Westbalkanländer Merkel stößt bei Flüchtlingen an ihre Grenzen

Berlin · Die Westbalkanländer gehen auf Konfrontationskurs, und in der Union braut sich ebenfalls massiver Protest zusammen.

Kaum hat die deutsche Bundeskanzlerin beim EU-Türkei-Gipfel am Montag in Brüssel durchgesetzt, dass die Balkanroute nicht für geschlossen erklärt wird, schaffen die Westbalkanstaaten neue Fakten und schließen immer mehr mögliche Durchgänge für Flüchtlinge. Nach Mazedonien, Slowenien und Kroatien ergriff nun auch Ungarn die Initiative und rief den landesweiten Krisenzustand aus. Damit bekommt die Polizei mehr Rechte, werden die Kontrollen noch dichter. Und das ist nicht die einzige Front, an der gegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik gearbeitet wird. Über ihrer eigenen Fraktion ziehen dunkle Gewitterwolken auf.

Keine Verhandlungsmasse

Vor allem Merkels Entgegenkommen der Türkei gegenüber und deren Streben nach Visa-Erleichterungen macht den Politikern in CDU wie CSU zu schaffen. Es gebe dafür in der EU klare Kriterien, erklärte etwa der für Europapolitik zuständige Fraktionsvize Hans-Peter Friedrich. "Diese dürfen nicht zur Verhandlungsmasse mit der Türkei gemacht werden, sonst würde sich die EU erpressbar machen", warnte der CSU-Politiker.

Und der bayerische Innenminister Joachim Herrmann wird noch deutlicher. Es sei zwar im deutschen Interesse, mit der Türkei in der Flüchtlingsfrage eng zusammenzuarbeiten. "Auf der anderen Seite dürfen wir der Türkei aber nicht zu viele Zugeständnisse machen", sagte Herrmann unserer Redaktion. Nach der Abschaffung der Visumpflicht in einigen Westbalkanstaaten habe man erleben können, dass alsbald die Asylbewerberzahlen aus diesen Ländern "explodiert" seien. "Wir sollten uns mit einer Billigung der Visafreiheit für alle Bürger der Türkei einschließlich der Kurden nicht eine erneute Flüchtlingswelle ins Haus holen", warnte Herrmann.

Das Wort Schließen wurde vermieden

Die Politik der geschlossenen Grenzen auf der Balkanroute spielt jenen Unionspolitikern in die Hände, die das seit Monaten auch an den deutschen Grenzen als ergänzende Maßnahme dringend fordern. Die Abschlusserklärung von Brüssel, in der das Wort "Schließung" in Bezug auf die Balkanroute vermieden wurde, verleitet Friedrich zu der klaren Feststellung: "Es hat wenig Sinn, politische Realitäten mit Beschlusspapieren zu ignorieren." Das müssten Berlin und Brüssel nun auch akzeptieren.

Im Vorfeld der drei wichtigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt an diesem Sonntag haben sich die 44 Gegner von Merkels Flüchtlingspolitik in der Unionsfraktion selbst Stillschweigen auferlegt, damit sie, die einen kritischen Brief an Merkel geschrieben haben, bei einem Misserfolg nicht als Verursacher an den Pranger gestellt werden. In internen Gesprächen braut sich jedoch massiver Protest zusammen. Nicht nur bei den CSU-Kollegen, sondern in der gesamten Fraktion gebe es immense Vorbehalte gegen eine Visa-Freiheit für Türken, verlautet aus Unionskreisen.

Mit Blick auf die Landtagswahlen werden die Sorgen zugleich immer größer. Vor allem in Baden-Württemberg, dem früheren CDU-Stammland, trauen Unionspolitiker ihrem Spitzenkandidaten Guido Wolf kaum mehr zu, die Wahl gegen den beliebten Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) noch zu gewinnen. Die Stimmung sei deshalb "richtig schlecht", heißt es in Parteikreisen. Schuld daran sei auch die Bundespolitik in der Flüchtlingskrise. Seit einem halben Jahr erkläre die Bundesregierung, dass die Außengrenzen der EU besser geschützt werden müssten, geschehen sei aber nichts. Deshalb gebe es in der Bevölkerung ein zunehmendes Verständnis für die Balkan-Länder, die sich selbst helfen würden. Mit Unbehagen registriere man, dass Merkel auch Fortschritten bei den Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei offen gegenüberstehe. Mit Sarkasmus und Verbitterung wird das kommentiert. "Man stelle sich einmal vor: Die Briten verlassen die EU, und die Türken kommen rein. Das wäre nicht mehr die EU, die wir kennen und die wir wollen", heißt es in der Union.

Wahlkampf mit Merkel

Deshalb wird für den Montag nach den Landtagswahlen im Präsidium und im Bundesvorstand der CDU mit einer intensiven Debatte gerechnet. Auch die Merkel-Unterstützer laufen sich dafür warm und weisen darauf hin, dass die Umfragewerte für die CDU in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz in dem Augenblick ins Rutschen kamen, in dem sich die Spitzenkandidaten von Merkel distanzierten. Sie hätten damit Kretschmann in Baden-Württemberg und Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz die Möglichkeit gegeben, Wahlkampf mit Merkel gegen die örtliche CDU zu machen. Für Dienstag wird dann in der Bundestagsfraktion eine noch schärfere Auseinandersetzung erwartet.

(RP)
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