Corona-Regeln sind Ländersache Angela Merkel kritisiert Ramelows Lockerungsplan in Thüringen

Berlin · Ob Ramelow mit seinem Kursschwenk in der Corona-Krise zum Trendsetter wird, ist noch nicht klar. Vielleicht bremst ihn schon bald das eigene Kabinett. In Berlin und München erntet er Kopfschütteln.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel während einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt. Archivfoto.

Bundeskanzlerin Angela Merkel während einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt. Archivfoto.

Foto: AP/Odd Andersen

Die Länder sollten bei weiteren Lockerungen der Corona-Regeln nach Ansicht von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) „mutig und wachsam“ vorgehen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Montag in Berlin, die Kanzlerin halte aber bloße Empfehlungen und Gebote für nicht ausreichend. Sie plädiere vielmehr dafür, dass es weiter „verbindliche Anordnungen“ geben soll zur 1,5-Meter-Abstandsregel sowie zu Kontaktbeschränkungen und den Hygienevorschriften. Denn wenn diese Grundregeln außer Acht gelassen würden, drohten die bei der Eindämmung der Pandemie erzielten Erfolge verloren zu gehen.

Die Entscheidungshoheit über die Corona-Alltagsregeln haben die Länder. Zusammen mit dem Bund haben sie aber in den vergangenen Wochen mehrfach Leitlinien dazu abgesprochen.

Sachsen möchte nun bei den Lockerungen einen ähnlichen Weg einschlagen wie Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), der ab dem 6. Juni statt landesweiter Regeln nur noch lokale Einschränkungen haben will. Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) beriet am Montag mit den Chefs der Staatskanzleien der Länder über das weitere Vorgehen. Bis zum 5. Juni sind die bislang vereinbarten Kontaktbeschränkungen begrenzt.

Der Bund mahnt zur Vorsicht und warnt vor zu weitgehenden Lockerungen. Er schlug vor, dass sich wieder bis zu zehn Personen treffen dürfen und die Kontaktbeschränkungen bis zum 5. Juli verbindlich in Kraft bleiben. Das steht in einer Vorlage des Kanzleramts für die Schalte, die der Deutschen Presse-Agentur am Montag vorlag. Zuvor hatte die „Bild“-Zeitung darüber berichtet.

Der Personenkreis, mit dem man Kontakt hat, sollte demnach möglichst klein und konstant gehalten werden. Das gelte vor allem für Kinder, bei denen die Schutzmaßnahmen oft nicht konsequent umgesetzt werden könnten. Veranstaltungen und Versammlungen mit eigenem Hygienekonzept seien separat zu betrachten.

Zudem sollen Verschärfungen möglich sein: Wo es die Infektionszahlen erfordern, sollten weitergehende Kontaktbeschränkungen erlassen werden. In der Öffentlichkeit sollte weiterhin der Mindestabstand von eineinhalb Metern eingehalten werden. Auch die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sollte in bestimmten öffentlichen Bereichen weiter gelten. Abstands- und Hygieneregeln müssten „so lange in das Alltagsleben integriert bleiben, wie die Pandemie nicht durch einen Impfstoff oder ein Heilmittel überwunden ist“, heißt es in dem Papier.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hatte am Wochenende erklärt, er wolle vom 6. Juni an auf allgemeine, landesweite Corona-Beschränkungen verzichten und stattdessen auf „lokale Ermächtigungen“ sowie die Eigenverantwortung der Menschen setzen. Die Verantwortung solle bei den Gesundheitsämtern liegen. Sollten sich neue Infektionsherde bilden, solle lokal reagiert werden. Am Montag sagte er dann im Interview mit RTL/ntv, er werde dem Kabinett vorschlagen, „dass zum Beispiel in den öffentlichen Verkehrsmitteln weiterhin der Mund-Nasen-Schutz bleiben soll“. Von Ramelows Koalitionspartnern - SPD und Grüne - gab es kritische Stimmen zu seinem Vorstoß. Das Kabinett in Erfurt tagt am Dienstagmittag.

Auch Sachsen kündigte derweil eine grundlegende Änderung beim Umgang mit Einschränkungen in der Corona-Krise an. „Wenn die Zahl der Neuinfektionen weiterhin stabil auf einem niedrigen Niveau bleibt, planen wir für die Zeit ab dem 6. Juni in der nächsten Corona-Schutzverordnung einen Paradigmenwechsel“, sagte Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) in Dresden. „Statt wie jetzt generell Beschränkungen zu erlassen und davon viele Ausnahmen für das zu benennen, was wieder möglich ist, wird dann generell alles freigegeben und nur noch das Wenige an Ausnahmen benannt, was noch nicht möglich sein wird“, erklärte Köpping. Am Sonntag waren in Sachsen laut Sozialministerium zehn neue Fälle gemeldet worden.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bezeichnete die Ankündigung von weitreichenden Lockerungen in Thüringen als „fatales Signal“. Er bitte die Verantwortlichen in Thüringen darum, die Absicht zu überdenken, sagte er in Nürnberg. „Wir in Bayern waren besonders betroffen dadurch, dass wir an einer Grenzsituation zu Österreich waren. Wir haben jetzt die aktuelle Situation, dass wir beispielsweise im Raum Coburg eben von Sonneberg betroffen sind“, sagte Söder mit Blick auf den thüringischen Nachbar-Landkreis.

„Es darf in keinem Fall der Eindruck entstehen, die Pandemie wäre schon vorbei“, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) der „Bild“-Zeitung. Zwar gebe es Regionen, in denen tagelang keine Neuinfektionen gemeldet würden. Andererseits gebe es lokale und regionale Ausbrüche, die schnelles Eingreifen erforderlich machten.

Ramelow wies die Kritik zurück. „Ich habe nicht gesagt, dass die Menschen sich umarmen sollen oder den Mund-Nasen-Schutz abnehmen und sich küssen sollen“, sagte er dem MDR.

Absolut gesehen haben sich in Sachsen mit 128 registrierten Fällen pro 100 000 Einwohnern und Thüringen (133 Fälle pro 100 000 Einwohner) deutlich weniger Menschen nachweislich mit dem Sars-CoV-2-Virus infiziert als im Bundesschnitt (214 Fälle pro 100 000 Einwohner), wie aus dem jüngsten Situationsbericht des RKI hervorgeht (Datenstand 24.5., 0.00 Uhr). In den vorherigen sieben Tagen jedoch infizierten sich demnach in Thüringen mit 5,5 Fällen pro 100 000 Einwohner mehr als im deutschlandweiten Schnitt (4,1 Fälle pro 100 000 Einwohner) - allerdings ist das Infektionsgeschehen bundesweit gering. In Sachsen wurden in den letzten sieben Tagen 2,3 Fälle pro 100 000 Einwohner registriert.

Laut Seibert war eine ursprünglich für Montag vorgesehene Sitzung des sogenannten Corona-Kabinetts der Bundesregierung abgesagt worden, weil Themen, die dort zur Beratung anstanden, noch nicht entscheidungsreif gewesen seien. Dabei gehe es unter anderem um die Koordinierung im innereuropäischen Reiseverkehr sowie Vorschriften im Personenverkehr. Entschieden werde nun voraussichtlich in der nächsten regulären Kabinettssitzung am Mittwoch. Aus den Ländern hieß es, denkbar sei eine Schalte der Ost-Ministerpräsidenten am Mittwoch und eine folgende Runde mit Merkel.

(anst/dpa)
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