Christian Wulff neuer Bundespräsident Angela Merkels Schicksalswahl

Berlin (RP). Die CDU-Kanzlerin hat die Präsidentschaftswahl verpatzt. Eine heillos zerstrittene Koalition kann sich nur unter massivem Druck zur Wahl ihres Kandidaten für das höchste Amt durchringen. Dabei war ein Neustart für Schwarz-Gelb vorgesehen – mit Fußball-WM, Aufschwung und einer ruhigen Sommerpause. Nun wird es ernst für die Kanzlerin.

Merkel erlebt ihren Wulff-Moment
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Berlin (RP). Die CDU-Kanzlerin hat die Präsidentschaftswahl verpatzt. Eine heillos zerstrittene Koalition kann sich nur unter massivem Druck zur Wahl ihres Kandidaten für das höchste Amt durchringen. Dabei war ein Neustart für Schwarz-Gelb vorgesehen — mit Fußball-WM, Aufschwung und einer ruhigen Sommerpause. Nun wird es ernst für die Kanzlerin.

Es sollten siegreiche Tage für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) werden. Gestern die erfolgreiche Kür "ihres" Präsidentschaftskandidaten Christian Wulff, am Freitag ein Ende des monatelangen Gesundheitsstreits und am Samstag hoffentlich der Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im WM-Viertelfinale gegen Argentinien — mit einer lachenden Bundeskanzlerin Merkel auf der Stadiontribüne in Südafrika.

Sommermärchen fällt weitgehend aus

Das erhoffte politische Sommermärchen fällt weitgehend aus. Denn trotz des Zittersiegs von Christian Wulff am gestrigen Abend gilt: Nie war Merkel seit ihrem Amtsantritt 2005 derart angeschlagen.

In zwei Wahlgängen vermochte es Merkels Koalition nicht, dem eigentlich wenig polarisierenden CDU-Ministerpräsidenten Christian Wulff einen Sieg zu verschaffen. Dabei war die Koalition mit einer satten Mehrheit in die Wahl gegangen. Zweimal verweigerten Dutzende Wahlleute von Union und FDP "Merkels Mann" ihre Stimme. Was sind die Ursachen?

Nur zum Teil lässt sich das, etwa bei den ostdeutschen FDP-Bundestagsabgeordneten, die sich vorab für den früheren DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck (70) ausgesprochen hatten, mit der Popularität des Gegenkandidaten erklären.

Sicher, Gauck begeisterte auch Konservative und Liberale. Aber 44 Abweichler im ersten Wahlgang? 29 im zweiten? Selbst führende Koalitionspolitiker räumten ein, dass der Widerstand größer sei als erwartet. "Es war auch ein Signal. Wir haben verstanden", gab CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe zu.

Frust in CDU ist groß

Offenbar ist das Frust-Potenzial in der CDU größer als von Merkel bisher angenommen. Zum Beispiel in NRW: Die Schlappe bei der Landtagswahl Anfang Mai führen Unionsleute an Rhein und Ruhr auf die enttäuschende Regierungsarbeit von Schwarz-Gelb in Berlin zurück. Einen Denkzettel aus Düsseldorf halten deswegen viele für möglich.

Auch in Hessen gibt es Unmut, weil nach der Lesart des dortigen Landesverbands der Rückzug des bei Konservativen äußerst beliebten Ministerpräsidenten Roland Koch Merkels Schuld sei. Die CDU-Kanzlerin habe es nicht vermocht, ein akzeptables Amt für Koch zu finden. Dass er nun die politische Bühne verlässt, nehmen der Wirtschaftsflügel und der konservative Teil der Partei der Vorsitzenden persönlich übel.

Es scheint, als habe Angela Merkel das Regieren verlernt, das sie unter Schwarz-Rot als geschickt moderierende Kanzlerin perfektioniert hatte. Mehrfach versuchte die 55-Jährige jüngst, mit den für sie ungeliebten Machtworten die Regierungskrise in den Griff zu bekommen. Die ausufernde Steuerdebatte fing sie mit einer Absage an Steuersenkungen ein, später warnte sie öffentlich vor einem "Zerreden" des Sparpakets und sah bei der Entscheidung für eine Opel-Bürgschaft das "letzte Wort" nicht gesprochen. Immer musste Merkel zurückrudern.

Erst zu Wochenbeginn flammte die Debatte über den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Hotels erneut auf. Den Basta-Stil, dieses machohafte Führen "par ordre du mufti", hatte Merkel stets mit dem Verweis auf ihren am Ende gescheiterten SPD-Vorgänger Gerhard Schröder abgelehnt. Der Konflikt bleibe, aber die Autorität schwinde, lautete ihre Devise.

Doch ist ein Machtwort, das folgenlos verhallt, nicht viel schlimmer als ein "Basta" zum rechten Zeitpunkt? Auch gestern im Reichstag, als Merkel vor dem zweiten Wahlgang eindringlich für Wulff warb, um der Linken keinen Erfolg zu gönnen, blieb ihr Wort folgenlos. Die Abweichler beharrten auf dem Nein zu Wulff und ließen sich erst im letzten Wahlgang "bekehren", wie ein CDU-Mann später schimpfte.

Schon kurz nach dem Rücktritt von Horst Köhler zeigte Merkels Regierungsapparat Schwächen. Während die Medien zwei Tage Ursula von der Leyen als künftige Präsidentin feiern durften, nominierte Merkel Wulff. Sie unterschätzte die Popularität des von Rot-Grün ins Rennen geschickten Joachim Gauck.

Der ostdeutsche Theologe, den Merkel zu dessen 70. Geburtstag als "Demokratielehrer" lobte, fand breite Unterstützung im bürgerlichen Lager, er begeisterte die Massen. Gaucks erfrischende Sprache, sein euphorischer Glaube an die Kraft der Freiheit und das Gute der Demokratie lösten eine Sympathiewelle aus, die selten in der Politik ist. Merkel fand dagegen kaum Worte, um ihren Kandidaten als den richtigen Mann für Schloss Bellevue zu bewerben. Dabei gab und gibt es viele gute Argumente für den Mann aus Niedersachsen.

Ein Masterplan fehlt offenbar

Nun hilft Merkel nur eine inhaltliche Offensive, um die Schmach von Berlin wettzumachen. "Das Grundproblem ist: Schwarz-Gelb hat keinen Masterplan", sagt der Politikberater Michael Spreng. Will die CDU-Chefin nicht von den zahlreichen Kritikern in ihrer Partei in eine Debatte über ihre Führungsqualität gedrängt werden, muss sie ihre Koalition zum Regieren verführen, inhaltliche Projekte vorantreiben und einen neuen Geist der Zusammenarbeit etablieren.

Ein Besuch bei "Jogis" Elf bei der Fußball-WM dürfte nicht ausreichen. Schon witzeln Koalitionäre, ob es nicht besser wäre, wenn Merkel nicht zum wichtigen WM-Spiel der deutschen Mannschaft gegen Argentinien nach Südafrika reise. "Merkel ist derzeit kein gutes Omen", sagt ein CDU-Mann.

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