Merkel trifft Schröder Das Kanzler-Duett

Berlin · In einer launigen Präsentation stellt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) "Die Biographie" über ihren Amtsvorgänger Gerhard Schröder (SPD) vor. Umringt von einem Dutzend Kameras plaudern beide aus dem Nähkästchen und aus Schröders Stasi-Akte.

Gerhard Schröder und Angela Merkel stellen Schröder-Biographie vor
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Schröder stellt Biographie vor: Merkel ist Gast

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Ist er dieses Mal höflich? Und hat sie eigentlich noch eine Rechnung offen? Über den Begegnungen zwischen Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Amtsvorgänger Gerhard Schröder liegt immer Spannung. Schröders legendären TV-Auftritt am Abend der Bundestagswahl 2005 denkt man unwillkürlich mit, wenn die beiden gemeinsam in einer Talkrunde mit Mikrofonen Kameras und einem Moderator sitzen.

Schröder und Merkel treffen am Dienstag im Haus der Bundespressekonferenz aufeinander. Sie ist zur Stelle, seine mehr als 1000 Seiten dicke Biographie vorzustellen. Geschrieben hat das Werk der Historiker Gregor Schöllgen nach der Sichtung sämtlicher Papiere Schröders und nach zahlreichen Gesprächen mit dessen Freunden, Feinden und Wegbegleitern.

Agenda 2010: Schröder versus Lafontaine
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Agenda 2010: Schröder versus Lafontaine

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Der Medienauftrieb ist gigantisch. Alle, die der Angie-und-Gerd-Show beiwohnen wollen und angemeldet sind, müssen Schlange stehen, Ausweis- und Taschenkontrollen hinnehmen, Namensschilder anstecken und dann noch einmal eine halbe Stunde vor der Bühne warten. Der Verlag DVA, der sich selbst Kanzlerverlag nennt, weil auch schon andere Biographien deutscher Staatenlenker unter seinem Label erschienen sind, hat große blaue Wände mit dem schwarz-weißen Konterfei des Ex-Kanzlers aufgebaut.

Die Kanzlerin — das sei ausnahmsweise erwähnt: im SPD-roten Jackett — umreißt zunächst die Struktur der Biographie und bemerkt, dass Schöllgen sein Buch in sieben Kapitel einteilt, die Schröder jeweils "als Handelnden, als aktiven Menschen" zeigten: Der Anwalt, der Kandidat, der Kämpfer, der Macher und so weiter. Lange hält sie sich aber nicht mit den mehr als 1000 Seiten auf und beschreibt Schröder viel mehr aus ihrer Sicht. "Unbedingtes Machtbewusstsein, Pragmatismus, Kämpfer", sagt sie und erzählt eine Anekdote, als Schröder Ministerpräsident von Niedersachsen und sie neu im Amt als Umweltministerin war. Es ging um die Castor-Transporte, die Schröder verhindern und sie ermöglichen wollte. Nach einer verbalen Auseinandersetzung habe er im Rausgehen gesagt, dass an den Gerichten bald überall seine Leute sitzen und anders entschieden würden. Abgesehen von solchen diesen kleinen Nadelstichen ist Merkel aber eher nett, lobt Schröder für die Agenda 2010 und meint, das Buch sei es wert, von A bis Z gelesen zu werden.

Schröder bekennt, dass das für ihn Überraschende an der Biographie die Geschichte seiner Familie sei. So wusste er bis zu Schöllgens Recherchen nicht, dass sein Vater zweimal wegen Diebstahls von Essen und Kleidung im Gefängnis saß. Die Polizeifotos des damals 26-Jährigen Fritz Schröders aus dem Jahr 1938 sind im Buch zu sehen. Schröders Aufstieg aus dem "randständigen Milieu", wie es Schöllgen nennt, bestimmt das erste Kapitel. Es heißt aber nicht der Aufsteiger, sondern der "Aussteiger". Damit dokumentiert der Autor, was für einen radikalen Schwenk Schröder vollziehen musste, um sich aus ärmlichen Verhältnissen auf dem zweiten Bildungsweg an die Spitze der Republik zu kämpfen.

Die größten Niederlagen der SPD
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Foto: dpa, Uwe Anspach

Der frühere Kanzler gab für seine Biographie alle Akten frei und half dem Autor auch an jene heranzukommen, die nur über den Betroffenen selbst zugänglich sind. So kann Schöllgen bei der Buchvorstellung auch aus Schröders Stasi-Akte plaudern: "Trinkt viel Bier (immer aus großen Gläsern)", beobachtete die Staatssicherheit der DDR. Ansonsten kam die Stasi aber zu dem Ergebnis, Schröder sei in sich so gefestigt, dass ein Anwerben zwecklos wäre.

Der Ex-Kanzler ist an diesem Tag ausnehmend höflich zu Merkel. Er bedankt sich gleich zweimal sehr artig, dass sie sein Buch vorstellt und lehnt Stellungnahmen zur aktuellen Politik auch auf mehrere Nachfragen ab. Beim Thema Flüchtlinge bricht sich dann aber doch das Political Animal Bahn und er sagt: "Der Ausgang der Flüchtlingskrise wird davon abhängen, wie schnell und mutig ein Einwanderungsgesetz gemacht wird." Merkel verzieht bei dieser Botschaft, die für sie natürlich unpassend kommt, keine Miene und schweigt. Mit dieser ihrer Fähigkeit zur offensiven Defensive wird sich eines Tages ein Merkel-Biograph beschäftigen.

Der Verfasser der Schröder-Biographie kann in dieser launigen Stunde auch noch etwas Neues von Merkel und Schröder lernen. Sie widersprechen einmütig der Interpretation, dass erst Schröders polternder Fernseh-Auftritt am Abend der Bundestagswahl 2005 Merkels Kanzlerschaft möglich gemacht habe. "Nein", sagt Merkel zu dieser vielfach beschriebenen Lesart der Geschehnisse zum Beginn ihrer Kanzlerschaft, "mir war klar, dass sich aus dem Ergebnis was machen lässt." Und Schröder meint, ihm sei bewusst gewesen, dass die CDU eine sehr machtbewusste Partei sei und dass sie ihre Stimmenmehrheit nutzen werde. Die Kanzlerin ergänzt dann auch noch, ihr sei es eigentlich Recht gewesen, "dass andere in der Sendung" damals einen starken Drang hatten, zu sprechen. "Da musste ich das nicht tun." Schröder nimmt die Spitze lachend, spricht von einer Kult-Sendung und räumt ein, sein Auftritt sei "ebenso lustvoll wie suboptimal" gewesen. Das habe seine Frau hinterher gesagt. Schröder: "Trotzdem möchte ich das nicht missen."

(qua)
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