Zehn Jahre Bundeskanzlerin Merkel muss den Schröder machen

Meinung | Berlin · Mächtigste Frau der Welt. Person des Jahres 2014. Unangefochtene CDU-Chefin. Umfrage-Königin. Bundeskanzlerin im zehnten Amtsjahr. Alles Merkel, oder was? Aber wann kümmert sich unsere Regierungschefin endlich um Deutschland?

Angela Merkel: Porträt der Bundeskanzlerin von Deutschland in Bildern
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Das ist Angela Merkel

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Foto: dpa, Patrick Seeger

Keine Frage. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist auf dem Zenit ihrer Macht. Konkurrenzlos in Land und Partei. Beliebt. Weltweit respektiert. Länger im Amt als alle SPD-Kanzler. Die Frau aus dem kleinen mecklenburgischen Dorf Templin steuerte Deutschland souverän durch die Finanz- und Wirtschaftskrise und Europa - bisher jedenfalls - zielstrebig und selbstbewusst durch die Staatsschuldenkrise. Angela Merkel regiert in ihrem zehnten Amtsjahr, in ihrer dritten Koalition. Nur knapp verpasste ihre CDU die absolute Mehrheit bei der letzten Bundestagswahl. Politik in Deutschland, das ist Angela Merkel.

Deutschland? In der Innenpolitik ist die Liste der Merkelschen Großtaten ziemlich dürftig. Eine wegweisende wirtschafts- oder gesellschaftspolitische Reform, aus ihrer politischen Überzeugung heraus forciert und gegen politische Widerstände umgesetzt, kann Angela Merkel in ihrer Vita bisher nicht vorweisen.

In Sonntagsreden beschäftigt sich die 60-jährige Physikern zwar gerne akkurat mit Deutschlands künftiger Rolle in der globalisierten Ökonomie. Aufpassen, sagt sie dann gerne und hebt den Finger. "Andere Länder schlafen nicht". Doch dann steigt Merkel wieder hinab von der Bühne und nickt selbst ein. Ein nachhaltiges Konzept, das ein alterndes und wenig risikofreudiges Land für den ungleichen Kampf gegen junge, unregulierte, politisch schnellere (weil oft kaum demokratische) Länder befähigt, ist nicht in Sicht. Merkels Innenpolitik ist ad-hoc-getrieben, oft ambitionslos und fixiert auf Parteiprogramme.

Bundesminister: Das Kabinett der großen Koalition
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Das Kabinett der großen Koalition

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Foto: RP. DPA

In der Rentenpolitik verteilt die großkoalitionäre Kanzlerin munter, was künftig immer weniger Arbeitnehmer erwirtschaften müssen. Die Reserven in der Sozialversicherung schrumpfen, während die finanziellen Lasten ihrer Vollkaskopolitik in der Zukunft exorbitant steigen. Die "schwarze Null" im Haushalt? Gut so. Aber sie ist wohl eher Folge niedriger Zinsen und einer robusten Konjunktur. Schon der nächste kleine Konjunktur-Wind könnte das Kartenhaus Bundeshaushalt umkippen lassen.

Dabei ist ihre Politik gar nicht alternativlos. Merkel muss nur den Schröder machen. Dessen Agenda-Reformen waren ein Fitnessprogramm für Deutschland. Merkels Politik ist ein Sedativum. Das Schrödersche Prinzip des "Fördern und Fordern" könnte als politische Leitschnur auf vielen Feldern dienen. In der Schule, in der frühkindlichen Bildung, in der Zuwanderungspolitik. Es geht um politische Anreize für den Aufstieg. Es geht um eine Qualitätsoffensive in Kitas und Schulen. Es geht um eine verstärkte Qualifizierung der Migranten und ein nachvollziehbares Anwerbesystem für die klügsten Köpfe der Welt. Es geht um bessere Finanzierungsbedingungen für junge Unternehmensgründer. Zwei Milliarden Euro haben Deutschlands Gründer in den vergangenen zwei Jahren bei Wagniskapitalgebern als Startgeld für ihr Unternehmertum einsammeln können. In den USA waren es im selben Zeitraum 64 Milliarden.

Mit diesen Gästen feierte Angela Merkel ihren 60.
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Mit diesen Gästen feierte Angela Merkel ihren 60.

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Foto: ap

Deutschland verschläft die Digitalisierung, auch wenn gleich vier Bundesminister dafür zuständig sind. Facebook wäre hierzulande unmöglich gewesen. Nicht nur weil der mittellose Student Mark Zuckerberg wohl nirgendwo einen Kredit bekommen hätte. Auch, weil er sich wegen Urheberrechtsverletzungen strafbar gemacht hätte, noch bevor die Internetseite in Deutschland online gegangen wäre. Die Politik investiert Milliarden in das Betreuungsgeld, Elterngeld Plus oder die Rente mit 63, aber streicht die Milliarde für den Breitbandausbau.

Es geht um Anreize für ein längeres Arbeiten, nicht um einen früheren Ruhestand. Seniorenschulen statt Berufsschulen. Es geht um eine stärkere Technologieförderung statt Bund-Länder-Kompetenzgerangel bei Exzellenz-Unis. Es geht um ein Gesundheitssystem, in dem sich Kosten und Leistung wieder annähern und eine Energiepolitik, die unsinnige Subventionen kappt. Es geht in einer dramatisch alternden Gesellschaft aber auch um die dringend notwendige Entlastung der arbeitenden Mitte bei Steuern und Abgaben statt ein unwürdiges Gefeilsche um die Mini-Reform bei der kalten Progression. Undsoweiter. Undsoweiter.

Wann, wenn nicht jetzt, könnte Merkel ihre Agenda für Deutschland anpacken? Sie hat die Mehrheit und das Vertrauen der Bevölkerung. Sie kann immer noch Reformkanzlerin werden. Viel Zeit hat sie aber nicht mehr.

(RP)
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