock ist derzeit bei der UN in New York mit diplomatischen Gesprächen beschäftigt. Per Videoschalte stellt sich die Außenministerin Fragen über ihren von klaren Worten geprägten Stil.
Bei „Maischberger“ ist am Mittwochabend Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) aus New York zugeschaltet. Vor dem Interview ist das für die Talkshow typische Trio von Kommentatoren gefragt: Es soll entschieden werden, ob die Außenministerin den chinesischen Staatschef Xi Jinping einen „Diktator“ nennen darf. Die Antworten reichen von „ja“ (Journalistin Mariam Lau) über „jein, wenn dann überall“ (Journalist Tilo Jung) bis zu „nein, höchstens unter vier Augen“ (TV-Produzent Hubertus Meyer-Burckhardt).
Danach darf Baerbock selbst sagen, was sie sagen kann und was nicht. Den Anfang macht der Wunsch eines elfjährigen Mädchens bei ihrem Ukraine-Besuch vergangene Woche. Die Außenministerin möge jede Rede vor den Vereinten Nationen mit dem ukrainischen Ausdruck für „Ruhm der Ukraine“ beenden. Diesen Wunsch erfüllen könne sie „nicht in jeder Rede“, sagt Baerbock.
Andere – etwa das Kommentatorentrio – wünschen sich, die Außenministern würde vieles nicht beim Namen nennen. In der Talkshow wird als Gegenentwurf die Gesprächsführung aus Willy Brandts Zeiten herangezogen. Doch Baerbock zeigt, was dieses Argument verschweigt. Der Unterschied zur „Ostpolitik“ alter Zeiten sei, dass damals parallel zur Maxime, bestimmte Dinge lieber nicht an- oder auszusprechen, große Militärausgaben eine Politik der Abschreckung gestützt hätten.
In puncto aktuelle Militärausgaben hat Baerbock indes keine klare Antwort parat. Als Moderatorin Sandra Maischberger fragt, wann das Zwei-Prozent-Ziel für die Nato erreicht werden solle, weicht die Außenministerin aus. „Es geht doch nicht darum, aus Prinzip Geld auszugeben“, sagt Baerbock. „Sondern es geht darum, uns besser selber zu schützen.“ Es müsse effizient eingekauft werden. Deshalb halte sie nichts davon, Rüstungsaufträge zu stückeln, sodass sie genau zwei Prozent erreichen.
Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine verurteilt Baerbock die Entführungen ukrainischer Kinder und bezeichnet diese als vom russischen Präsidenten eingesetztes Kriegsmittel. Daraufhin dreht Maischberger die Bewertung des diplomatischen Werts deutlicher Worte um: Dem russischen Außenminister hätte Baerbock ihre Kritik oder das zuvor erwähnte „Ruhm der Ukraine“ doch ins Gesicht sagen können. Eine Einladung für ein Treffen am Rande der UN-Vollversammlung in New York hätte die Außenministerin aber ausgeschlagen. „Das stimmt nicht“ stellt Baerbock klar.
Diese Information müsse wohl aus dem vergangenen Jahr stammen. Damals habe man sich um ein solches Treffen bemüht, aber die Russen hätten „eine absolute Show“ daraus gemacht. Sie hätten mehrmals die Angaben gewechselt, in welchen Raum das Treffen stattfinden solle, um am Ende über den Kreml-freundlichen Sender „Russia Today“ zu behaupten, das Treffen sei nicht zustande gekommen.
In diesem Jahr sei der russische Außenminister „außen vor“. Gespräche müssten auf höchster Ebene stattfinden, also zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Baerbocks Begründung: Putin sei inzwischen so abgeschirmt, dass „selbst seine ehemaligen Vertrauten uns eigentlich gar nicht mehr richtig was sagen können“.
