Glücksforschung und Politik Angela Merkel will wissen, was wichtig ist

Berlin · Voila, die Kanzlerin hat eingeladen zu einem neuen Gipfel. An diesem Mittwoch beriet sie mit zahlreichen Fachleuten über das weite Thema Lebensqualität. Der Weg weist weg von der Fixierung auf Wirtschafts- und Wachstumszahlen hin zu einem umfassenden Begriff von einem guten Leben. Was das sein soll, darüber streiten sich freilich die Experten.

Bhutan: Die glücklichsten Menschen der Welt
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Für die Gipfel-vernarrte Kanzlerin ist das Thema attraktiv. Lebensqualität, Glück, Wohlbefinden, das klingt doch gut, zumal ja auch noch Wahlkampf ist in Deutschland. Dass sie damit aber nur auf einen Zug aufspringen wolle, darf man ihr nicht ernsthaft vorwerfen.

Schon vor Jahren machte sie sich für die Einsetzung einer Enquete-Kommission mit dem Namen "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" stark, die seit dem Januar 2010 an der Sache arbeitet. Zudem stammt die Idee für die Veranstaltung aus dem Bürgerdialog, den Merkel in den vergangenen zwei Jahren bundesweit und im Internet geführt hatte.

Und legt nun mit einer weiteren Gesprächsrunde nach. An diesem Mittwoch tagte erstmals das neu gegründete Deutschlandforum, bei dem sich rund hundert Fachleute aus aller Welt mit dem Zusammenhang von Lebensqualität und Fortschritt beschäftigten. Die Veranstaltung stand unter dem Motto "Was Menschen wichtig ist".

Und Merkel schlug gleich vor, das Thema Wohlstand und Lebensqualität zu einem Thema der deutschen G8-Präsidentschaft im Jahr 2015 zu machen. Sie wolle prüfen, "ob man auch bei der G8-Präsidentschaft das Thema aufgreift, was ist Lebensqualität und was können wir voneinander lernen", sagte sie.

Gesucht: die Glücksformel

In ihrer wöchentlichen Videobotschaft am Samstag schilderte Merkel schon einmal persönlich, was sie mit diesem Gipfel verbindet. Wirtschaftswachstum allein garantiere noch nicht eine gute Lebensqualität. Eine Frage der Lebensqualität sei es beispielsweise auch, ob man sich, wenn es einem gesundheitlich schlecht gehe, auf die Hilfe anderer verlassen könne. "Das ist natürlich - genauso wie materieller Wohlstand - eine ganz wichtige Frage meines Wohlbefindens."

Und auf dem Gipfel selbst sagte sie dann: "Neulich in einem Gespräch hat mal jemand gesagt: Bei den Deutschen ist das Glas immer halb leer. Vielleicht ist es aber eine besondere Form des Glücks, dass sie immer gucken, wie sie es dann doch noch voller kriegen."

Lebensqualität, das klingt nach Wohlfühlpolitik ohne Chance auf Widerspruch. Denn wer hätte schon etwas einzuwenden gegen eine Politik, die sich dem Ziel eines besseren Lebens verschreibt? Grund genug, sich so etwas auch als Bundeskanzlerin auf die Fahnen zu schreiben. Denn im Kern kümmert sie sich damit um nichts weniger als unser aller Glück. Wissenschaft aus der Glücksforschung bevorzugen halt lieber Begriffe wie "Lebenszufriedenheit". Denn er suggeriert, dass er sich messen lässt.

Vorbild Bhutan

Der Teufel freilich liegt im Detail. Denn es ist nun nicht eben so, dass da einfach nur ein paar Experten aus mehreren Disziplinen zusammenkommen müssten, um die Kriterien für ein gutes Leben bestimmen zu können. An der Entschlüsselung des Glücks haben sich schon Generationen die Zähne ausgebissen.

Das Problem: Lebensqualität ist ein Querschnittsthema, in das nahezu alle Lebensbereiche einfließen. Entsprechend weitgestreut ist die Forschung. Biologie und Genforschung, Psychologie, Sozialwissenschaften aber auch die Ökonomie haben sich das Thema zu eigen gemacht.

Gegenentwürfe zum bisherigen Modell, die Entwicklung einer Gesellschaft am Bruttoinlandsprodukt zu messen, existieren bereits. Als Beispiel lässt sich etwas das Konzept des "Bruttosozialglücks" anführen, das seit einiger Zeit als Staatsziel in der Verfassung des Bhutan verankert ist. Das Konzept zählt in dem bitterarmen Land zur Staatsphilosophie und strebt ein Gleichgewicht zwischen materiellem Fortschritt und spirituellem Wohlergehen an. Entsprechend ist als Experte beim Deutschlandforum auch Karma Tshiteem aus Bhutan geladen, Sekretär der Gross National Happiness Commission des Königreichs.

