Spekulationen in Oslo Angela Merkel hat den Friedensnobelpreis nicht verdient

Meinung | Düsseldorf · Am Freitag wird in Stockholm der Friedensnobelpreis verliehen. Angela Merkel ist angeblich nominiert – für ihr Fingerspitzengefühl in der Ukraine- und Flüchtlingskrise. Die Kanzlerin leistet Großes. Doch die Auszeichnung gebührt anderen.

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Foto: dpa, Patrick Seeger

Am Freitag wird in Stockholm der Friedensnobelpreis verliehen. Angela Merkel ist angeblich nominiert — für ihr Fingerspitzengefühl in der Ukraine- und Flüchtlingskrise. Die Kanzlerin leistet Großes. Doch die Auszeichnung gebührt anderen.

Deutschlands Regierungschefin scheint sich nicht beeindrucken zu lassen. Was sie zu den Spekulationen sage, dass sie für den Friedensnobelpreis nominiert sei, wollten Journalisten am Rande des Ukraine-Gipfels am vergangenen Freitag von Merkel wissen. "Ich sage dazu, dass die Presse den Friedensnobelpreis nicht vergibt und dass ich mich auf meine politische Arbeit konzentriere. Und da haben wir alle Hände voll zu tun." Fertig. Entweder interessiert sich Merkel wirklich nicht für ihre Nominierung oder sie ist sich selbst gar nicht so sicher, wofür sie die hohe Auszeichnung überhaupt verdient hat.

Der Direktor des Osloer Friedensforschungsinstituts Prio, Kristian Berg Harpviken, lobt Merkels "moralische Führungsqualitäten", die sie insbesondere in der Ukraine- und Flüchtlingskrise gezeigt habe. Für ihr dortiges Fingerspitzengefühl werde Merkel den Preis erhalten, orakelt er. Allzu viel Vertrauen sollte man seiner Expertise aber nicht schenken: Der Friedensforscher gibt jedes Jahr eine Prognose zu den Preisträgern ab. Richtig lag er dabei bisher exakt einmal: Vergangenes Jahr tippte Harpviken auf Malala Yousafzai.

Wahrscheinlich oder unwahrscheinlich - wäre Merkel überhaupt eine berechtigte Preisträgerin? Die Kanzlerin öffnete Deutschlands Tore und bat die Flüchtlinge herein. Eine große Geste und ohne Frage eine wichtige. Doch derlei Taten reichen nicht.

Alfred Nobel, an dessen Todestag der nach ihm benannte Preis verliehen wird, schrieb einst in sein Testament: Es solle die Person oder Organisation ausgezeichnet werden, die im vergangenen Jahr "am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker hingewirkt hat". Deutschland nimmt mit die meisten Flüchtlinge auf. Aber Merkel sträubt sich davor, die Ursachen der Flucht zu bekämpfen. Ein völlig außer Kontrolle geratener Naher Osten und skrupellose Diktaturen in Afrika sind die Auslöser für die unfreiwillige Völkerwanderung. Bei deren Bekämpfung bleibt Merkel weitgehend stumm. Afrika? Ist doch alles gut. Deutschlands Regierung interessiert sich vielmehr für ein Freihandelsabkommen, das von den afrikanischen Staaten fordert, ihre Märkte bis zu 83 Prozent für europäische Importe zu öffnen.

Zusammen mit den USA, China und Russland ist Deutschland zudem einer der größten Waffenexporteure der Welt. Mit deutschen Gewehren werden Kriege bestritten. Von Ramstein aus koordinieren die Amerikaner ihre Drohnenangriffe im Nahen Osten, deren Ziele häufig wahllos erscheinen. Ein seltsamer Frieden ist das.

Aber die Verleihung des Friedensnobelpreises war in der Vergangenheit oft fragwürdig: Barack Obama erhielt die Auszeichnung für...ja für was eigentlich? Lobenswerte Bestrebungen gab es viele. Aber zum Zeitpunkt der Verleihung hatte Obama kaum außenpolitische Erfolge vorzuweisen. 2012 wurde die Europäische Union prämiert, ebenfalls nicht unumstritten, vor allem jetzt im Nachhinein mit Blick auf das Versagen in der Flüchtlingskrise. Henry Kissinger bekam 1973 seine Ehrung, nachdem er das Friedensabkommen in Vietnam ausgehandelt hatte — wenige Jahre zuvor hatte er allerdings die Flächenbombardements in Kambodscha zu verantworten.

Für den Fall, dass Merkel nicht ausgezeichnet wird: Wer sollte den Preis an ihrer Stelle erhalten? Die Nominierungen sind eigentlich geheim, doch Jahr für Jahr sickern Namen durch. Neben der Kanzlerin kommen unter anderem wohl auch infrage: Papst Franziskus (für sein Streben nach sozialer Gerechtigkeit in der Welt), John Kerry (für die Aushandlung des Nuklear-Deals mit dem Iran) und das Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Die Organisation wurde bereits 1954 und 1981 ausgezeichnet. Für ihre Arbeit und die Koordination der freiwilligen Helfer in der zunehmenden Krise wäre eine dritte Würdigung auch in diesem Jahr gerechtfertigt.

Sollte das Nobel-Komitee aber unbedingt an seinen Sympathien für Deutschland festhalten wollen, könnte es ja theoretisch statt Merkel allein das gesamte deutsche Volk ehren. Die Integrationsbereitschaft, die sich - mit Ausnahme einiger brauner Schafe - im ganzen Land zeigt, ist preisverdächtig. Doch leider ist derlei Lob in den Nobel-Statuten nicht vorgesehen.

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(jaco)
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