Baerbock betont, dass sie ein Gespräch mit Lawrow nicht per se ablehnen würde. „Überall da, wo es eine Möglichkeit gibt, wo man sieht, durch schwierige Gespräche mit Leuten, die als Kriegsverbrecher angeklagt sind, kann man was erreichen, da mache ich das“, sagt die Grünen-Politikerin. „Manchmal hinter verschlossenen Türen, manchmal öffentlich.“
Angesichts von Baerbocks Treffen mit dem populistischen, rechtsaußen stehenden US-Gouverneur Abbott fragt Maischberger, ob die Außenministerin sich auch in Deutschland mit Menschen an einen Tisch setzen würde, die radikal andere Meinungen haben. „Ja“, sagt die Außenministerin. „Das ist Teil von Demokratie, und erst recht Teil von Außenpolitik.“ Dabei gehe es darum zu verstehen, warum diese Gesprächspartner diese Meinung hätten, und zuweilen auch darum, deutlich zu machen, warum sie deren Meinung nicht teile.
Baerbock lehnt etwa die Forderung ab, die der ukrainische Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor der UN formulierte: Russland solle aus dem Sicherheitsrat ausgeschlossen werden oder zumindest das Vetorecht verlieren. Ebenso wenig stimme sie der Forderung nach einem Sondertribunal zu. „Es ist nicht so, dass wir alles unterstützen, was von der ukrainischen Regierung kommt“, sagt Baerbock.
Man müsse sich immer wieder vergegenwärtigen, dass diese Menschen erleben, wie Angehörige und Freunde durch den Krieg sterben. „Natürlich hat man da manchmal andere Impulse als Menschen wie wir, die sicher in New York auf der Generalversammlung sitzen.“ Ihre volle Unterstützung habe die Ukraine aber mit Blick auf das Recht auf Selbstverteidigung.
Maischbergers Rückfrage, welchen Sinn es denn habe, eine Kriegspartei im UN-Sicherheitsrat zu haben, der für Friendslösungen zuständig ist, gibt Baerbock mit einer pragmatischen Frage danach zurück, wie das gehen solle. Andere Staaten mit Vetorecht, etwa China, würden einen solchen Vorstoß nicht mittragen. Die Außenministerin tritt für eine andere Lösung ein: „Wenn der Sicherheitsrat blockiert ist, dann müssten alle Staaten, die an Frieden in der Welt glauben, ihre Stimme erheben.“ Zwei Drittel von ihnen würden den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine aufs Schärfste verurteilen.
Das Interview kommt auch auf den Umstand, dass Baerbock nicht nur zuweilen mit klaren Worten für Aufsehen sorgt, sondern auch die eine oder andere undiplomatische Bemerkung anhören muss. Angesichts einer bislang ausgebliebenen Zusage für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern hatte etwa der ukrainische Außenminister Kuleba zu Baerbock gesagt: „Warum Zeit verschwenden? Am Ende liefert ihr Deutschen ja doch.“
Sie verstehe die Ungeduld ihres ukrainischen Kollegen, sagt die Außenministerin dazu. Schließlich erschwere ein verminter Gürtel dem ukrainischen Militär das Vordringen zu Menschen, zu denen nicht einmal Hilfsorganisationen durchdringen könnten. Aber nach Baerbocks Ansicht nutze es nichts, einfach Waffensysteme zu liefern. Diese müssten auch so angewendet werden, dass sie Menschen befreien, und dazu müsste die Bundesregierung noch Fragen klären. Auf einen Zeitrahmen will sich Baerbock nicht festlegen. „Sie sind geklärt, wenn sie geklärt sind“ orakelt die Außenministerin.
Am Schluss gibt sie noch einen Schnellkurs in Diplomatie. „Man muss immer abwägen, wann es wichtig ist, Dinge beim Namen zu nennen“, sagt Baerbock. Das solle man nicht einfach aus Prinzip tun. Manchmal arbeite sie etwa mit Humor statt mit deutlichen Worten. „Es gibt auch Situationen, in denen Schweigen besser ist.“ Manchmal, so die Außenministerin, sei es am besten, eine Aussage einfach stehen zu lassen.