Buddhismus passt nicht immer

Mit ihm und anderen Vertretern aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung diskutierte Merkel am Mittwoch, wie sich je nach Land und Kultur Lebensqualität und Fortschritt unterscheiden, über die Rolle von materiellem und immateriellem Wohlstand und welchen Stellenwert diese Ziele für Bürger und Politik haben. Ziel des Austausches: ein gemeinsames Verständnis einer wünschenswerten Zukunft.

Was also könnte die Kanzlerin vom Bhutan lernen? Dass Geld allein nicht glücklich macht, hat sich als Binsenweisheit längst auch in Deutschland durchgesetzt. Etwa, dass ein weniger hektisches Leben Menschen glücklicher macht? Thimpu, die Hauptstadt des Himalaya-Staates, verfügt nicht über eine einzige Ampel. Oder dass es sich doch besser mit dem buddhistischen Streben nach Erleuchtung leben lässt? Es liegt auf der Hand, dass sich die Kriterien für Bhutan gelten, nicht ohne Weiteres auf eine kulturell völlig anders geprägte westliche Industrienation übertragen lassen.

"Better Life" ist ein alter Hut

Es bleibt fraglich, welche Ergebnisse sich von einem so breit angelegten Treffen mit dem Titel "Deutschlandforum" erwarten lassen. An unabhängigen Kriterienrastern für die Faktoren des Glücks haben sich schon andere versucht, die Wissenschaft blickt bereits auf Jahrzehnte der Forschung zurück. Die Vereinten Nationen haben den Human Development Index entwickelt, die OECD den Better Life Index. Vor 20 Jahren machte der Begriff der Nachhaltigkeit die Runde, der ebenfalls darauf abhob, Wachstum und Lebensqualität zu entkoppeln.

Im Januar hatte auch die Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" des Bundestags empfohlen, den Wohlstand in Deutschland nicht mehr nur am Wirtschaftswachstum zu messen. Politiker und Experten schlagen vor, neben dem gängigen Bruttoinlandsprodukt auch Faktoren zu untersuchen wie Einkommensverteilung, Staatsschulden, Bildungsabschlüsse, Gesundheit, Freiheit, Treibhausgase und die Artenvielfalt.

Übernimmt sich die Politik?

Im am gestrigen Dienstag veröffentlichten Abschlussbericht (PDF) heißt es dazu: "Die Schwächen des BIP (Bruttoinlandsprodukts, die Red.) als Wohlfahrtsmaß liegen auf der Hand: Waren und Dienstleistungen, die nicht am Markt gekauft werden (Ehrenamt, "Haushaltsproduktion" wie Kindererziehung oder Pflege zu Hause) werden nicht im BIP berücksichtigt, die Schädigung der Umwelt und der Verbrauch von nicht nachwachsenden Ressourcen spielen keine Rolle beziehungsweise können das BIP so­gar erhöhen."

Die Ziele der Forscher und Politik mögen durchaus ehrenwert sein. Doch Kritiker zeigen sich skeptisch. Sie gehen davon aus, dass die Politik bei diesem Thema sehr schnell an ihre Grenzen stoßen wird. Zumal nach Erkenntnissen der Forschung manche Faktoren, die unser Glück mehren, in krassem Widerspruch zu unseren Wünschen und Idealen stehen können.

Freiheit kann auch Unglück bedeuten

So haben etwa Studien über die Amish-People sehr zwiespältige Ergebnisse zu Tage befördert. Die amerikanische Glaubensgemeinschaft übt streng nach ihren Regeln ein Leben wie im 17. Jahrhundert. Individuelle Freiheit zählt dort weniger als die Gemeinschaft. US-Vergleichsstudien haben gezeigt, dass die Frauen der Amish trotz aller Einschränkungen zufriedener mit ihrem Leben sind als modern orientierte Amerikanerinnen.

Einen ähnlichen Befund zeigten Studien, die sich mit dem Verhalten von Kosumenten auseinandersetzten. Sie zeigten, dass eine Vielfalt an Wahlmöglichkeiten eher Unzufriedenheit produziert. Denn je größer das Angebot ausfiel, desto eher ließen sich Verbraucher verunsichern. Ihre Chance, tatsächlich das Beste aus der Vielfalt der Möglichkeiten auszwählen, sank mit der Größe des Angebots.

Die Kernaufgaben sind Arbeit genug

Die Politik steht somit vor einem Dilemma. Denn sie kann sicher nicht Bürger ihrer Freiheiten berauben, um sie glücklicher zu machen. Derartige Zwangsbeglückung ist in der Regel Diktaturen vorbehalten. Was Demokratien an Handlungsspielraum zur Verbesserung der Lebensqualität ihrer Bürger bleibt, führt zurück auf erstaunlich vertraute Ziele. "Der wichtigste Faktor, den die Politik kurzfristig beeinflussen kann, ist die Arbeitslosigkeit", sagt Gert Wagner, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und Mitglied der Enquete-Kommission.

Hausaufgabe genug für eine Regierung in einem Europa, dessen Jugend kaum noch Perspektiven hat.

(pst)
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